GREGOR
Ich bin gerade dabei, an einigen Formulierungen meines neuen Romans zu feilen, als die Vibration meines Handis mich aufschauen lässt.
Als ich auf das Display schaue, muss ich lächeln.
Herbert.
Ich greife zu meinem kleinen Telefon.
„Zum Gruß, alter Krieger. Was gibt es?“, melde ich mich.
„Hallo Gregor. Entschuldige bitte, dass ich dich störe.“
„Du störst nicht.“, beruhige ich ihn. „Was gibt es?“
„Deine Viktoria hat eben bei mir angerufen.“
Verwundert blicke ich auf. „Sie hat dich angerufen?“
„Ja, ich war auch überrascht.“, stimmt er mir zu.
„Und was wollte sie?“ Nun bin ich hellwach.
„Sie war ein wenig verwirrt. Wollte wissen, ob das tatsächlich alles seine Richtigkeit hat. Du weißt schon, ihre Unterkunft bei uns.“
Ich muss grinsen. Ja, das kann ich mir gut vorstellen, dass sie verwirrt war, meine kleine Artikelschreiberin.
Neugierig erkundige ich mich: „Und, was hast du gesagt? Konntest du sie beruhigen?“
„Natürlich“, antwortet er zufrieden. „Ich habe ihr allerdings nicht verraten, dass wir alte Freunde sind, da ich nicht sicher war, ob das in deinen Plan passt. Aber sie weiß nun, dass wir sie erwarten und alles den Wünschen eines gewissen ‚Gregorius von Wattenstein‘ entspricht.“
„Ich danke dir, altes Haus.“ Ja, tatsächlich ist er etwa 70 Jahre älter. Die Sterblichen nehmen jedoch an, dass jünger als ich bin, da er bereits mit 25 Jahren gewandelt wurde.
70 Jahre ist für uns Vampire natürlich nichts, kaum mehr als ein Wimpernschlag, angesichts unserer jahrhundertelangen Existenz. Wir verstehen uns prächtig und sind offen und ehrlich zueinander, was man auch an seiner anschließender Frage erkennen kann: „Was mich nur wundert, Gregor – weshalb hat sie dich nicht angerufen? Hast du sie so eingeschüchtert?“
„Sie hat meine Telefonnummer nicht“, erkläre ich ihn.
„Sie hat deine… das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du hast ernstes Interesse an ihr und gibst ihr nicht einmal die Möglichkeit, dich anzurufen?“ Seine Verblüffung ist ihm deutlich anzuhören.
„Ich wollte sie nicht zu sehr ablenken, sondern ihr die letzten menschlichen Jahre so angenehm wie möglich machen.“, erkläre ich geduldig. „Hätte sie meine Nummer, würden wir ständig telefonieren.“
‚Da ich selbst ihr nämlich auch nicht widerstehen kann‘, führe ich in Gedanken hinzu.
Ich mag sie durch meinen Biss ab mich gebunden haben – mir selbst geht es aber keinen Deut besser. Mich von ihr fernzuhalten, fällt mir ausgesprochen schwer.
Offensichtlich weiß Herbert das auch, denn ich höre ihn kurz auflachen, ehe er antwortet: „Wen willst du hier was vormachen, Gregor? Ich wundere mich nur, warum du sie nicht gleich zum Vampir gemacht hast.“
„Ich wollte keine Marionette. Du weißt selbst, was passiert, wenn die Wandlung zu schnell vonstatten geht. Schließlich hast du bei Elisabeth auch gewartet. Aus genau diesem Grund.“
„Aber ich habe mich nicht über zwei Jahre versteckt“, gibt er zu Bedenken. „Ich habe sie die ganze Zeit umworben, nach alter Väter Sitte und musste sie gar nicht vorsorglich vorher binden. Dass ich sie gebissen habe, hat sich von ganz alleine ergeben. Glaub mir, die Frauen von heute stehen immer noch darauf, wenn man ihnen den Hof macht. Auch wenn sie es niemals zugeben würden.“
Er kennt seine Lebensgefährtin seit gut 50 Jahren. Insofern hinkt diese Argumentation etwas. Trotzdem hat er sicher nicht unrecht. Und Elisabeth war als Mensch schon sehr aufgeschlossenen und vielseitig interessiert, insofern ist er eher auf dem Laufenden, was die aktuelle Welt und Trends angeht.
