Sesewja Deepsea: http://www.deviantart.com/art/SesewjaDragon-618827809 (von Ifrit van Nox)
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Kurze Info: Ein paar Sätze der Geschichte sind auf Englisch. Das soll an dieser Stelle nur signalisieren, dass die Sätze in einer dem aktuellen Erzähler unbekannten Sprache sind. Englisch-Kenntnisse werden also nicht vorausgesetzt.
Content Notes:
Wenn du dir unsicher bist, ob die Geschichte etwas für dich ist, kannst du dir hier die Content Notes für alle Geschichten auf dem Profil von Timo ansehen: https://belletristica.com/de/chapters/212770/preview?token=6yjiDgeTyni1DbuUNXnIHQ
Ich danke Groundbelow für die tatkräftige Unterstützung bei der englischen Grammatik.
Und ich danke Ifrit van Nox für die tatkräftige Unterstützung mit Pinsel und Farben.
Dann danke ich noch Dir für das Interesse an dieser Geschichte.
LG Marvin Grauwolf
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Prologue: Word from an Age long forgotten
„There will be atie when the -”
“Halt, halt, halt!”, unterbrach Dojadoja ihre Schülerin. Sesewja sah hoch, Missmut in dem schuppigen Gesicht.
„Was für ein Wort ist denn bitte atie?“, fragte Dojadoja.
„Ich weiß es nicht!“, fuhr Sesewja auf. „Ich kenne die Sprache der Menschen nicht!“
„Das tut keiner von uns!“, belehrte Dojadoja sie. „Nur die wenigsten. Die allerwenigsten. Und deswegen musst du die Weissagung lernen, Wort für Wort, ohne Fehler. Damit man sie eines Tages vielleicht übersetzen kann.“
Sesewja schwieg. Ihre Schuppen waren dunkel wie der Meeresgrund unter ihnen geworden. Dojadoja wusste, dass es noch zu früh war. Sesewja fehlte die Geduld, die Weisheit, um die Prophezeiung zu erlernen. Dojadoja selbst hatte lange Jahre gebraucht, Jahre, während der sie mit ihrer Meisterin durch das Meer gezogen war, mit den trägen Bewegungen der langlebigen Strömungsdrachen.
Sesewja war kein Strömungsdrache, sie war ein Tiefseedrache. Kurzlebig und melancholisch, getrieben von äußeren Einflüssen, zu jung und zu klein, um sich gegen den Atem der Gezeiten zu stellen wie Dojadoja. Es mochte Sesewjas ganzes Leben dauern, sie das ganze Wissen über die Prophezeiung zu lehren, damit sie dieses einmal weitergeben könnte. Obwohl sie großjährig war, noch nicht erwachsen, war Sesewja zu alt, um alles von Dojadoja zu lernen, was es über diese alte Weissagung zu lernen gab.
Doch ihr lief die Zeit davon. Dojadoja würde bald sterben. Ihre Zeit war gekommen. Es gab keine Strömungsdrachen mehr. Tot waren sie alle, ermordet, geschlachtet, erschlagen. Sesewja selbst war die einzige Überlebende ihrer Schule gewesen, als Dojadoja sich ihrer angenommen hatte. Ein ungewöhnlich starker Tiefseedrache, gleichwohl voller Wut und Angst und Trauer.
„Noch einmal“, befahl sie der niedergeschlagenen Sesewja. Schon wieder kroch das verräterische Lila über den schlanken Körper der Schülerin, zeigte, dass ihre Gedanken voller Salz waren.
„Where … There comes a time when the fire will cry. Ant … and Gods will … will rage in the Dragon's Sky.“
Dojadoja lauschte dem vertrauten Rhythmus der Zeilen. Selbst sie, die das Wissen von Jahrhunderten angesammelt hatte, verstand nur wenige Worte der Menschensprache. Trotzdem glaubte sie, wie die Bewahrerinnen vor ihr, fest an die Bedeutung dieser Zeilen. Wenn sie nur das Geheimnis aus seinem Grab in jener fremden Sprache befreien könnten, so würden sie sicherlich einen Weg finden, den furchtbaren Untergang aufzuhalten, der nun über sie kam.
„The world will tremble, the sea will rise and a burning storm will vanquish the wise.”
Sesewja erreichte das Ende der ersten Zeile und hielt inne.
„Weiter!“, drängte Dojadoja.
„From … from … from misery, four … Se-r-ser-serpents of myth shall komm.“
„Come. Es heißt: Serpents of myth shall come.“
„Four Serpents of … myth shall … come.“
Wer wusste, welche Auswirkung schon die kleinste Änderung haben würde? Dojadoja lauschte Sesewja aufmerksam, Wort für Wort, durch jedes rise und shall und fall.
Obwohl sie nicht alles verstand, wusste Dojadoja doch, wovon die Worte handelten: Von einer furchtbaren Zeit wie dieser, in der alle Hoffnung verloren schien. Von Tagen, in denen die Drachen starben, Zeiten ohne Licht in den Tiefen des Meeres, Kälte in den Winden der Höhe, Tränen in den Feuerbergen und den Wäldern.
