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GREGOR
Endlich! Ich habe sie wieder!
Wie erwartet ist sie sofort aufgewühlt, als ich mich ihr zu erkennen gebe. Ursprünglich hatte ich mich ja „menschlicher“ verhalten und frech zur verabredeten Uhrzeit unschuldig das Lokal betreten wollen. Da ich durch meine Detektive bestens im Bilde bin, hatte ich ihr Auto sofort erkannt.
Letztlich konnte ich dann doch nicht widerstehen. So näherte ich mich ihr mit Vampirgeschwindigkeit aus den Schatten, was sie kurz erschrocken zusammenzucken ließ.
Anmerken lasse ich mir davon nichts. Sie ist schon aufgeregt genug, das rieche ich mehr als deutlich. Auch ein Sterblicher würde dies an ihrer leicht schwitzigen Hand bemerken.
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als meine Lippen ihre Handoberfläche angedeutet berührt hatten und ihr Herzschlag daraufhin einen Augenblick lang aussetzte.
Ich habe Lust, ein wenig mit ihr zu spielen. Aber übertreiben darf ich es nicht.
Deshalb gehen wir auch Arm an Arm zum Gebäude – ich hoffe, sie dadurch zu beruhigen, gleichzeitig demonstriere ich somit, dass wir zusammengehören. Ihr ist das sicher nicht bewusst, aber mir schon.
Sie fühlt sich göttlich an. Natürlich ist sie bedeutend wärmer als ich, wenn sie es auch nicht wahrnehmen kann. Durch die Täuschung ist meine Körpertemperatur für sie die eines Sterblichen.
Ich freue mich schon darauf, wenn sie mir ganz gehören wird und wir uns die Kälte gegenseitig teilen werden.
Wir sind etwas zu früh dran, was aber kein Problem darstellt. Die Kellnerin führt uns zu einem reservierten Tisch, ohne dass ich manipulierend eingreifen muss.
Der zugewiesene Platz kommt mir sogar äußerst gelegen – ein wenig abseits sind wir ungestörter und können trotzdem die Menschen um uns herum gut beobachten.
Galant und nach alter Manier schiebe ich meiner Zukünftigen den Stuhl nach hinten, damit sie sich besser hinsetzen kann. Eigentlich eine Aufgabe der Kellnerin, was heutzutage nur noch in hochpreisigen Restaurants praktiziert wird, wenn überhaupt. In Zeiten der Emanzipation kommen solche Gesten aus der Mode.
Für mich ist es Akt der Höflichkeit, dem ich mit einer Selbstverständlichkeit nachkomme. Und eben in seiner Seltenheit umso wirkungsvoller. Sie hat die Anmut leicht zu erröten, als ich ihren Stuhl vorsichtig an eine ihr genehme Position schiebe.
Die Bedienung schaut ein wenig irritiert – ja, du junges Mädel, der Gedanke, dass dich jemand so hofiert, gefällt dir. Wenigstens wartet sie, trotz dem vollen Café geduldig, bis auch ich Platz genommen habe und schickt sich an, unsere Bestellung anzunehmen.
„Gregor, Sie schauen ja gar nicht in die Karte“, wundert sich meine Begleitung.
Das brauche ich nicht, da ich etwas anderes außer Wasser nicht zu mir nehmen kann. Da dies jedoch keiner hier ahnt, lächle ich freundlich und erwidere: „Ich weiß schon, was ich möchte.“
Beide Frauen schauen mich an und ich seufze innerlich. Ich wollte Viktoria doch den Vortritt lassen, aber dies scheint heutzutage nicht mehr üblich zu sein.
„Ein stilles Wasser“, knurre ich daher die Kellnerin an und blicke meine Reporterin an, die die Karte studiert.
„Ein großes Radler“, wählt sie schließlich, „und die überbackenen Champignons.“
Die Bedienung tippt unsere Wünsche in ihr kleines Gerät ein und verschwindet wieder.
„Ich bin froh, dass Sie nun doch bereit waren, sich mit mir zu treffen und auch gekommen sind“, bedanke ich mich höflich und heuchle Erleichterung.
„Sie ließen mir ja keine Wahl“, kontert sie. „Was aber nichts an meiner Situation geändert hat.“
„Ja, natürlich, Ihr Freund.“ Ich kann es nicht lassen, sie ein wenig zu ärgern. „Erzählen Sie mir doch etwas von ihm.“
Sie schüttelt den Kopf. „Nein. Das ist… zu … privat.“
„Einverstanden. Ich will Sie nicht in Bedrängnis bringen. Vielleicht erzählen Sie mir ja eines Tages von ihm.“ Heute lasse ich sie damit noch in Ruhe. Aber ich werde sicher darauf zurückkommen – es ist schließlich sehr frech, mir mitten ins Gesicht zu lügen.
Wenigstens hat sie den Anstand, ein wenig beschämt nach links zu schauen und auch den direkten Blickkontakt zu meiden.
Viktoria ist mehr als nur durcheinander. Teilweise habe ich es erwartet und es trifft mich nicht unerwartet. Aber da ist mehr – sie hat Angst. Große Angst.
Ich habe es bei unserem Telefonat schon gespürt, doch in diesem Moment, da sie mir hier so gegenübersitzt, ist sie um einiges greifbarer. Und deckt sich mit den Bildern, die mir meine Detektive zugeschickt haben.
Dies ist der wahre Grund für ihr Bestreben, mir abzusagen. Und mich muss herausfinden, was geschehen ist.
Denn ich spüre das Band, das uns verbindet, so deutlich wie noch nie. Auch wenn sie mir absagt, kann ich sie nicht gehenlassen.
Notfalls werde ich sie über die Schulter werfen und sie ohne eine Diskussion in meine Limousine verfrachten. Egal, ob das einem Grafen von Wattenstein würdig ist oder nicht.