VIKTORIA
Seit der Absage habe ich nichts von dem Grafen gehört. Was mir wiederum gemischte Gefühle beschert.
Auf der einen Seite bin ich erleichtert. Gregor hat seinen Besuch nicht abgesagt. Und dies hätte er doch sicher, wäre er wirklich verärgert und würde großen Wert auf meine Begleitung legen, oder?
Dummerweise ist es gerade das, was mich auch enttäuscht. Ich kann ihn einfach nicht vergessen; es ist mit dem Abstand sogar eher schlimmer geworden. Täglich muss ich an ihn denken und habe Sehnsucht nach ihn.
Nach einem Menschen, den ich kaum kenne und der in einer ganz anderen Welt lebt als die meine. Das ist furchtbar albern. Trotzdem bekomme ich ihn nicht aus meinem Kopf.
Auch aus diesem Grunde ist es sicher richtig gewesen, ihm eine andere Begleitung vorzuschlagen, auch wenn mein Herz dabei blutet. Aber wie sonst darüber hinwegkommen?
Natürlich spielt auch dieser unheimliche Besuch von Robert Müller in meinem Büro eine Rolle. Ein unangenehmer Gast und ich kann mich gut an meine Erleichterung erinnern, als er das Zimmer wieder verlassen hatte. Normalerweise lasse ich mich nicht so schnell einschüchtern, aber dieser Mann hatte etwas Bedrohliches an sich gehabt. Warnung hin oder her – wenn mein Schriftsteller gefährlich ist, so ist er es auch.
Vermutlich hätte ich auch ohne diesen Vorfall Zweifel gehabt, mich mit dem Grafen zu treffen. Aber sie war der berühmte letzte Tropfen, der dafür gesorgt hatte, dass ich diesen Entschluss fassen konnte.
Es geht dabei nicht wirklich darum, ob ich diesem Typen glaube oder nicht – hätte Gregor mir schaden wollen, wäre in Italien genug Möglichkeit dazu gewesen. Und der Versuch, mir das Treffen auszureden, würde mich unter anderen Umständen eher anspornen, genau das Gegenteil zu tun.
Es ist die Besessenheit für diesen Adligen, die mich letztlich dazu bewogen hat, dem Schriftsteller mit Hilfe eines erfundenen Freundes abzusagen.
Irgendwie armselig. Aber was soll ich tun?
Vielleicht war es aber doch ein Fehler? Ihn wiederzusehen und mit ihm zu sprechen könnte meine Faszination für ihn schließlich auch dämpfen.
Gregor, Gregor, was machst du nur mit mir?
Wütend über mein Teenagergehabe hämmere ich auf die Tasten meines PCs.
Ob er wohl noch so aussieht wie damals? Die gleiche Frisur hat? Seine langen Haare, das hat mir damals wirklich sehr gefallen. Und seine Stimme – wie war sie nochmals genau? Habe ich sie richtig in Erinnerung?
In diesem Augenblick klingelt mein Telefon. Wie ich dem Display entnehmen kann, ist es Frank.
Im Augenblick bin ich über jede Ablenkung froh, sogar, wenn es mein Chef ist. Hastig greife ich zum Hörer.
„Ja, Frank?“
„Hallo Viktoria. Du hattest dem Grafen doch per Mail abgesagt, oder?“
„Ähm.. ja?“
Was ist nun los?
Natürlich weiß Frank Bescheid. Ich konnte dem Schriftsteller ja schlecht absagen, ohne das vorher abzusprechen.
Die Reaktion von meinem Chef war denn auch seltsam gewesen und ich habe dieses Bild noch sehr deutlich vor mir. Ich konnte klar Freude, wenn nicht gar Triumph in seinen Gesicht erkennen. Nur für einen Augenblick. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, mir das nicht eingebildet zu haben.
Das folgende Gespräch lief jedoch in eine ganz andere Richtung; fast so, als würde Frank sicherstellen wollen, dass ich keine entsprechenden Schlüsse ziehen würde. Geschäftsmäßig brachte er seine Bedenken hervor – dass es riskant sei, dem als eigenwillig verschriehenen Schriftsteller Gegenvorschläge zu machen. Nichtsdestotrotz einigten wir uns rasch auf das weitere Vorgehen und meine vorgeschlagenen Kollegen sind fähige Leute. Denn trotz seiner Bemühungen wirkte der Chefredakteure alles andere als überzeugend.