Und vielleicht zeigten diese Worte einen anderen Weg. Dojadoja merkte, wie ihre Hoffnung sank. Sesewja war zu jung. Sie gehörte einer zu kurzlebigen Drachenart an, und sie würde die Worte vielleicht nicht einmal lehren können. Sie war der letzte Kiemenzug, den die Bewahrerinnen in die Weiten der Meere entließen. Genauso gut hätten sie ihre Zukunft den silbrigen, blinden Fischen anvertrauen können.
„From misery four serpents of myth shall come
and shall fight … their broken fate all as one.
If they fail, they … will die and … join the worms,
born to the cold blue … of the peak of the storms.
Following the shadows and the fires … of hell,
the … serpents shall … arrive at the land of farewell,
escape from the … swallow and from the inerrant hunter
before the … dragon's moon … will fall in winter.
Unite fire and water, earth and sky,
turn destiny's page, or all … hope will die,
'cause if the … hunter will reach the final stage,
he shall … listen to the crack of a … a dawning age.”
Sesewja kam zum Ende der vierten und letzten Strophe. Dann sah sie zu Dojadoja auf.
„Gut. Es wird genügen“, sagte die Tiefseedrachin. Sesewja, in etwa so lang wie Dojadojas breites Maul, wirkte nicht stolz. Vielleicht spürte sie, dass ihr ein neuer Verlust bevorstand, nachdem sie den vorangegangenen soeben überwunden hatte.
„Ich werde dir jetzt etwas geben“, sagte Dojadoja feierlich.
Sesewja trieb schweigend in dem sachten Atem des Meeres. Die Tiefsee war ruhig, die Zeit lief hier langsamer.
„Du wirst es mit deinem Leben beschützen. Ich denke, es ist Zeit, dass du es zur Oberfläche bringst.“
„Zur Oberfläche?“, fragte Sesewja nun. „Die ist weit entfernt!“
„Du wirst sie erreichen. Ich weiß, es ist dort gefährlich, aber auch die Tiefsee ist nicht länger sicher. Du musst an Land gehen.“
Entsetzen malte sich in goldenen Blitzen auf Sesewjas Schuppenkleid ab. „Dojadoja Tide, ich bitte Euch …!“
„Nichts wirst du tun, törichtes Küken“, knurrte die größere Drachin. „Du besitzt die Gabe. Möglicherweise du allein von allen Wasserdrachen kannst das Land noch betreten, verborgen unter den Menschen wandeln und nach der Bedeutung dieser Zeilen suchen! Es ist deine Aufgabe, Sesewja Deepsea.“
Sesewja verstummte. Ihre Farbe zeigte jedoch, dass sie keinesfalls überzeugt war. Dafür blieb Dojadoja jedoch keine Zeit mehr. Jahrhunderte hatte sie zur Verfügung gehabt, vergeudete Jahrhunderte ausnahmslos. Sie bewegte sich. In ihrer Brutfalte hatte sie es aufbewahrt. Seit jenem Tag, als klar wurde, dass sie nicht brüten konnte, dass sie zu den Bewahrerinnen gehörte. Jetzt stieß sie das goldene Ei aus, schwenkte die vier großen Flossen und trieb das kostbare Kleinod in Sesewjas breite Vorderflossen, die so kräftig waren, dass sie schon Klauen ähnelten. Die Tiefseedrachen nutzen diese Vorderkrallen, um sich über Riffe und Korallen zu ziehen, und auch, um sich über das Land zu bewegen.
Sesewja nahm das Ei mit großen Augen entgegen. Sie bewunderte es, grün schillerten ihre Schuppen dabei.
„Bewahre es gut. Beschütze es wie dein Leben“, befahl Dojadoja. „Es ist alles, was uns aus jener Zeit geblieben ist.“
„Aus den Legenden?“, fragte Sesewja ehrfürchtig. Nun besaß Dojadoja die Hingabe und das Vertrauen der jungen Tiefseedrachin.
„Ja. Es ist ein Überbleibsel der Legenden. Du darfst es nie verlieren!“
„Was tut es?“, fragte Sesewja, während sie das Ei vorsichtig in ihrer eigenen Brutfalte unterbrachte. War das Kleinod für Dojadoja winzig gewesen, so beschwerte es Sesewja sichtlich. Die Tiefseedrachin bewegte sich vorsichtig und ihre Flossenschläge wirkten noch steif. Sie würde sich an dieses Gewicht gewöhnen.
„Das wissen wir nicht. Doch vielleicht kann es uns retten“, sagte Dojadoja. „Wiederhole die Prophezeiung ein letztes Mal, Sesewja. Und dann musst du fort.“
Sesewjas Schuppen wurden dunkel von blauem Grauen. Sie starrte Dojadoja an. „Kommen sie?“
„Ja, Küken“, sagte Dojadoja, obwohl Sesewja schon kein Küken mehr war. „Die Menschen kommen hierher. Sie werden mich töten und dich nicht finden. Eile dich mit den Worten.“