Letzter Widerstand:
Amys Hand pochte vor Schmerz. Sie hatte immer noch nicht überwunden, dass ihr plötzlich der kleine Finger fehlte. Blut sprudelte aus der Wunde, und in ihren Ohren erklang ein merkwürdiges Rauschen, das den ganzen Lärm von Außerhalb einfach übertönte.
Amy hob den Blick. Aus dem Wald kamen Samira und Brandon auf sie zu, Wolf und Tiger, Seite an Seite. Luca war verletzt, Sam bewusstlos, und Tobias schwang den Stock in den Händen.
Taumelnd stand Amy auf und trat zu dem kleinen Jungen.
„Gib mir den Stock“, verlangte sie.
Tobias überreichte den Ast ihren blutigen Händen. Amys Herz klopfte, aber ansonsten fühlte sie sich, als wäre sie von ihrem Körper abgeschnitten. Sie schwebte über die Wiese, auf die beiden Raubtiere zu und umfasste den Stock, so fest sie konnte.
Zwei Paar gelber Augen richteten sich auf sie. Amy hob den schweren Stock und schlug zu, als der Tiger nach vorne trat.
Sie war nicht schnell genug. Samira erwischte sie an der Seite. Amy flog durch die Luft und verlor den Ast, dann krachte sie gegen einen Baumstamm und fiel auf den Boden davor.
Ihre Rippen brannten. Sie schnappte nach Luft.
Für einen Moment sah sie nur schwarze Flecken, ehe ihre Sicht wiederkehrte. Samira und Brandon traten auf die drei Wehrlosen zu, die Amy zurückgelassen hatte. Für einen Moment begegnete sie Lucas hilflosem Blick.
Sie wollte sich hoch drücken und zu ihm rennen, aber ihre Arme versagten den Dienst. Zitternd blieb sie liegen. Sie konnte nur zusehen, wie die Raubtiere sich anschickten, ihre Freunde zu töten.
Und dann geschah etwas Seltsames. Ein Gegenstand, vielleicht ein Pfeil, sauste durch die Luft und landete direkt vor den Pfoten des Tigers. Samira sah nach unten, dann explodierte aus dem Pfeil plötzlich eine helle, weiße Stichflamme.
Der Tiger sprang zurück und Luca wurde auf der anderen Seite des Pfeils nach hinten geschleudert. Wie aus dem Nichts bildete sich ein Halbkreis aus weißem Feuer zwischen den Raubtieren und ihren Opfern.
Amy sah mit offenem Mund zu. Das Feuer brannte schnell herunter, schien förmlich im Boden zu versinken, doch jetzt strahlte neues Licht auf: Die Scheinwerfer eines Autos!
Diese Lichter im Rücken traten fünf Mädchen aus dem Wald.
Für einen winzigen Augenblick glaubte Amy, dass Sams Schülerinnen zurückgekehrt waren. Doch auf den zweiten Blick wurde ihr klar, dass sie keine der fünf kannte. Sie erschienen in einer V-Formation, wie ein fliegender Vogelschwarm. An der Spitze ging eine blasse Frau mit schulterlangen, pechschwarzen Locken. Sie trug eine schwere Armbrust vor dem Bauch, hatte einen an ihren Körperbau angepassten Brustpanzer aus Leder an und darunter blitzen mehrere Stoffe und Fetzen von Kleidung hervor. Sie trug hohe Stiefel und einen kurzen Rock, an einem dunklen Gürtel unter dem Harnisch hing ein breiter Säbel.
Rechts neben ihr folgte ein unscheinbares Mädchen mit braunen Haaren, die nur leicht gelockt waren. Sie schien hinter ihrer großen Brille zu verschwinden, in der Hand hielt sie nur einen kurzen Ast als Waffe. Links hinter der Schwarzhaarigen kam dagegen ein Mädchen mit kurzen Haaren in Blau, Grün und Pink, wie eine Ölpfütze. Sie hatte mehrere quietschbunte Objekte in den Händen, trug aber nur ein ärmelloses, weißes Hemd über einer zerrissenen Jeans.
Am linken Ende kam ein jung aussehendes, blondes Mädchen mit einem Frack und einem Umhang, der sich hinter ihr im Wind bauschte. Sie hielt einen geraden Stock von der Länge ihrer Körpergröße in den Händen. Auf der anderen Seite war eine Frau mit wilden, braunen Locken, die sich wie eine Mähne um ihr spitzes Gesicht bauschten, einem schwarzen Mantel und einer Pistole in den Händen.
Auf der Lichtung blieben die fünf stehen. Die Armbrust deutete auf Samira und Brandon, die von den Ereignissen ebenso überrascht waren wie alle anderen.
„Asmodai und Ifrit van Nox!“, rief die Schwarzhaarige mit lauter Stimme. „Ihr werdet diesen Menschen kein Leid mehr zufügen!“
„Anna!“, knurrte Ifrit mit tiefer Stimme. Zum ersten Mal schien die Situation ihrer Kontrolle zu entgleiten.
Die fünf Frauen blieben nicht stehen. Sie rannten nach vorne wie Engel, die zum letzten Kampf vor der Apokalypse eilten.