„Vik ist jünger als ich zum Zeitpunkt meiner Wandlung, insofern ist unsere Situation etwas komplizierter. Ich möchte nicht, dass sie sich immer wieder anhören muss, sie hätte mich, den etwas älteren Grafen, nur wegen des Geldes geheiratet.“
Es dauert einen kurzen Moment, bis er reagiert. „Ja, von dieser Seite her kann ich dich verstehen. Andererseits wird unter den Sterblichen gerne gelästert, wenn der Neid hochkommt. Sie werden es also auch behaupten, wenn ihr scheinbar gleich alt seid. Und, so nebenbei, wir wissen beide, dass ein paar hundert Jahre nicht weiter schlimm sind.“
Scherzkeks.
Aber in einem hat er leider recht – die Leute reden immer. Deshalb lebe ich zurückgezogen und deshalb müssen wir Vampire immer wieder untertauchen. Wir Blutsauger müssen schließlich im Reich der Sagen und Legenden bleiben.
Deshalb hatte ich sie gehen lassen. Nur vorerst natürlich. So konnte jeder von uns noch einige Zeit sein altes Leben weiterführen.
Weiter habe ich Viktoria natürlich unterstützt, so wie sich das für eine Partnerschaft gehört. Auch wenn sie das noch nicht weiß.
Nicht zuletzt durch meine Hilfe und den geteilten Informationen war ihre Artikelserie ja so erfolgreich. Was mich sehr glücklich und auch ein wenig stolz gemacht hat.
Der schöne Nebeneffekt war, dass wir dadurch weiterhin – zumindest in gewisser Weise – Kontakt hatten und sie gezwungen gewesen war, sich mit mir auseinanderzusetzen. Oder besser gesagt, mit meiner Rolle als Schriftsteller.
Doch nun habe ich lange genug gewartet. Sie gehört mir bereits und es wird Zeit, dass sie es begreift. Wir gehören zusammen.
Ein Grund, der mich warten ließ, war tatsächlich unser Altersunterschied. Genauer gesagt unsere äußere Erscheinung. Da ich nicht altere, würde sich das mit den Jahren angleichen.
Nun ist damit Schluss. Mein Freud hat recht. Es ändert nichts an der möglichen Missgunst oder Neid, wenn ich das tue. Davon abgesehen, ist sie ja noch ein Mensch und daher kann ihr jederzeit etwas zustoßen.
Ein Gedanke, der mir nun gar nicht gefällt.
„Du sagst es, Herbert.“, bestätige ich deshalb. „Aus diesem Grund kommt sie ja her.“
Er kommt nicht dazu, etwas darauf zu erwidern. Eine Frauenstimme ist zu hören.
Was sie sagt, kann ich nicht verstehen, trotz meines guten Gehörs. Dazu ist sie zu undeutlich. Allerdings weiß ich genau, WER da spricht.
„Warte mal einen Moment.“, bittet mein alter Kamerad. Ich meine zu hören, dass er sein Telefon auf die Seite legt.
Nun höre ich beide nur noch im Hintergrund diskutieren. Zu weit weg, um ihrer Unterhaltung zu folgen.
Schade eigentlich.
Ja, Elisabeth ist eine starke Frau und nicht immer leicht zu bändigen. Seit ihrer Wandlung ist sie noch viel selbstbewusster geworden und zwischen den beiden fliegen nun mal oft die Fetzen. Langweilig wird es den beiden jedenfalls nie.
Und letztendlich wollen sie es auch nicht anders.
Der Wortwechsel der beiden geht noch einige wenige Minuten, dann kann ich so etwas wie „Ja gut, ich frage ihn.“ verstehen. Kurz darauf meldet sich Herbert wieder: „Beth liegt mir damit schon die ganze Zeit in den Ohren. Eigentlich seit sie weiß, dass deine Lebensgefährtin bei uns nächtigen wird. Sie ist irre neugierig und würde dich gerne mit Fragen löchern.“
Lauter Protest im Hintergrund. „Hey! Ich möchte einfach wissen, wer uns da besuchen kommt!“
Ich muss grinsen. Und ob sie Viktoria unbedingt kennenlernen möchte. Aber zugeben würde sie es nie.
