Wahrheiten:
„Hier steckst du!“, sagte Karo, als sie den Keller betrat.
Max drehte sich desinteressiert um. „Was willst du?“
Karo kam am Ende der steilen Treppe an und ging mit schnellen Schritten auf ihn zu. Ihre Bewegungen erschienen selbstbewusst, doch die schnellen Blicke, die sie durch die Dunkelheit huschen ließ, straften den festen Klang ihrer Schritte Lügen. Sie fürchtete sich.
„Ich habe dich überall gesucht. Warum bist du nicht oben?“
Er deutete auf die Stromleitungen in der Wand. „Ich warte darauf, die Lichter flackern zu lassen.“
Karo starrte ihn entgeistert an. „Wir sollen bis zum Abend warten, bevor wir irgendwas machen!“
„Ich hatte nicht vor, früher anzufangen.“
Schon jetzt störte sie ihn. Er hatte die Einsamkeit und Stille hier unten genossen. Man war viel zu selten mit seinen Gedanken allein. Max hatte gemerkt, wie sehr ihn sein früheres Leben gestört hatte. Ständig am Handy, an der Konsole, vorm Fernseher, ständig unter Menschen … Er war wohl doch introvertiert und konnte nur Kraft schöpfen, wenn er alleine war.
Karo war immer noch da.
„Was willst du?“, fragte er sie wieder, diesmal unfreundlicher.
Karo schüttelte den Kopf. „Was ist denn nur los mit dir?“
Max starrte sie an. Seine Augen fühlten sich an, als ob sie brannten. „Was soll mit mir sein?“
„Du bist so anders. Fast, als würdest du diesen Leuten wirklich helfen wollen. Ich mache mir Sorgen!“, sagte Karo.
Max schnaubte. „Du machst dir die falschen Sorgen. Du musst dich nicht um mich kümmern, sondern um dich. Weißt du nicht, dass sie alle töten, die nicht weiter kommen?“
Karo stand der Mund offen. „Was? Du lügst doch!“
„Ich hab im letzten Hotel jemanden getroffen“, sagte Max. Er musste ihr doch begreiflich machen, in welcher Gefahr sie sich befand. „Sie lassen die wenigsten Bediensteten am Leben. Die meisten werden an diese Monster verfüttert, die es in jedem Hotel gibt! Deswegen sind auch keine Leute von der vorherigen Tour übrig. Eigentlich braucht Samira nämlich ein Jahr, um die Stellen neu zu besetzen.“
Karo war blass geworden. „Sag, dass das nicht wahr ist!“
„Es stimmt“, knurrte Max ruhig. „Also würde ich an deiner Stelle tun, was sie von dir wollen. So gut, wie du nur kannst.“
„Aber … die Leute, die wir zurückgelassen haben …“, stammelte Karo zusammenhangslos.
„Tot“, knurrte Max. „Und ebenso jeder, der sonst noch zurückbleiben wird. Sie lassen dich nur leben, wenn du dich gut anstellst, oder wenn du zu einem Hotel passt.“
Karo wich kopfschüttelnd zurück und rückwärts die Treppe wieder hoch. Max sah ihr hinterher und kniff die Augen gegen das grelle Licht zusammen, als sie die Tür am oberen Ende der Treppe auf riss und davon stürmte.
Aber er konnte sich nicht auch noch um sie kümmern. Hier hieß es jeder für sich allein. Weder eine Nutzgemeinschaft, noch gar eine Freundschaft wäre hier verlässlich.
Max sah auf die Kabel und Leitungen vor ihm. Er würde niemanden enttäuschen.