Ich konnte nicht glauben, dass ich jetzt endlich nach 3 Jahren wieder mit der Linie 43 weiterfuhr - Zu Shazy. Meine Mutter hatte mir mit einem einfachen OK geantwortet. Sie wusste, dass ich sehr viel mit Mädchen zu tun hatte.
Inzwischen waren schon viele ausgestiegen, auch das Mädchen, neben das ich mich anfangs setzen musste, weil es sonst keinen anderen Platz gab. Also konnte ich zum Fenster rücken und die Aussicht genießen. Wie lange ich das schon nicht mehr tat. Wie lange ich das schon nicht mehr getan hatte.
Schließlich ertönte wieder die Durchsage, auf die ich 10 Minuten gewartet hatte. 10 Minuten, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. "Nächster Halt: Waldaschaff, Kirche"
Endlich. Die Tür öffnete sich und ich sprang hinaus. Ich atmete die frische Waldluft ein, die hier den ganzen Tag da war. Der Bus fuhr hinter mir weiter und ich war da, alleine.
Das Einzige, was ich tun musste, war es durch das Dorf zu laufen und dann einen kleinen Hügel hoch. Dabei stöhnte ich leicht, wenn ich daran dachte, dass ich vielleicht doch erstmal mein Ranzen ablegen hätte sollen.
Ich schaute mich um, fand auch das, wonach ich gesucht hatte. Da war ein kleines Gebüsch, in dem ich meinen Ranzen abstellte. Niemand konnte es klauen und ich konnte damit dann auch unbeschwert laufen.
Ich lief eine Weile und betrachtete dabei die Umgebung. Es hatte sich ja doch ziemlich viel geändert seit ich das letzte Mal hier war. Alte Häuser wurden abgerissen und durch Neue ersetzt. Das erinnerte mich ein bisschen an die Boygroups in Korea, aber das war eine ganz andere Geschichte.
Nun schien der Ort viel lebhafter, weil Familien mit ihren Kindern hergezogen sind, um Teil des Neubaugebietes zu sein. Überall spielten Kinder auf der Wiese mit ihren Freunden. Da musste ich an Shazy denken und ich konzentrierte mich wieder auf meine 'Mission'. Noch ein paar Straßen weiter und schon war ich da.
Immer wieder kam ein bisschen Wind und zerzauste meine Haare, sodass ich jede halbe Minute mir wieder durch das Haar fahren musste. Die Mädchen mochten es, aber ich fand es einfach nur nervig.
"Wohin willst du?", säuselte plötzlich ein Mädchen. Ich drehte mich um und erkannte ein kleines Mädchen mit einem Teddybär in der Hand. Ihr rosa Kleid und der Bär waren mit rotem Zeug beschmiert, von dem ich nicht wissen wollte, was es genau war. In der anderen Hand hielt das Mädchen ein Plastikmesser, welches genauso diesen roten Farbstoff an sich hatte. Der Anblick machte mir bisschen Angst, doch fand ich das kleine Mädchen irgendwie süß.
"Ach, Uhm, ich wollte zu Shazy, meiner Freundin. Sie ist seit Wochen nicht in der Schule gewesen, ich wollte ihr nur kurz von unserem schulischen Projekt erzählen.", log ich. Eigentlich wollte ich sie nur noch mal sehen und versichern, dass es ihr gut ging. Plötzlich grinste das Mädchen und drückte den Teddy näher an sich. "Ich weiß warum Shazy nicht in der Schule war.", als sie das sagte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Trotzdem fragte ich ganz neugierig: "Oh, echt? Und warum? Willst du es mir sagen?" Man konnte mir wahrscheinlich die Angst vom Gesicht lesen, denn ich hatte meine Augen ganz weit geöffnet und starrte dem kleinen Mädchen tief in ihre grünen Augen, die ziemlich gut zu ihren braun-roten Haaren passten.
Ihr Grinsen erweiterte sich wieder einmal, was mich unbewusst ein Schritt zurückweichen ließ. Sie deutete mit dem Finger auf den Wald, den alle mieden. Dort waren auch Shazys Eltern umgekommen. Ganz unbewusst schaute ich in die Richtung, in der das Mädchen deutete. Mein Blick ging immer wieder zum Mädchen, dann zum Wald, dann wieder zurück.
Ich bedankte mich kurz bei dem Mädchen, lief aber trotzdem noch hoch zu ihrem Haus. Dort klingelte ich. Niemand da. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich die Hütte des Killers sehen. Es war noch wie früher. Stand da und machte Angst. Doch es hatte sich geändert. Die Tür war offen. Durch die Tür konnte man zwar kein Killer sehen, aber dafür eine Puppe, in seiner Hand ein Messer.
Mein Herz schlug schneller, alles in mir schrie, ich rannte weg, so schnell ich konnte. Runter in das Dorf. Das Mädchen war nicht mehr da. Ich beschleunigte meine Schritte, passte aber doch auf, dass ich nicht stolperte, da es ja bergab ging. Ich rannte um mein Leben.
Vor mir sah ich einen Kiesweg, der in den Wald führte. Ohne darüber nachzudenken rannte ich da hoch. Als ich einen stechenden Schmerz in der Seite spürte, blieb ich stehen. Kein Messer, das mir in die Seite gerammt wurde, dafür aber Seitenstechen. Klar - Ich war quer durch das ganze Dorf gesprintet. Ich stützte mich in meine Knie und schaute mich um. Niemand da. Zum Glück.
Als ich einigermaßen ausgeruht war, lief ich weiter in den Wald. Die kühle Luft tat mir gut. Immer wieder schaute ich mich um, aber nie war etwas da. Als lief ich einfach immer weiter in den Wald.
Plötzlich stockte ich, als ich aus dem Augenwinkel etwas Rotes auf dem Boden sah. Blut. Diesmal war ich überzeugt, dass es Blut war. Hektisch schaute ich mich um. Und wie als hätte ich es herbeibeschworen, raschelte es schon im Gebüsch hinter mir. Ich wich ein paar Schritte zurück, stolperte dabei über etwas und fiel mit einem dumpfen Aufprall in das feuchte Laub.
Dabei streifte mich ein Ast und schnitt eine Wunde in meinen rechten Arm. Obwohl es fast Winter war, hatte ich ein kurzarminges T-Shirt, da es doch ziemlich warm am Nachmittag war. Es raschelte noch mal.
Schnell stand ich wieder auf, wobei der Schmerz, den ich eigentlich spüren sollte, komplett von meiner Angst verdeckt war. Aus dem Gebüsch ragte zuerst eine weiße Schnauze, dann zeigte sich der ganze Wolf: ein wunderschöner weißer Wolf. Komisch, dass Polarwölfe in Waldaschaff waren, aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. So schnell wie ich konnte rannte ich wieder. Den Berg runter ins Dorf, wo ich sicher war.
Ich rannte wahrscheinlich in meiner Höchstgeschwindigkeit, denn ich sah, wie die Bäume an mir vorbeihuschten, als wären sie Streifen aus Holz. Hinter mir hörte ich Schritte, die mir immer näher kamen. Dann, schließlich, fiel mir etwas Schweres in den Rücken und mir wurde schwarz vor Augen. Das war es dann wohl...