GREGOR
„Läuft alles nach Plan, Markus?“ frage ich ihn.
„Natürlich, Herr von Wattenstein. Es ist alles so arrangiert, wie Sie es gewünscht haben.“
Mein guter Butler. Obwohl wir uns nun schon so lange kennen, er quasi unter meinen Augen alt geworden ist, kann er sich bis heute nicht dazu überwinden, mich mit du und meinem Vornamen anzusprechen.
Wir haben mittlerweile Mitte Oktober. In wenigen Tagen werde ich nach Deutschland aufbrechen. Offiziell, um mich einem kleinen Kreis als Schriftsteller meiner neuen, durchaus erfolgreichen Romanreihe über Vampire vorzustellen. Romantische Geschichten, keine Horrorszenarien, die vor allem Frauenherzen höherschlagen lassen. Allerdings habe ich, was die Welt der Vampire angeht, natürlich gehörig geflunkert und eine Welt beschrieben, die so nicht der Wahrheit entspricht. Ich kann ja kaum selbst meine Art verraten und damit dem Untergang weihen, oder? Irgendwann würde jemand vielleicht bemerken, dass wir wirklich existieren. Und dann?
Tatsächlich dient mein Besuch aber einem ganz anderen Zweck.
Viktoria wiederzusehen. Wiederzusehen, sie endgültig zu verführen und zu der Meinen zu machen.
Ich muss lächeln. Ich sehe sie noch genau vor mir. Ihre Gestalt, das hübsche Gesicht, die großen ausdrucksvollen Augen und der süße Mund.
Nun ja, zugegen ist das auch keine Kunst bei all den Fotografien, die hier vor mir liegen.
Getroffen habe ich sie im Sommer vor 2 ½ Jahren. Ich bin Schriftsteller und sie hatte mich damals für ihre Zeitschrift interviewt.
Gefallen hatte sie mir sofort – so gut, dass ich recht bald anfing, mit ihr zu spielen. Ich drang in ihren Geist ein und entführte sie mit in meine Zwischenwelt. Dort zeigte ich mich sofort als Vampir und begann damit, sie zu umgarnen und dafür zu sorgen, dass sie mir langsam verfällt.
Gebissen habe ich sie dann aber in der realen Welt. Dadurch habe ich sie zwar noch nicht gewandelt. Aber an mich gebunden.
Ich lasse sie seither beobachten. Das geschieht auch zu ihrem Schutz. Die – wenn auch unwissende – menschliche Braut eines Vampirs zu sein, ist nicht ganz ungefährlich. Feinde meiner Familie könnten ihr etwas antun. Daher ist die Überwachung leider kein reiner Selbstzweck.
Aber nun habe ich lange genug gewartet. Zugegeben, ein paar Jahre sind für einen Unsterblichen natürlich eher eine lächerlich kurze Zeitspanne; aber ich bin trotzdem ungeduldig. Sie ist ein sterbliches Wesen und so lange kann ihr schnell etwas passieren.
So habe ich denn sichergestellt, dass meine kleine Reporterin die ganze Zeit an meiner Seite sein wird. Ich sitze da als Prominenter an längeren Hebel und ICH habe das Programm meines Besuchs detailliert festgelegt. Und dafür gesorgt, dass sie darin eine große Rolle einnimmt.
Doch noch sind wir nicht soweit.
„Es wird nicht einfach für die Dame werden, Herr Graf“ äußert er seine Bedenken.
Ich nicke. „Ja, das mag sein. Aber ihr jetziger Zustand ist es auch nicht.“
Ich bin sicher, Markus hat da eine ganz eigene Meinung und es wäre ihm lieber, ich hätte diese Dame nicht gebissen.
Vielleicht denkt er aber an die Arztodyssee meiner kleinen Frau.
Und das ist etwas, auf das ich nicht wirklich stolz bin.
Kaum wieder in Deutschland begann Viktoria, ihren Hausarzt aufzusuchen, der sie dann zum Neurologen verwies, bis hin zum Psychiater. Ihr Besuch bei mir hatte sie doch mehr durcheinandergebracht, als ich geplant hatte.
Wahnvorstellungen! Also ob!
Wer würde mich als ein Produkt einer Einbildung bezeichnen? Ich, Gregor von Wattenstein, frei erfunden von irgendeinem dahergelaufenen Menschen, wohlmöglich noch eine Hauptperson in einer Geschichte?
Lächerlich!
Ich hatte natürlich schon ein schlechtes Gewissen. So war das nicht geplant gewesen. Sie sollte die verbleibenden Jahre als Mensch noch genießen, nicht alle möglichen Ärzte konsultieren.
Aber wer konnte wissen, dass ihre Großmutter Wahnvorstellungen hatte und die Frau jetzt befürchtete, das geerbt zu haben?
Markus machte mir damals Vorwürfe, und das mit Recht. Anstatt, wie vorgesehen, ihre Erinnerung an den Vampir Gregor so verändern, dass sie alles für einen nächtlichen Traum halten musste, habe ich dies nicht konsequent durchgeführt. Geschuldet war dies wohl meiner Eitelkeit – ich wollte nicht, dass sie mein wahres Wesen nur als Produkt nächtlicher unterdrückter Sehnsüchte abtat. Wir hatten immerhin Arm in Arm in ihrem Bett gelegen – auch wenn nicht mehr geschehen ist. Ich habe es einfach nicht fertiggebracht, dies alles in ihrem Kopf zu einem wirren Brei zu vermengen.