Aber es schadet nicht, sie ein wenig aufzuklären. Nicht, dass ihr noch ein Fehler passiert und meine Reporterin zu früh die Wahrheit über mich erfährt.
Ich will nicht wissen, wie sie reagieren wird, wenn sie es weiß – dass alles wahr war, kein Traum oder Wahnvorstellung. Dass ich wirklich ein Vampir bin und sie gebissen habe.
„Kein Problem! Gib sie mir einfach.“, erkläre ich deshalb.
Lange brauche ich auch nicht zu warten.
„Hallo Gregor“, höre ich sie atemlos. „Also mein Mann übertreibt wirklich. Ich möchte nur, dass sich unser Gast wohlfühlt.“
„Das ist schon in Ordnung, Elisabeth. Ein paar Informationen sind sicher hilfreich.“
„Das meine ich doch auch.“
So beginne ich also. Bisher habe ich Herbert und seiner Frau nur erzählt, dass ich meine Herzensdame gefunden und gebissen habe, sie die Wahrheit aber nicht kennt und wieder abgereist ist.
Zum ersten Mal erzähle ich ein wenig mehr über sie – die näheren Umstände unseres Treffens, und über was wir uns damals in der Toskana unterhalten hatten. Ja, auch dass ich Viktoria beobachten lasse.
Beth hört sich alles schweigend an. Sehr überraschend – ich habe an ihrem empörten Schnauben sehr wohl gemerkt, dass sie mit meinem Stalking ganz und gar nicht einverstanden ist.
Als ich endlich zum Schluss komme, herrscht erst mal Stille am anderen Ende der Leitung. Dann ein Räuspern, ehe ich ihre Stimme wieder höre. „Also dir ist jetzt schon klar, dass das die verrückteste Geschichte ist, die ich je gehört habe, oder?“
„Inwiefern?“
„Hör mal – du beißt sie, sie hält es aber für einen Traum. Wohlmöglich zweifelt sie noch an ihrem Verstand.“
Gut, dass ich ihr nicht gesagt habe, dass meine kleine Reporterin sogar beim Psychiater war.
Aber sie spricht schon weiter: „Und dann hält sie dich noch für einen verrückten Freak, der mit seinen adligen Snobs Vampire spielt. Gleichzeitig hat sie durch eure Verbindung sicher große Sehnsucht nach dir und du tauchst mehr oder weniger ab.“
Jetzt klingt sie wie ihr Mann.
„Die arme Frau. Sie tut mir echt leid.“
„Es geht ihr gut, Elisabeth, glaub mir. Ich wollte ihr einfach noch ein wenig Zeit geben.“
Sie seufzt hörbar. „Ihr oder dir? Hör mal, es ist wie es ist, aber ich bin froh, dass du endlich ein Einsehen hast und sie zu dir holt. Ich bin auch sehr gespannt auf sie.“
Elisabeth hatte sich mit meiner ermordeten Frau Dorothea sehr gut verstanden.
Ob es wieder so sein wird?
Ich hoffe es. Wenn sich die beiden gut verstehen, wäre es für alle einfacher. Elisabeth vermisst unseren Kontakt ein wenig, den sie durch Dorothea auch mit mir hatte und hofft dadurch, daran wieder anknüpfen zu können. Und eine Vampirfrau als Freundin und Ratgeberin wäre für meine Vik sicher eine große Hilfe.
„Du wirst sie mögen. Ich möchte dich nur bitten, langsam vorzugehen. Das wird alles schwer genug für sie.“, erkläre ich deshalb.
„Ja. Da muss die Arme noch einiges verdauen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich reagieret habe, als die Wahrheit herauskam. Von der Wandlung danach und dem neuen Leben als Vampirin noch ganz zu schweigen.“
Das dürfte in der Tat spannend werden.
Sie holt kurz Luft, bevor sie weiterspricht: „Mach dir keine Sorgen. Bei uns seid ihr beide gut aufgehoben. Allerdings…“
Allerdings was? Weshalb spricht sie nicht weiter?
„Allerdings solltest du ihr im Laufe deines Deutschlandbesuchs die Wahrheit sagen. Denn solltest du es nicht, so werde ich es tun.“