Roxa rollte sich auf der dünnen Matratze zusammen und zog den schwarzen Mantel wie eine Decke über sich. Das rote Tuch zog sie in einem Bündel eng an die Brust und legte den Kopf darauf. Ihre Stiefel ragten unter dem Mantel hervor und das ließ die Kälte in ihre Glieder kriechen. Sie zog die Füße näher zu sich, während sie mit geöffneten Augen in das Halbdunkel des Kellers starrte. Und witterte.
Ihre roten Augen leuchteten in der Dunkelheit. Sie konnte den Dreck der vorherigen Benutzer riechen. Alten Urin, Schweiß, Elend. Eine Patrouille war vor einigen Tagen hier gewesen. Roxa konnte die Zigarren noch riechen, die die Männer stets bei sich trugen.
Sie würde diesen Geruch überall erkennen. Wenn er ihr in die Nase stieg, waren auch die fernen, nie vergessenen Schreie nicht weit. Sie schloss die Augen und rollte sich noch enger zusammen. Die Nase vergrub sie in dem roten Tuch, um den alten Geruch zu suchen, der längst verflogen war.
Der schwarze Hut rollte ihr vom Kopf und offenbarte die beiden kleinen Hörner. Rote, nach hinten gebogene Hörner, die eines Tages groß und rund wie die von Widdern sein würden.
Ängstlich riss Roxa die Augen wieder auf und drückte hastig den Hut zurück auf ihr rotes Haar. Sie atmete schneller, nervös, obwohl die Nacht zu dunkel für menschliche Augen war.
Und dann hörte sie die Schritte.
Mit angehaltenem Atem setzte sie sich auf. Die Schritte waren noch auf der Straße, wo der Eingang zum Keller in einer schmalen, verlassenen Gasse lag. Roxa hörte entsetzt, wie die Schritte zielsicher auf die Tür zuhielten, dann wurde diese schon aufgerissen und helles Sternenlicht fiel über die schmale Treppe in den kleinen Raum.
Das Tuch an die Brust gedrückt, sprang Roxa auf. Der schwere Mantel rutschte von ihren Schultern und fiel auf den Boden, verräterisch laut. Sie war von der Tür nicht zu sehen, denn der Lichtstrahl fiel neben ihr auf den Boden. Dennoch gab es in dem kleinen Raum keine verborgenen Winkel, kein Fenster, nichts, durch das sie fliehen könnte. Sie starrte auf den Boden, wo sich die Silhouette eines Mannes auf dem Boden zeigte, als dieser die Treppe herab stieg. Roxa drückte sich eng an die Wand.
Direkt neben ihr trat der Mann in den finsteren Raum. Es war einer der Krieger, in brauner Kleidung mit orangen Linien, wo die Nähte verliefen, ein dunkelhäutiger Mann mit hellen, blonden Haaren, dessen Körpergröße sich durch die schwere Kleidung kaum schätzen ließ, umweht von dem bekannten Gestank der Zigarren.
„Hello?“, fragte er in der Menschensprache.
Roxa hielt den Atem an. Ein einziges, olivgrünes Auge spähte in das Dunkel – das andere war unter einem schwarzen Band verborgen. Der Mann sah Roxa nicht, doch er musste wissen, dass sie da war. Ihr Herz schlug wie wild, ihr Atem ging flach und flatterte wie ein gefangener Vogel.
Der Mann machte einen weiteren Schritt in den Raum. Sein Körper war angespannt, er lauschte auf jene taube Menschenart, die Roxa so leicht unterschätzte. In den Händen hielt er eine schwere, eisenbeschlagene Armbrust.
„Show yourself!“, bellte der Mensch.
Roxa hielt den Atem an, als er noch einen Schritt vor machte und sich dann nach ihrem Mantel auf dem Boden bückte. Eine winzige Lücke entstand im Rücken des Mannes.
Sie hielt die Spannung nicht mehr aus und rannte los. Hinter sich hörte die den Menschen etwas rufen, als er wohl den Windzug in seinem Rücken spürte.