So blieben ihre Begegnungen mit dem Vampir einfach zu klar, als dass sie es ohne Hilfe verarbeiten konnte.
Es hatte mich einige Mühe, Geld und Ausnutzen von ausstehenden Gefälligkeiten gekostet, um ihr einen Arzt zuzuweisen, bei dem ich sicherstellen konnte, die von mir gewünschte Diagnose zu bekommen. Nicht auszudenken was alles hätte passieren können, wenn der Psychiater ihr tatsächlich eine ernsthafte Psychose angedichtet hätte.
Viktoria, was machst du denn für Sachen? Was, wenn man dich zuletzt mit Physiopharmaka oder schlimmeres vollgepumpt hätte?
Wenigstens ist alles noch einmal gutgegangen. Aber mein Butler hat recht – die nächsten Tage werden nicht einfach für meinen Schatz werden.
„Die Familie Lehmann hat vorhin angerufen. Sie wollten wissen, ob alles dabei bleibt und Sie sich mit Frau Helmstett wie verabredet bei ihnen treffen wird.“, teilt mir der Angestellte mit.
„Ich gehe stark davon aus, habe allerdings noch nichts von Viktorias Chefredakteur gehört. Aber ich glaube kaum, dass der Verlag eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt.“, teile ich ihm selbstsicher mit.
Bei meinen Freunden sind wir gut aufgehoben. Vor allem weiß ich, dass ich mich dort um nichts sorgen muss, was meine notwendige Nahrung betrifft. Ich werde bestens mit Blutkonserven versorgt werden. Und sie werden auch dafür sorgen, dass es meiner Reporterin an nichts mangelt.
Wie sie wohl reagiert hat als sie erfahren hatte, dass sie die ständige Begleitung des berühmten Schriftstellers sein wird?
Sicher nicht wenig überrascht. Aber das war meine Bedingung. Keine Viktoria, kein Deutschlandbesuch.
Oder hat sie ihr nichtsnutzige Chefredakteur möglicherweise noch gar nicht darüber informiert?
Die gemeinsamen Tage werden auch helfen, uns noch ein wenig besser kennenzulernen. Obwohl ich sie ja beobachten lasse, wüsste ich einfach gerne mehr von ihr. Nicht nur irgendwelche Daten oder heimlich aufgenommene Fotos.
Vor allem aber sehen wir uns endlich wieder.
Dabei mahne ich mich, geduldig zu sein und sie nicht zu überfordern. Vor allem wenn es darum geht, in ihrem Geist einzudringen und sie in meine Welt hineinzuziehen. Ich werde da diesmal viel vorsichtiger vorgehen oder auch vorerst darauf verzichten.
Trotzdem - sie hat das Spiel schon verloren, bevor wir überhaupt begonnen haben.
„Markus?“ sage ich mit leiser Stimme.
Er weiß, was die Stunde geschlagen hat, wenn ich so frage, das erkenne ich an seiner Antwort: „In Ihrem Büro, wie üblich, Herr Graf?“
Ich nicke. „Und bestell du das Taxi. Das letzte Mal hat sie anschließend wieder allein nach Hause fahren wollen. Wir wollen doch beide, dass Maria wohlbehalten zu Hause ankommt.“
„Ich werde darauf achten.“
„Danke, Markus.“
So ganz recht ist es mir nicht, wieder einmal auf meine Angestellte zurückgreifen zu müssen. Aber die Qualität der Blutkonserven lässt hier in Italien immer wieder zu wünschen übrig. Die letzte Charge war ungenießbar und ich musste etliche Blutbeutel reklamieren. Ich weiß nicht, was da immer schiefläuft. Irgendwie scheint da die Kühlkette nicht eingehalten worden zu sein.
Gerade jetzt, da ich mich wieder binden möchte, erscheint es mir unpassend, mich ausgerechnet an einer anderen Frau zu laben. Aber Maria macht es gerne und freiwillig – demnach ist sie trotz allem vermutlich die beste Wahl. Besser auf jeden Fall, als mir ein zufälliges Opfer auszusuchen.
Für meinen Aufenthalt in Deutschland muss ich mir glücklicherweise diesbezüglich keine Gedanken machen, auch wenn Maria hier in Italien bleiben wird. Die Qualität meiner „Nahrung“ ist bestens, das haben mir meine Freunde versichert. Und notfalls sei es kein Problem, mir direkte Spender zu besorgen, sollte ich es brauchen.
Auch aus diesem Grunde freue ich mich auf die Rückkehr nach Deutschland, wenn ich auch nicht mehr auf Dauer dort leben möchte. Dafür ist mir das Wetter zu unbeständig, zu nass und kalt. Und die deutschen Beamten haben mir immer mehr Arbeit bereitet als ihre italienischen Kollegen. Ein Nachteil einer gut funktionierenden Bürokratie.
Seufzend nicke ich Markus zu, der sich mit einem Nicken verabschiedet, um Maria aufzusuchen.