*
GREGOR
„Du hast also keinen Plan, Gregor, wann du es ihr sagen möchtest?“, wundert sich Elisabeth.
Meine Antwort besteht aus einem Kopfschütteln. „Ich weiß noch nicht mal, ob ich es ihr überhaupt verraten werde.“
„Ich glaube, du hast etwas entscheidendes vergessen“, höre ich ihre triumphierende Stimme. „Ich hatte es dir doch am Telefon gesagt – notfalls sage ICH es ihr.“
Stimmt, da war was.
„Langsam, Beth“, versucht Herbert zu beschwichtigen. „Lass und doch erst mal bereden, wo diese Reporterin schlafen wird. Möchtest du sie lieber in deiner Nähe, Gregor oder etwas abseits, damit du ungestört But trinken kannst, wenn dir danach ist?“
„Ihr werdet die arme Frau doch nicht ganz allein lassen“, protestiert die Vampirin sofort. „Das wird eh schwer genug für sie werden, die nächsten Tage.“
„Lass unseren Gast entscheiden“, bittet ihr Mann mit einem leichten Seufzen. „Er kennt sie besser als wir beide.“
„Ich weiß nicht…“, zögert sie, gab aber widerstrebend nach.
Ich antworte nicht sofort. Die Entscheidung ist in der Tat nicht einfach.
Herbert hat, so wie ich, entsprechende Kühlschränke in den Gästezimmern – nicht wie ich etwas versteckt, dafür mit einem Zahlenschloss gesichert. Für die Reporterin müsste man den Inhalt eben dann umfüllen, so wie ich es selbst damals in der Toskana tat. Insofern sollte ich mich jetzt schon festlegen.
Gekühlte Konserven direkt zu trinken, ohne sie zu erwärmen, ist nicht ideal, aber geht zur Not. Vergleichbar mit kalten Kaffee oder warmen Bier bei den Menschen. Trotzdem ist es praktisch, wenn jeder Gast sein eigenes Blut in seiner Unterkunft hat und es bei Bedarf erwärmen lässt. Dieses Vorgehen hat sich bewährt, damit es gerecht zugeht und einzelne Blutsauger können bei speziellen Vorlieben ihre eigene Nahrung mitbringen.
Im meinem Fall werde ich auf jeden Fall auch einen Spender aus dem Katalog ausprobieren. Zwar habe ich in der Toskana des Öfteren auf Maria zurückgegriffen, wohl war mir dabei jedoch nie. Auch wenn ich es nur in Notfällen tat – also auf Grund mangelnder Qualität der Lieferungen – so fühlte es sich doch jedes Mal wie Ausnutzen an.
Ich habe es der Italienerin immer so angenehm wie möglich gemacht – Tatsache ist aber, dass sie ein wenig verliebt in mich ist und daher ist mir der Gedanke, mich von ihr zu nähren, unangenehm.
Bei den aufgelisteten Spendern aus dem Katalog sieht die Sache etwas anders aus – hier bezahle ich dafür und es dürften daher keine tieferen Gefühle entstehen. Und man hat nicht nur eine Auswahl der verschiedenen Blutgruppen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Geschmacksnuancen, die sich durch die Lebensweise und Ernährung der Kandidaten ergeben.
Ich bin zugegeben viel zu neugierig, um es nicht auszuprobieren.
An den anderen Tagen kann Markus sicher die Konserven in Herberts Küche erwärmen. Das ist ohne großes Aufsehen zu erregen machbar, da genug Personen anwesend sind, um Viktoria abzulenken. Notfalls ziehe ich mich unter einem Vorwand zurückziehen – die Reporterin weiß, dass Herbert ein alter Freund ist und was wäre da naheliegender, als untereinander Männergespräche zu führen? Dass diese in Wirklichkeit aus Bluttrinken bestehen, braucht sie ja nicht zu erfahren.
Und falls doch – hat Elisabeth nicht selbst beschlossen, der Sterblichen die Wahrheit zu sagen, sollte ich es nicht tun?
Andererseits habe ich Viktorias seltsames Verhalten nicht vergessen. Ich werde die Ursache sicher bald herausfinden, aber vermutlich nicht am ersten Tag.
Vielleicht braucht sie deshalb am Anfang ein wenig Abstand? Nicht, dass wir sie damit sofort in die Flucht schlagen. Das Gleiche könnte geschehen, wenn sie die Wahrheit erfährt. Die Menschen reagieren manchmal etwas seltsam.
Die Lösung liegt somit auf der Hand.
