Auf der Mauer, auf der Lauer:
Sam kaute auf seinen ohnehin schon kurzen Fingernägeln. Gemeinsam mit Luca saß er im Gebüsch und betrachtete das Fenster des Zimmers, in dem nun Mira und Amy einquartiert waren. Ein Mädchen der Hell-Hopping-Tour hatte dafür sein Zimmer räumen müssen, doch wie es aussah, wollte sowieso keiner von denen alleine bleiben.
In dem Zimmer ihrer Freundinnen brannte schwaches Licht, damit sie sehen konnten, was vor sich ging. Nachdem sich eine halbe Stunde lang niemand auf dem Hinterhof zeigte, wagten die beiden Männer sich bis an das Fenster vor.
„Guck du hindurch und sag mir, wenn etwas passiert“, sagte Sam zu Luca. Er selbst behielt den kleinen Hof mit seinen Mülltonnen im Blick. Der Ort besaß einen traurigen Hinterhofflair. Wie viele Leichen mochten hier vergraben sein?
Es verging fast eine Stunde, bis Luca sich regte.
„Da! Da, die Tür öffnet sich!“, flüsterte der Junge aufgeregt.
Samstag kniete sich jetzt neben ihn. Draußen zirpten ein paar späte Grillen.
Sie schnappten beide nach Luft, obwohl sie auf den Anblick von Norman Bates in Frauenkleidern, ein großes Fleischermesser in der Hand, vorbereitet gewesen waren. Weder Mira noch Amy waren in dem Zimmer, sondern hatten sich in das Bad zurückgezogen.
Samstag verspürte ein flaues Gefühl im Magen. Das Badezimmer hatte keinen Hinterausgang. Die Mädchen saßen in der Falle!
Als Norman Bates die Tür aufstieß, sah Samstag den Duschvorhang vorgezogen. Selbst durch die Scheibe hörte er Wasser rauschen. Was hatten Mira und Amy vor?
Wie auch im Film trat Norman an den Vorgang heran. Es war seltsam, die bekannte Szene plötzlich aus dem Rücken der schlanken Gestalt mit dem strengen Dutt zu sehen. Er umklammerte das Fensterbrett mit den Händen, als Norman den Duschvorhang zurückzog.
Statt dass die Dusche leer war, womit Sam gerechnet hätte, stand Amy voll angezogen unter dem Wasserhahn und erwartete Bates.
Die in Frauenkleider gehüllte Gestalt hielt irritiert inne, ein Zögern, das Amy nutzte, um zuzustoßen.
Ihre Hand, die wohl das Messer hielt – genaueres konnte Sam nicht erkennen – traf Bates in die Brust. Der Mann taumelte zurück, weiße Füllung flog auf den Boden. Mira erschien im Rücken des Wahnsinnigen und umklammerte seine Arme.
Sam und Luca sprangen auf. Mit einem Griff hatte Sam das Fenster nach oben geschoben, das nicht verschlossen gewesen war. Noch während sie hindurch kletterten, um den Mädchen zu helfen, war Amy bei Norman und stieß ihm das Messer ins Gesicht.
Die lange Gestalt erschlaffte und Mira ließ ihn fallen, direkt in die Dusche. Das frische Blut wurde sofort weggespült.
Als Samstag und Luca bei den beiden Frauen ankamen, ließ Amy das blutige Messer fallen. Auf ihrem Gesicht zeigte sich Schock und Angst, recht verspätet, wenn man bedachte, dass es ihr Plan gewesen war.
Samstag griff über Bates' leblosen Körper und zog Amy aus dem Bad. Sie war pitschnass, ihre Hände eisig kalt. Er umfasste ihre Handgelenke.
„Das war kein Mensch, Amy, verstehst du mich?“, sagte er eindringlich. „Denk daran, dass er kein Mensch war. Egal, wie lebendig er dir vorkam, er war nur eine Idee, die sich ein Mann ausgedacht hat. Eine Idee von Alfred Hitchcook, nicht mehr!“
Die roten Haare fielen ihr nass ins Gesicht. Sie sah auf und wischte sich mit dem Handballen über die Wangen. Ob sie weinte, vermochte Sam nicht zu sagen. Mira kam an und legte Amy ein Handtuch über die Schultern.
„Wird – wird er jetzt in jedem Film fehlen?“, fragte Amy nervös.
Samstag schüttelte den Kopf. „Nein. Psycho bleibt unverändert. Nur in der Tour wird er fehlen.“
Amy wirkte verwirrt, aber immerhin getröstet.
„War ein guter Film“, murmelte sie, in Gedanken bereits irgendwo anders.
„Ruhen wir uns aus“, schlug Sam vor und brachte Amy zu dem einen Bett, das in dem Raum stand. „Wir haben noch ein paar Stunden, bis wir weiter müssen.“
Er sah, wie Mira ihre Uhr stellte, bevor sie sich aufs Bett warf.
„Ich hätte Klamotten zum Wechseln mitnehmen sollen!“, murmelte Amy und zitterte. Samstag schob ihr die Decke rüber und streckte sich an ihrer Seite aus. Luca sah auf das Bett, als suche er nach einem Platz für sich selbst. Sam klopfte einladend aus den schmalen Streifen Matratze zu seiner Seite.
Luca zierte sich eine Weile, aber am Ende siegte die Müdigkeit. Sie schliefen ein und erst am Morgen, als auf dem Parkplatz der schnatternde Lärm der Tourgäste erklang, erinnerten sie sich daran, dass im Bad ein Toter gelegen hatte – und zwar die ganze Nacht.
Sam überprüfte ein letztes Mal, dass Bates wirklich tot war, aber der Hals zeigte ein so breites, blutiges Grinsen, das kaum noch Platz war, um einen Puls zu ertasten. Sie schlichen sich durch das Fenster nach draußen. Amy rieb an ihrer Jacke, die ein paar bräunliche Flecken von dem Blut trug. Wenig später kletterten sie in den Laderaum des Busses für die Mitarbeiter, noch bevor diese merkten, dass Bates tot war und die Gäste der Tour zu beruhigen versuchten. Diese verlangten nämlich ein Frühstück, dass ihnen jetzt niemand mehr zubereiten konnte. In der Dunkelheit des Busses grinste Samstag und Mira klopfte Amy auf die Schulter: „Hast du gut gemacht.“