Und nun scheint es also ein Problem mit meiner Absage zu geben?
„Komm doch bitte mal kurz in mein Büro“, reißt mich der Mann aus meinen Gedanken.
Toller Tag!
Ich aktiviere die Rufumleitung und erhebe mich von meinem Stuhl. Franks Refugium ist ja nicht weit weg. Seine Bürotür ist offen und er winkt mich hinein.
Ich husche hinein und schließe die Türe hinter mir.
„Nimm doch Platz“.
Schweigend folge ich seiner Aufforderung und setzte mich auf den Besucherstuhl, ihm direkt gegenüber.
„Du hattest unserem Herrn doch abgesagt, oder?“, kommt er gleich auf den Punkt.
„Ja, so, wie wir es abgesprochen hatten“, bestätige ich.
„Und du bist sicher, dass er deine Mail auch gelesen hat?“
Eine Anfängerin bin ich nicht und hatte eine Zustellungs- und Lesebestätigung angefordert. Daher weiß ich, dass die Nachricht noch am gleichen Tag, bzw. in der darauffolgenden Nacht, gelesen wurde. Oder zumindest geöffnet. Von Gregor oder wen auch immer.
Dies ist auch die Antwort, die ich meinem Gesprächspartner gebe.
„Die Mail war klar und eindeutig formuliert, da gab es nichts misszuverstehen“, füge ich noch rasch hinzu.
„Wie auch immer.“ Frank knurrt fast. „Deine Ablehnung ist nicht bei unserem Empfänger angekommen. Oder wurde klar ignoriert. Dieser Schriftsteller“, er spukt das Wort beinahe verächtlich aus, „beziehungsweise sein Büro hat uns einen detaillierten Plan geschickt, wie der Besuch ablaufen wird. Ich werde ihn dir gleich weiterleiten.“
Hmm.
Das hatte er doch schon vor einigen Tagen getan. In einem dicken Umschlag. Weshalb jetzt erneut und warum plötzlich per E-Mail?
„Er hat nochmals einen Plan geschickt? Und ich bin wieder ein Teil davon?“, hake ich nach. Dass der Adlige meinen Wunsch so ignoriert, passt nicht zu ihm.
Zumindest schätze ich ihn so ein. Ich kenne ihn ja nicht wirklich.
„Genauso ist es. Wenn es nur das wäre…“
Oh! Mein Vorgesetzter wirkt reichlich angepisst. Nein – er ist es. Aber warum? Seine Reaktion erscheint mir ein wenig übertrieben. Was steht denn nun so Ungewöhnliches in Gregors Nachricht?
„Frank kannst du mir sagen, was los ist?“
„Wie genau erinnerst dich noch an den Inhalt des Umschlages, die ich dir damals gegeben hatte? Hast du ihn noch oder schon an Amelie oder Franz weitergereicht?“
„Nein. Da Herr von Wattenstein nicht geantwortet hatte wollte ich abwarten, für wen er sich entscheidet. Die ganzen Unterlagen liegen noch in meinem Büro“, erkläre ich ihm. „Aber ich kann mich noch gut an den Ablauf erinnern, der dabei war.“
„Im Prinzip ist es das Gleiche wie damals, als Anlage beigefügt. In der Nachricht wird allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser… Typ möchte, dass du ihm – ich betone exklusiv du – während der ganzen Reise zur Verfügung stehst. Das beinhalte auch die Übernachtung am gleichen Ort.“
Oha! Mir schwant, dass das noch nicht alles ist. Und ich soll recht behalten, denn schon fährt er fort: „Die meiste Zeit auch noch privat bei diesem ominösen Geschäftspartner. Wahrscheinlich wäre es ihm am liebsten, du wärst mit ihm auch noch nachts zusammen in einem Zimmer. Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass der Ablauf nicht verhandelbar ist und wenn, dann nur von diesem Querkopf selbst abgeändert werden kann.“ Die Stimme meines Vorgesetzten ist mehr als nur aufgebracht.
Verdammt! Frank ist eifersüchtig! Und das nicht zu knapp!
Andererseits hört sich das in der Tat alles sehr seltsam an.
Hatte ich befürchtet, Gregor würde keinen großen Wert auf meine Begleitung legen? Da habe ich mich wohl gründlich geirrt.