Roxa stürmte die schmale Treppe hinauf. Sie hörte ein Klappern, als der nachtblinde Mensch einen Pfeil nach ihr abschoss. Er verfehlte sie um ein ganzes Stück, aber sie wusste, dass der Mensch ihr folgen würde. Der Hut flog von ihrem Kopf, als sie durch die Gasse stürmte und auf eine breitere Straße traf. Zu dieser späten Stunde waren nur ein paar Betrunkene unterwegs, doch als diese das rothaarige, gehörnte Mädchen über das Kopfsteinpflaster fliehen sahen, schrien sie aufgeregt und deuteten mit wackeligen Fingern auf sie.
Der Jäger folgte ihr. Er schoss einen weiteren Bolzen ab, aber entschied wohl, dass das auf der durchaus belebten Straße ein zu großes Risiko barg. Seine schweren Stiefel knallten auf das Pflaster, als er Roxa folgte, die keuchend einer Gruppe Betrunkener auswich und in eine andere Seitengasse huschte. Zum Glück war es keine Sackgasse, denn von diesen gab es viel zu viele in Aarth, wie Roxa aus leidiger Erfahrung wusste.
Sie rannte, so schnell ihre Füße in den breiten Stiefeln sie trugen, das rote Tuch an die Brust gedrückt wie den wertvollsten Schatz. Doch sie war keine Sprinterin, noch eine Ausdauerläuferin. Sie hörte, dass die Schritte des Verfolgers näher kamen, der inzwischen ein langes, schlankes Schwert gezückt hatte. Er würde sie einholen, wenn ihr nicht bald etwas einfiel.
Ihr Atem ging unkontrolliert schnell. Roxa sah sich gehetzt um, während sie aus der Gasse floh und sich auf eine andere Straße begab, in irgendeinem verschlungenen Elendsviertel mit engen, schmalen Gassen, die sich wie ein launischer Bach durch die Schluchten der windschiefen Häuser schlängelten.
Roxa bog um mehrere Ecken, doch stetig blieb der Verfolger auf ihren Fersen. Sie hörte ihn in seiner Menschensprache fluchten und rannte nur schneller.
Dann stand sie plötzlich vor einer Wand.
Die lange, schmale Gasse endete in einer Sackgasse. Roxa drehte sich um. Zu beiden Seiten gingen unzählige schmale Türen ab, doch ausnahmslos jede war gesichert. Man fürchtete sich hier vor Dieben und Meuchelmördern, vor Wesen wie Roxa und vor ihren Jägern.
Der Mann hatte seine Schritte verlangsamt. Er war klug und hatte erkannt, dass Roxa eine Kämpferin war. Jetzt lud er die Armbrust. Das helle Licht der drei Monde bot auch Menschenaugen genug Licht. Der Jäger würde kein Risiko eingehen.
Nicht jetzt, da er Roxa in einer Falle hatte.
Sie drängte sich keuchend gegen die Wand zurück und presste den Stoff gegen die Brust. Er würde sie nicht schützen, das wusste sie. Ihre schmale Brust hob und senkte sich.
Sie sah aus wie ein junges Mädchen, bis auf die beiden Hörner und den seltsamen Schimmer ihrer rubinroten Augen. Ein schwerer Reifen aus Kupfer hing um ihr schmales Handgelenk.
Der Jäger legte die Armbrust an.
„Gotcha, little Bitch!“, flüsterte er triumphierend.
Roxa keuchte wortlos und behielt die Pfeilspitze im Blick. Die mit Widerhaken versehene Metallspitze zitterte kein bisschen. Der Mann war stark, und er war ruhig. Roxa wusste sofort, dass er gefährlich war.
In dem Moment, als er schoss, sprang sie zur Seite. Der Bolzen bohrte sich neben ihr in die grünliche Steinwand des Hauses. Roxa huschte wieder in die Mitte der Mauer. Sie durfte sich nicht einkesseln lassen.
