Justizia:
Wie am Ende von jedem Hotel stellten sie sich in einer Reihe nebeneinander auf. Karo stand zwischen Jason und Max und beobachtete, wie Samira immer näher kam.
Sie war nervös. Samira hatte schlechte Laune, weil die Gefangenen geflohen waren. Sie war extra angereist, und nun betrachtete sie ihre Helfer kritisch. Jeder in der Reihe zitterte, selbst Max.
Samira schritt die Reihen entlang und warf jeden Zweiten aus dem Team. Karo schloss die Augen. Sie wollte nicht von Jason getrennt werden, um keinen Preis! Aber ihre Gruppe war inzwischen ein wenig gewachsen. Mehrere Bedienstete von anderen Hotels waren mit ihnen gemeinsam aufgestiegen, so etwa auch Maya, die aus der Villa Diodati stammte.
Samira blieb vor Jason stehen und sah ihm scharf in die Augen. Er wandte den Blick ab.
„Weiter“, knurrte Samira.
Jetzt stand sie vor Karo. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie fühlte sich schwindelig. Ihre Finger waren ganz taub vor Kälte.
Sie schlug die Augen nieder und hoffte. Samira ließ sich Zeit. Karo konnte ihren Atem hören.
Plötzlich schob sich eine Hand unter ihr Kinn. Karo zuckte zurück, aber Samiras Griff war unerbittlich. Sie zwang ihr Gesicht nach oben und sah ihr in die Augen. So kritisch, als würde sie ein Pferd kaufen wollen.
„Mhhmh. Interessant“, machte sie. Dann ließ sie Karo los. „Weiter.“
Keuchend stolperte sie einen Schritt und stieß beinahe gegen Jason. Er legte ihr den Arm um die Schultern und wirkte ebenso erleichtert wie sie.
Auch Max kam weiter, und nach ihm folgte nur noch Maya, die schneller als alle anderen die Augen nach unten richtete.
„Maya“, sagte Samira ruhig.
Wie in Zeitlupe hob Maya den Kopf.
„Du hast die Mörder gefangen“, sagte Samira. „Gut gemacht.“
Maya sagte nichts.
„Ich bin stolz, dass du diese Gefahr eliminiert hast.“ Samiras Stimme war so sanft wie das Schnurren einer Katze. Karo merkte, dass sie immer noch zitterte. „Aber erlaube mir diese Frage, Maya: Wo sind die Wächter jetzt?“
„Sie – sie konnten fliehen“, stammelte Maya nervös. „Keiner konnte damit rechnen …“
„Habt ihr ihnen die Sender abgenommen?“, fragte Samira in einem Tonfall, als würde im Nebenzimmer ein Baby schlafen.
Stumm schüttelte Maya den Kopf.
„Und seid ihr also davon ausgegangen, dass es einfach nur Uhren wären? Und keine Sender?“
Wieder ein Kopfschütteln. Im Nebenzimmer schien nicht nur ein Baby, sondern ein ganzes Krankenhaus voller Neugeborener zu schlummern.
„Und wieso besitzen die Wächter ihre Sender noch?“
Zu den Babys waren ein paar Kätzchen und äußerst schreckhafte Rotkehlchen gekommen.
„Ich … ich dachte …“, stammelte Maya.
„Du sollst nicht denken!“, brüllte Samira so laut, dass vermutlich noch der taubste Elefant aufgewacht wäre. Sie stieß Maya die Hände vor die Brust.
„Du unfähige, verfickte, scheiß-verkackte Arschkriecherin! Du sollst nicht denken, du sollt deine scheiß-Befehle ausführen! Geht das nicht in deinen Miniaturschädel, du Schlampe?“
Entsetzt wichen die anderen Bediensteten zurück. Maya war auf dem Boden gelandet und starrte wie ein Kaninchen den Habicht ansieht zu Samira hinauf. Deren Stimme war dunkel und rau geworden: „Hundertmal habe ich dir gesagt, wie gefährlich die Sender sind! Und du hörst! Nicht! Zu!“ Mit jedem Wort trat sie Maya in die Rippen. Stöhnend wälzte sich die Frau auf dem Boden. Samira ließ ihr Gelegenheit, sich auf die Hände aufzurichten und ein wenig Blut zu spucken.
„Steh auf!“
Maya erhob sich zitternd. Ein roter Speichelfaden lief ihr vom Kinn. In ihren Augen standen Tränen.
„Es … es tut mir leid!“, heulte Maya.
„Es tut dir leid“, stellte Samira nüchtern fest. „Es tut dir leid, dass du die dümmste Kackbratze der Welt bist.“
„B-bitte!“, stotterte Maya und wich zurück. Sie hob beide Hände zur Abwehr und stieß mit dem Rücken gegen die Wand.
Samira atmete tief durch. Karo erschien es, als würden ihre Augen leuchten. Sie fasste Maya am Kragen, ohne ihr jedoch weh zu tun. Maya zitterte und atmete so schnell und flach, dass sie genauso gut den Atem hätte anhalten können.
Samira legte ihr sanft die Hand über die Brust. „Sag es nochmal.“
„Es … tut mir … so unendlich“, plötzlich legte Jason Karo den Arm um die Schultern. Er drehte sie um und drückte ihr Gesicht gegen seine Brust und flüsterte: „Sieh nicht hin!“
„... Leid – Aaaaaaaaaaah!“, Mayas Geständnis erstickte in einem bestialischen Schmerzensschrei. Maya hörte einige andere Frauen kreischen und spürte eine Hitze wie von Feuer im Nacken. Sie klammerte sich an Jasons Hemd und spürte, wie er darunter bebte. Hinter sich hörte sie Flammen knistern und Samira laut lachen.
Als es wieder still war, entfernten sich Samiras Schritte. Auch eine ganze Weile danach löste sich Karo nicht von Jason. Erst dann wagte sie es, hinter sich zu sehen.
In einem schwarzen Brandfleck lagen verkohlte und deformierte Knochen. Mehr war nicht von Maya geblieben.