Orest:
Luca erstarrte. Verborgene Gesichter starrten sie aus dem Schatten dunkler Kapuzen heraus an. Der Kult war von ihrem Angriff überrascht. Ehe die Mitglieder sich davon erholt hatten, lief Samstag schon vor. Luca folgte ihm.
Hände, die in weiten Ärmeln steckten, griffen nach ihm. Luca stach mit dem Messer zu und fuhr zurück, als sein Angreifer aufheulte – genau wie ein Mensch. Statt den Gegner zurück zu drängen, ergriff Luca förmlich die Flucht, um seinen Meister nicht zu verlieren. Bestand dieser Kult etwa nur aus Menschen?
Samstag hatte die beiden Jungen erreicht und aus dem Griff der Kultleute befreit. Zitternd versteckten sich die beiden hinter einer Truhe aus schwarzem Holz. Mira und Amy kämpften sich zu ihnen durch und die vier bildeten einen Halbkreis, die beiden Jungen im Rücken, die Gesichter dem düsteren Kult zugewendet.
„Ihr sollt doch gefangen sein!“, rief jemand.
„Wächter!“, brüllte jemand anderes.
Doch sie wurden nicht angegriffen. Die meisten der Verhüllten wichen zurück.
„Wer sind eure Meister?“, rief Samstag laut und streckte drohend das Messer aus.
Luca schluckte. Sie hatten ja überhaupt keine Ahnung, was in diesem Hotel auf sie lauerte.
Einer der schwarz gekleideten sprang in die Mitte des Pentagramms. Mira schrie noch gellend „Nein!“ als sich der Mann einen gezackten Dolch in die Brust rammte und zu Boden fiel.
Eine Feuersäule erwuchs an der Stelle, wo er lag, aus dem Boden. Sam warf sich um und riss Luca mit sich zu Boden. Hitze spülte über ihre Köpfe. Luca schnappte nach Luft und roch etwas verbranntes. Die Fackeln an den Wänden flackerten wild.
Aus der Feuersäule wurde ein dunkler Sturm, wie ein Tornado. Aus diesem heraus rauschten plötzlich Gestalten. Sie waren pechschwarz, wie Menschen geformt, aber dabei dürr wie Krähenfüße. Ihre kahlen Köpfe, die weder Mund, noch Nase oder Augen erkennen ließen, drehten sich knackend auf langen, schmalen Hälsen.
Es waren vielleicht zwanzig oder mehr von ihnen. Eine flog direkt auf Sam und Luca zu, rauschte dann aber über sie hinweg. Luca hörte einen der beiden Jungen hinter sich kreischen.
Die seltsamen, insektenartigen Wesen griffen auch die Kultleute an. In dem kleinen Raum brach Chaos aus. Bevor er sich rühren konnte, wurde Luca von einer kräftigen, dürren Hand gepackt.
Im nächsten Moment berührte eine ähnliche Klaue seine Brust und sein Herz wollte einen Schlag aussetzen.
Luca sah plötzlich wieder Fais leblosen Körper vor sich. Ihre glasigen Augen starrten ihn an, vorwurfsvoll. „Warum warst du nicht schneller?“
Milo stand mit verschränkten Armen vor ihm. „Hast wohl gedacht, du könntest Eve haben, wenn ich endlich tot bin, was?“
Und dann war da Liam. „Habt ihr mich überhaupt gesucht? Hm? Schöne Freunde seid ihr mir!“
Eine Hand fasste Lucas Schulter so hart, dass er brüllte. Er riss die Augen auf. Das schwarze Wesen war verschwunden, stattdessen war da Samstag.
„Steh auf. Es sind Erinnyen!“
„Was?“, fragte Luca und kam taumelnd auf die Beine.
„Rachegöttinnen“, rief Mira auf seiner anderen Seite. „Eine Liga zu hoch für uns.“
Beide zerrten ihn aus dem Keller und schlugen dann die Tür hinter sich zu. Verständnislos sah Luca zu, wie Mira sich in die Hand schnitt und mit ihrem Blut etwas auf das Holz zeichnete. Dahinter erklang noch immer tosender Lärm.
Luca sah sich um. Amy stand zitternd hinter ihm, die Haare auf der Stirn verklebt. Ansonsten gab es nur Stille.
„Wo sind die beiden Jungen?“, rief er.
„Nicht mehr zu retten“, sagte Sam grimmig und legte ihm eine Hand auf die Schulter, wie um ihn daran zu hindern, zurück zu rennen. Um nichts in der Welt hätte Luca den Raum nochmals betreten.
Mira beendete ihre Zeichnung. Es gab einen hellen Blitz, der sie alle blendete. Als sie die Augen wieder öffneten, standen sie vor einer weißen Wand. Die Tür war fort.