Sesewja in Menschenform: http://www.deviantart.com/art/SesewjaHuman-618827878 (von Ifrit van Nox)
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Sesewja gestattete sich ein Aufatmen, als sie sich ins Wasser gleiten ließ. An Land hatte ihr Herz schnell und wild geschlagen, voller Furcht, und dabei war sie so langsam gewesen - erst in menschlicher Form, und später dann, als sie nicht mehr in unmittelbarer Gefahr war, als großer Wasserdrache.
Jetzt nahm der kühle See sie auf und das Wasser strich beruhigend über ihre Schuppen. Die Kiemen entfalteten sich sofort und saugten das Süßwasser auf. Sesewja fühlte sich endlich wieder leicht und frei. Sie war in ihre Heimat zurückgekehrt, beinahe jedenfalls.
Das Süßwasser war wärmer als das Meer, fühlte sich aber auch leichter, dünner an. Sesewja ließ sich hindurch gleiten und hatte sofort das Gefühl, dass die Wassermassen alles von ihr abspülten.
Die Sorgen klebten aber so stark an ihr, dass sie sie nicht loswurde. Sie glitt durch das Wasser, wedelte mit den Flossen und spürte, das sie hier ein wenig schneller war. Dafür war der See ungewöhnlich flach, deutlich flacher noch als der Golf. Sesewja fühlte sich in dem hellen Wasser immer noch auf dem Präsentierteller, und so bewegte sie sich eilig auf die fernen Geräusche zu, das Schnattern und Fiepen von Teichdrachen.
Noch während sie sich auf die Lebenszeichen zubewegte, veränderten sich die Töne. Sesewjas Schuppen kribbelten. Jetzt klangen die Rufe eher wie Schreie. Schmerzensschreie, Angstschreie, Warnrufe.
Sie zögerte einen Moment lauschend und ihr Herz schlug schneller. Jetzt spürte sie sogar das Stampfen der Maschinen im Wasser. Als sie weiter schwamm, tat sie es umso schneller. Das Süßwasser, leichter als Salzwasser, ließ sie vorwärts schießen, eilig wie ein Flugdrache im Sturzflug. Sie musste die Teichdrachen erreichen, musste ihnen helfen.
Bald hatte sie die Mitte des Sees erreicht, wo die Kolonie gelebt hatte. Die letzten Wasserdrachen, von denen sie noch wusste.
Über ihr röhrte ein Metallschiff dahin, kalt und schneidend wie eine Waffe. Sesewja folgte seinem Kielwasser und die Schreie der gepeinigten Drachen wurden lauter.
Das Schiff stieß zu anderen seiner Art, und das Größte von ihnen trug ein Netz unter dem Bug, in dem die kleinen, dornigen Teichdrachen gefangen waren.
Sie entdeckten Sesewja bald.
"Hilfe!", riefen viele, dünne Stimmen. "Hilf uns, Tiefseedrache! Hilfe!"
Sesewja zögerte nicht. Die Teichdrachen waren ihre einzige Möglichkeit, mehr über die Welt der Menschen herauszufinden, denn diese Wesen lebten so nah an der Oberfläche wie kaum ein Wasserdrache. Sie stürzte sich auf das Netz, umschloss es mit den Kiefern voller scharfer Zähne, und riss.
"Helft mir!", rief sie undeutlich. "Schwimmt nach unten!"
Schuppige Leiber drängten sich gegen das engmaschige Netz. Die Maschine über ihnen stoppte und knurrte dann, sie bekam Schwierigkeiten. Das Schiff bockte.
Sesewja riss an den Seilen, die aus Stahl waren. Sie strengte sich so sehr an, dass sogar ihre Giftdrüsen aktiviert wurden. Die brennende Säure geriet auf den Stahl. Der Geschmack von Rost füllte ihren Mund, aber ihr Gift war nicht genug. Es war dazu gedacht, ihre Beute zu betäuben, nicht Stahl zu zerfressen. Ihre Zähne rutschten auf dem Metall, die Schmerzen waren furchtbar.
Die Menschen hatten sie bemerkt. Ihre Schiffe schossen die Dornen ab, lange Dornen, die an normalen Seilen befestigt waren. Die Dornzähne bissen tief ins Meer und versuchten, Sesewja zu erreichen. Die ersten trafen noch weit entfernt, schickten lediglich weiße Blasen gen Oberfläche.
Die nächsten kamen ihr näher.
Sesewja riss den Kopf hin und her, aber ihre Zähne wollten keine Wirkung erzielen.
"Schwimmt!", rief sie den kleineren Drachen zu. "Schwimmt nach unten."
Ein harter Ruck riss das Seil aus ihrem Maul. Blut stieg als Wolke um ihren Kopf auf und die Schmerzen sagten ihr, dass sie ein paar Zähne verloren hatte. Sie würden nachwachsen, deshalb kümmerte sich Sesewja kaum darum. Sie folgte dem Netz, das jetzt eng an den Schiffsbauch gezogen worden war. Die Schiffe wurden schneller, immer noch bissen ihre angeleinten Zähne um Sesewja herum in den See.
"Nein!", riefen die Teichdrachen mit hohen Stimmen. Das Ufer kam näher und Sesewja spürte den Druck der schrecklichen Menschenstimme.
"Hilfe!", die Schreie verstummten für Sesewja, als plötzlich etwas anderes kreischte, laut und hoch und ohne Worte. Die Menschenstimme - ein lautes, donnerndes, hohes Ding, das ihre Orientierung völlig zerstörte. Sie wurde abgestoßen und in die Weite des Sees hinaus getrieben. Einige Momente herrschte um sie her nur Stille, während sie das Wasser im Echo der Menschenstimme beben hörte. Sie konnte sich nicht bewegen, alle Kraft war von ihr gewichen.
Dann brach der gewaltige Ton ab. Sesewja wandte sich um, dorthin, wo die Teichdrachen verschleppt wurden.
"Nein!", brüllte sie gewaltig und verzweifelt.
"Hilfe!", war das schwache Echo ihrer Enttäuschung.
Dann wurde das Netz aus dem Wasser gezerrt. Die Stimmen wurden dumpf und erstarben bald darauf in einem Röcheln an der Luft. Unfähig, einen Muskel zu rühren, lauschte Sesewja darauf, wie Stille eingekehrte. Dann verschwanden die Menschen, denn die Sonne sank. Bald würden sie wiederkommen, um auch noch Sesewja zu töten.