Unterricht:
Mira lief rückwärts und vertraute darauf, dass Sam, der vor ihr ging, sie vor allen Stolperfallen warnen würde.
„Also gut, Amy!“, sagte sie und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit ihrer erschöpften Novizin zu fesseln. „Was weißt du über weiße Frauen?“
„Weiße Frauen?“, fragte Amy irritiert. „Meinst du im Gegenteil zu Afrikanerinnen?“
„Nein“, sagte Mira etwas enttäuscht. „Im Sinne von Fabelwesen.“
„Nie gehört“, sagte Amy und schüttelte den Kopf. Miras Freude wurde etwas gedämpft. Sie war so stolz gewesen, dass Amy organisiert und klug war. Eine Schülerin, die die Theorie schon kannte, wenn sie auch nicht ganz so kaltblütig und mutig wie Luca gewesen war. Sie war sich ziemlich sicher, Sam in ihrem Rücken hämisch kichern zu hören.
„Aber Banshees kennst du, richtig?“
Amy nickte und warf ihr einen fragenden Blick zu. Mira machte eine kreisende Bewegung mit der Hand, um ihrer Schülerin zu bedeuten, dass sie reden sollte.
„Banshees sind Todesfeen, wenn ich mich richtig erinnere“, trug Amy vorbildlich vor. „Ihr Schrei kündigt den Tod desjenigen an, der sie hört.“
„Und wie klassifiziert man Banshees?“, fragte Mira weiter.
„Jetzt übertreibst du“, sagte Samstag. „Das können sie nicht wissen.“
Gleichzeitig berührte er Miras linken Arm leicht. Sie machte einen Schritt nach rechts und entging so einem Schlagloch, in das Amy beinahe stolperte.
„Klassifizieren?“, fragte Amy, nachdem sie erfolgreich auf den Beinen geblieben war.
„Wir ordnen die Fabelwesen in Klassen ein“, erklärte Mira widerstrebend. Sie war so stolz gewesen!
„Diese Klassen helfen dabei, zu bestimmen, wie gefährlich unsere Gegner sind, wie sie aussehen, was für Fähigkeiten sie haben … das ist zum Beispiel bei Vampiren unglaublich wichtig, weil es inzwischen so viele Interpretationen gibt. Oder bei Zombies. Und die Unterscheidung von Elfen, Elben, Pixies und Feen ist ebenso wichtig, weil viele dieser Begriffe synonym verwendet werden.“
Amy sah verwirrter aus als zuvor. Luca, der noch einen Schritt hinter ihr ging, grinste aber plötzlich. „Das mit den Vampiren verstehe ich!“
Mira grinste zurück: „Wir müssen eben wissen, ob die glitzern oder dir den Kopf abreißen.“
„Wir waren bei weißen Frauen“, erinnerte Samstag sie mit säuerlicher Stimme.
„Genau. Weiße Frauen gehörten zu den Geistern, wie Banshees auch. Sie sehen sich sehr ähnlich – weiße, zerrissene Gewänder, lange Haare … Weiße Frauen sind immer jung und tauchen an Landstraßen auf. Normalerweise sind sie harmlos. Sie fahren per Anhalter, lassen sich zu einem bestimmten Ort bringen, und wenn man dort ist, sind sie spurlos verschwunden. Außerdem sind sie – im Gegensatz zu Banshees, das sind Geisterwesen – ruhelose Geister. Man muss ihnen also Frieden schenken.“
„Okay …“, sagte Amy langsam.
„Diese Frauen allerdings“, erwähnte jetzt Sam, „haben begonnen, Sterbliche in die Büsche zu locken und Todesprophezeiungen auszusprechen.“
„Liam!“, sagte Luca unvermittelt und wohl auch Amy erinnerte sich an das Verschwinden des Jungen und das blutbeschriebene Banner, das sie gefunden hatten.
„Sie sagen den Tod voraus, wie Banshees, und sie verursachen ihn auch, wie rachsüchtige Geister“, fasste Mira zusammen. „Also müssen wir hoffen, dass sie trotzdem ihren Frieden finden können.“
Amy und Luca wurden blass. „Das war keine fröhliche Waldspazierganglektion, sondern unsere Vorbereitung?“, ächzte Luca.
Mira nickte. „Ja. Wir kämpfen gegen Weiße Frauen.“