Nein, er hat meine Absage nicht ignoriert, wie Frank es formuliert hatte. Das ist eine klare Kampfansage.
Auf jeden Fall muss ich meinen Chef beruhigen.
„War das nicht ursprünglich auch so vorgesehen? Diese individuelle Unterkunft? Und dass ich ihn begleite?“
Mein Gegenüber nickt widerwillig. „Ja. Aber es war nie die Rede von Exklusivität deinerseits und Festnageln seiner Vorstellungen gewesen. Zumindest nicht in dieser Deutlichkeit. Ich hatte gehofft, dies noch ein wenig entschärfen zu können, schließlich haben wir ja noch genug andere Kollegen und Kolleginnen. Davon abgesehen, hat er an seinen Besuch noch drei Tage nach hinten verlängert.“
„Was ist da denn vorgesehen? Weitere Lesungen?“, erkundige ich mich neugierig.
„Nein. Sightseeing mit Viktoria Helmstett“, ist seine frustrierte Antwort. „Zumindest steht es hier so. Was er in Wahrheit im Schilde führt, will ich gar nicht wissen.“
Ich kann ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Dieser Gedanke ist für mich alles andere als erschreckend.
Trotzdem sollte ich dies meinem Vorgesetzen nicht so offen zeigen und ihm stattdessen entgegenkommen.
„Mach dir keine Sorgen, ich kläre das“, entgegne ich daher. „Ich lese die Mail von ihm gleich durch und schreibe zurück.“
„Du wirst ihn anrufen müssen“, ist seine schlechtgelaunte Antwort.
„Ich habe seine Nummer nicht“, erkläre ich geduldig. „Gre… Herr von Wattenstein scheint großen Wert auf Diskretion zu legen. Wir haben immer nur schriftlich miteinander kommuniziert. Das einzige und letzte Mal, dass ich seine Stimme gehört habe, war damals in der Toskana vor zwei Jahren.“
Er nickt. Scheinbar besänftigt ihn das ein wenig. „Das war sicher klug. Diesmal wird das aber nicht reichen. Lies einfach die Mail durch, die ich dir dann gleich schicke, dann verstehst du schon, was ich meine.“ Er zögert kurz, dann fährt er fort: „Wir können es uns strenggenommen nicht leisten, das Angebot dieses Wattensteins abzulehnen oder ihn sonst wie zu brüskieren. Trotzdem gefällt mir seine einnehmende Art nicht – nun noch viel weniger.“
„Sicher gibt es da eine ganz harmlose Erklärung“, beschwichtige ich, auch mich selbst. „Er erwähnte damals beim Interview, dass er zurückgezogen lebt. Er kennt mich ja nun ein wenig und besteht vielleicht deshalb auf meine Person. Und mach dir keine Sorgen, ich kann auf mich aufpassen. Dass ich professionell genug bin, um den notwendigen Abstand zu wahren, versteht sich von selbst.“
„Das weiß ich doch, Viktoria.“ Nun lächelt er freundlich. „Und wie ich dir neulich schon sagte, kannst du immer zu mir kommen oder mich anrufen.“
Einen feuchten Kehricht werde ich tun. Fast könnte man meinen, Frank möchte genau das – dass Gregor mich bedrängt und er dann als großer Retter dastehen kann.
Aber zu beidem wird es nicht kommen. Laut aber entgegne ich: „Ich kläre das mit ihm ab. Aber vielen Dank für dein Angebot.“
„Vergiss es nicht.“ Zwei große Falten zeichnen sich auf seiner Stirn ab, als er fortfährt: „Wie ich schon sagte, kann ich wenig dagegen tun. Dieser Kerl scheint wohl einen Narren an dir gefressen zu haben. Wenn du später mit ihm telefonierst denke bitte daran, auf deine Privatsphäre hinzuweisen. Die Firma ist wichtig, aber dein Wohlergehen noch mehr.“
Hat Frank mir gerade nicht zugehört? Ich habe doch gerade erst gesagt, dass ich Gregors Nummer nicht habe.
Mein Vorgesetzter scheint jedoch keine Antwort zu erwarten, sondern fährt schon fort: „Stell das Telefon auf Yvonne um, damit du dir alles in Ruhe durchlesen kannst. Am besten fängst du gleich damit an.“