Meine Freunde schauen mich gespannt an, als ich zu einer Antwort ansetze:
„Herbert, können wir ihr beides anbieten? Dann kann sie entscheiden. Oder wir halten ihr alle Zimmer vor, so dass sich später umentscheiden kann, wenn es für sie nötig sein sollte. Wäre das für dich annehmbar?“
„Oh, Gregor, das finde ich eine ausgezeichnete Idee.“ Elisabeth klatscht begeistert die Hände. „Manchmal überrascht du alter Griesgram mich doch“, fügt sie noch rasch mit einem Augenzwinkern hinzu.
„An welche Zimmer hast du denn gedacht?“, frage ich meinen Freund nach, ohne auf ihre kleine Stichelei einzugehen. Gleichzeitig suche ich Markus Blick und schüttle leicht den Kopf.
Ich weiß, dass es dem Butler auf der Zunge liegt, mich zu verteidigen. Aber das ist Beth und damit muss man umgehen können. Mein Diener weiß das, aber er ist mir gegenüber sehr loyal und daher ist es für ihn nie leicht, wenn jemand mich aufzieht.
„Ich dachte, ich bringe euch im dritten Stock unter, da wärt ihr ein wenig ungestört und hättet den ganzen Block für euch allein. In der ersten Etage schlafen ja wir. Ich könnte dich im vordersten Zimmer einquartieren, und deine Viktoria gleich daneben. Alternativ wären dann der letzte Raum im dritten Stock oder eines der Appartements im Dachgeschoss.“
Das Herrenhaus besitzt nur drei echte Stockwerke – das Obergeschoss ist nur teilweise ausgebaut und beinhaltet zwei Gästezimmer.
„Könntet ihr auch alle drei Unterkünfte herrichten? Wenn es nicht zu viele Umstände macht. Markus kann sicher behilflich sein – wenn es für dich in Ordnung ist?“
„Selbstverständlich, Herr Graf.“
Herbert nickt. „Das ist kein Problem. Insbesondere die Zimmer ganz oben sind eh kaum belegt und auch ohne Kühlschrank. Die anderen zwei richten wir eben menschengerecht ein.“
„Ich freue mich schon sehr auf deine Herzensdame“, verrät die Vampirin. „Und ich habe so lange nicht mehr gekocht. Glücklicherweise haben wir doch bisweilen Sterbliche in diesem Haus, so dass unsere Küche voll funktionsfähig ist und ich das Kochen noch nicht ganz verlernt habe. Wenn ich auch früher geübter war, was das angeht.“
„Habt ihr auch menschliche Übernachtungsgäste?“, frage ich wissbegierig. „Und du kochst bei diesen Gelegenheiten?“
„Bisweilen. Dafür sind eben die zwei oberen Zimmer. Du weißt ja, Kontakt mit Sterblichen ist nicht unproblematisch, daher hält sich dies in Grenzen. Ungeladene Besucher haben wir sowieso nicht.“
Das ist natürlich ein Problem. Nicht wegen dem Blutdurst – den haben wir durch unsere Vorräte im Griff – sondern es ist die Tatsache, dass wir nicht altern.
Irgendwann fällt das auf und wir müssen den Kontakt abbrechen. Oder man begrenzt sich ab einem gewissen Zeitpunkt aufs Telefonieren. Was nicht leicht ist, vor allem, wenn einem die Menschen ans Herz gewachsen sind - diese Freunde sterben uns irgendwann davon und wir bleiben zurück, das tut weh.
Beides Dinge, die uns Vampiren nicht leichtfallen.
„Raffinierte Gerichte überfordern mich“, gibt Beth zu. „Daher hoffe ich, dass deine Angebetete kein Hausmütterchen ist, sonst falle ich gnadenlos durch.“
„Keine Sorge. Ist sie nicht“, beruhige ich. Schließlich bin ich durch die Detektive darüber bestens informiert.
„Das ist gut. Notfalls lassen wir uns was bringen, sonst wird das zu anstrengend. Andererseits ist zusammen am Herd stehen oder schneiden die beste Idee, sich näherzukommen.“
„Verzeihen Sie,“, meldet sich Markus überraschend zu Wort, „aber dem gnädigen Fräulein wird auffallen, dass Sie drei nichts Festes zu sich nehmen.“
„Keine Sorge, darin sind wir geübt“, erwidert Hubert selbstzufrieden und mit einem leichten Grinsen. „Wir haben ganz viele Allergien, ich und meine Frau, so dass wir im Augenblick leider nur Spezialnahrung zu uns nehmen können.“
„Diesen Blödsinn glaubt man uns verrückterweise eher als die Wahrheit“, ergänzt Elisabeth kichernd.
Ich nicke nur, habe aber da meine Zweifel. Viktoria ist nicht dumm. Und es wird ihr verdächtig vorkommen, wenn drei Personen nichts essen und höchstens Wasser trinken.
Gut möglich, dass sie uns schon vorher auf die Schliche kommt.