Seelenruhig lud der Mann nach. Einem zweiten Schuss konnte Roxa mit viel Glück ausweichen, aber im Grunde war sie zu schwerfällig für dieses Spiel.
Während der Jäger ein drittes Mal nachlud, packte Roxa das rote Tuch mit den Zähnen, um die Hände frei zu haben.
Dann stellte sie den einen Fuß auf den untersten Bolzen, packte den zweiten, der auf Kopfhöhe war, und zog sich mit einem gedämpften Knurren hinauf.
Unter ihr fluchte der Jäger und beeilte sich mit dem Nachladen. Roxa packte den Dachrand und hievte sich hoch. Durch das Tuch konnte sie nicht atmen, und sie hatte das Gefühl, zu ersticken. Der Mauerstein bröckelte unter ihren Fingern, die Pfeile knackten bedrohlich. Die Täuschung verlor an Stärke.
Dann rollte sie sich auf die Dachziegel. Ein Bolzen pfiff an ihrem rechten Ohr vorbei und streifte die Ringe, die die Ohrmuschel durchbrachen.
Roxa rollte sich außer Reichweite. Sie hörte Schritte und erkannte, dass der Mann ihr folgte.
Müde kämpfte sie sich hoch, packte das Tuch wieder mit der Hand und rannte weiter. Ihre Schritte donnerten über die Dächer. Sie rutschte über die Ziegel, aber sie wusste auch, dass sie verfolgt wurde.
Doch selbst auf den Dächern gab es Sackgassen. Roxa bremste hart aus, als sie auf eine kleine, runde Holzplattform kam. Zu allen Seiten ragten die Häuser zwei Stockwerke höher auf, nur hinter ihr war wieder ein schmaler Durchgang. Sie wollte zurück rennen, aber der Jäger war schneller und versperrte ihr mit gezücktem Schwert den Weg.
Die Klinge auf sich gerichtet sehend wich Roxa auf das Holz zurück. Es musste sich um einen der Brunnenplätze handeln, die mit Holz überdacht waren, damit sie nicht aus der Luft entdeckt und angegriffen wurden, aber auch, damit das Holz schnell fort brannte und den Weg für die ausgeklügelten Löscharbeiten freigab.
„Stop running!“, knurrte der Jäger.
Roxa keuchte. Unter ihren Stiefel knirschte das Holz. Der Jäger, der sogar ihren schweren Mantel bei sich trug, trat auf sie zu.
Roxa schnaufte durch die Nase und erwiderte nichts.
Die grünen Augen des Jägers funkelten, als er die Waffe hob: „What are you?“
Roxa sah nur einen einzigen Ausweg. Sie gab die Täuschung auf und nahm ihre wahre Form an.
„Shit!“, keuchte der Jäger. „I knew it!“
Sie kippte nach vorne und richtete sich auf vier kräftigen, schlanken Beinen auf. Ihre Kleidung verschwand und wurde zu Schuppen, schwarz wie Kohle auf ihrem Rücken, die schützenden Platten an Brust und Bauch, die Rückenstacheln, Hörner und Krallen rot wie Rubine.
Der Mantel im Arm des Jägers verschwand im selben Augenblick. Roxa fauchte und richtete sich leicht auf die Hinterbeine auf, der Schwanz peitschte durch die Luft.
Das Holz krachte unter 13 Tonnen Lebendgewicht.
Roxa brach durch das splitternde Holz und fiel in den dunklen Schacht des Brunnens darunter. Das Wasser zischte und dampfte und Roxa brüllte. Sie paddelte einen Moment mit den Beinen, bevor das Gewicht ihres Panzers sie in die Tiefe zog. Mit einem letzten Röhren verschwand sie außer Sicht.
Der Jäger trat schwerfällig wie ein alter Mann an das geborstene Loch in der Abdeckung und sah mit ausdruckslosem Gesicht auf das schwarze Wasser, dessen Wogen sich eben glätteten. „Good enough.“