Hinkend und ächzend stemmt er seine eine blau, violett und rot gefärbte Hand gegen das massive, dunkle Holz der Haustür. Stechender Schmerz durchsticht seinen Leib. Doch er ignoriert diesen und betritt ungerührt das Gemäuer. Durch seinen kraftvollen Stoß schwingt die Tür aus ihrem Rahmen und schlägt gegen die farblose Hausfassade.
Möglichst geräuschlos bewegt er sich durch den Flur, obwohl doch jeder Schritt eine Qual ist. Das dunkle Gelb der Wände wirkt nahezu tröstlich auf ihn. Gegen das sterile und feindliche Weiß der Schulwände ist die Farbe des eigenen Heimes eine wohltuende Abwechslung. Wie ein geprügelter Hund zieht er erneut den Kopf ein und setzt nur vorsichtige, versucht tonlose Schritte auf dem ebenfalls gelben Teppich auf, da er nur noch in seinem Zimmer verschwinden und allein sein will.
»Hallo, honey. Wie war's in der Schule?«, erschallt eine weibliche Stimme vom Wohnzimmer aus. Er zuckt zusammen und starrt zu Boden, den Schmerz weiterhin ignorierend. »Ganz fantastisch, Ma. Hätte nicht besser laufen können.« Der beißende Sarkasmus bleibt versteckt. Er hasst ihre Fragen. Doch noch mehr hasst er es, sie anzulügen.
Fluchtartig wendet er sich der Tür zu seiner Rechten, die zu seinem Zimmer führt, zu. Die momentan einzige Möglichkeit weiterer Konversation zu entgehen. »Hast du Hunger?« Er verzieht das Gesicht. Immer wieder dieser Spott. »Nein«, antwortet er mit eisiger, endgültig klingender Stimme. Seine Hand schließt sich um die Türklinke, als er einige Momente lang zögern. Sollte er sich entschuldigen, dass er sie so angefahren hat? Dann jedoch verhärmt sich sein Antlitz wieder und aller kindlicher Kummer wegen Unhöflichkeit ist vergessen.
Wieder hallt ihre Stimme durch seine Gehörgänge. »Andrew, ist alles in-« Das ohrenbetäubende Geräusch der hinter ihm zufallenden Tür lässt sie verstummen. Der Junge atmet auf und bleibt wie erstarrt direkt im Eingang stehen. Massives Holz drückt sich gegen seinen Rücken und Hinterkopf, während er voller Erleichterung den Kopf in den Nacken legt. Ein seichtes, nahezu boshaftes Lächeln umspielt seine Lippen. »Natürlich ist alles in Ordnung, Miststück.«, murmelt er - kaum einen Laut von sich gebend - in den so leeren Raum hinein.
Angewidert blickt er an sich selbst hinunter und erblickt eben das, was auch fremden Augen zugemutet wird und alle so sehr an ihm hassen. Der dunkle Stoff seiner Kleidung spannt sich über einen viel zu enorm ausgeprägten Bauch. Schwarz scheint auch nur in seinem Falle eher noch fetter als schlanker zu machen. Echoartig hallen ihre Bosheiten durch seinen Kopf. »Fette Sau!«, »Fettsack!«, »Schweinchen Dick!«, »Schwabbel!«, »Fettarsch!«
Sein Blick wendet sich von seinem so missgestalteten Körper ab und schweift stattdessen ziellos durch den Raum. Schließlich bleibt dieser an dem obersten Fach seines deckenhohen Kleiderschrankes hängen. Das noch immer währende Lächeln weitet sich. Mit erneut schleichenden, bedächtigen Schritten nähert er sich dem Versteck seines so verbotenen Spielzeugs. Die Tür öffnet sich durch eine einzige Handbewegung. Fingerspitzen tasten blind über das kühle Holz, ehe sie auf eisiges Metall treffen.
Taub werdende Finger schließen sich um das seelenlose Eisen. Vollends fasziniert betrachtet er die Schusswaffe in seinen Händen, ehe er sie aktionsbereit auf Höhe seiner Brust vor sich hält und tut, als würde er einen Schuss abfeuern. »Peng.« Nur geflüstert kommt ihm dieser einzelne Laut über die Lippen. Er zielt ins Leere. So viele Personen sieht er nun dort vor sich stehen. Deutlich fühlt er wie gleichzeitig Sicherheit und Macht von dem kleinen Revolver aus durch seinen Leib pulsieren.
Ihr Lachen und all ihr Spott erklingen um ihn herum. Seine Finger zittern minimal, womit die Waffe in seinen Händen sich geringfügig nach oben bewegt . »Peng«, wiederholt er, während der erste leere Schuss durch seinen Kopf hallt. Mitschüler stellen sich ihm in den Weg. Peng. Seine Mutter, die in ihrer Dummheit geglaubt hat, den Revolver seines Vaters vor ihm verstecken oder ihn gar täuschen zu können. Peng. Und dann sein Vater, der ihn allein mit dieser fetten Hure gelassen hat. Peng.
Seine Hand bewegt sich nun in die entgegengesetzte Richtung. Der kalte Lauf der Waffe platziert sich an seiner Schläfe. Noch immer grinsend betrachtet er sich im Spiegel gegenüber. Diese Phantomkugel hat wirklich einen viel zu erwartungsvollen Ausdruck im Gesicht. Peng.