Die Menschen hatten ihre Spuren gefunden. Es war ja nicht so, als wären Erddrachen unauffällig. Nein, ihr kriechender Gang hinterließ tiefe Gruben im weichen Erdreich, Spuren, denen selbst ein blinder Wolf folgen konnte.
Maki konnte trotzdem nicht sagen, ob ihr Ausflug in das Dorf gut oder schlecht gewesen war. Ein Tod durch die Hand der Menschen war sicherlich schneller und angenehmer als zu verhungern.
Bis dahin krochen sie, so schnell sie eben konnten, durch den Wald. Sie waren nicht schnell. Ihr Vorteil war die Tarnung, doch gegen Menschen half es wenig, wie ein Erdhaufen auszusehen. Denn die Menschen bemerkten die äußere Form, und sie stachen mit ihren Zähnen aus Metall auch in die Erde, um zu testen, ob sich dort ein Drache verbarg. Ihre donnernden Maschinen rissen das Erdreich mit Klauen auf, hungrig, unersättlich und nicht zu täuschen.
Maki spürte bereits, wie sie verzweifelte. Das Erdreich hier war hart und gefroren, und damit eine unterirdische Flucht ausgeschlossen. Das aber war ihre einzige Chance. Die Menschen kamen immer näher und näher. Die Sonne sank und stieg wieder auf, wanderte über den Himmel, durch den schließlich eine Gewitterfront zog.
Der Regen verwischte ihre Spuren nur ungenügend. Die Maschinen waren so nah, dass die Erde unter den Drachen zitterte und sie manchmal sogar in die Höhe drückte. Skoko, der bisher voran gezogen war, drehte sich hilfesuchend um. "Ich glaube, das Land vor uns wird weicher."
Aber seine Stimme klang zögerlich. Maki spähte an ihm vorbei ins Tal. Dort war die Erde matschig, ein Tümpel hatte sich durch den Regen gebildet. Aber es wuchsen auch wenige Bäume, die ihnen noch Schutz bieten könnten.
"Es ist unsere einzige Chance", erkannte sie.
"Ja", sagte Skoko. "aber riskant. Ich werde die Menschen ablenken." Er sah Maki an. "Bring sie in Sicherheit."
Sie wollte widersprechen. Sich den Menschen zu stellen war viel zu gefährlich. Und am liebsten wollte sie ebenfalls kämpfen. Diese ungewisse Flucht war schlimmer als alles.
Maki nickte nur und sah die Jüngeren an. "Sakai, Didai, Dian, kommt!"
Meri und Tati halfen ihr, die Zwillinge und den Zweitältesten nach unten zu scheuchen. Skoko warf ihnen einen letzten Blick zu, während er zurück blieb und den massigen Kopf Richtung Menschen drehte.
Es war bereits Abend. Rutschend und schlitternd bahnten sich die Lehmdrachen ihren Weg ins Tal. Eine gespannte Angst hatte sie befallen. Sie lauschten nach hinten, obwohl sie es nicht wollten. Keiner von ihnen wusste, was Skoko plante. Vermutlich wollte er ihre Spuren verwischen und dann folgen, wenn sie einen Vorsprung hätten und entkommen konnten.
Der Boden wurde schon weicher, war aber noch nicht weich genug. Die Lehmdrachen krochen weiter, voller Angst. Sie mussten die tiefen Erdschichten erreichen, wo die Maschinen der Menschen sie nicht mehr finden könnten, wenn sie nur still dalagen.
Plötzlich ertönte hinter ihnen ein gellender Ruf, ein schmerzerfülltes Dröhnen. Es war Skokos tiefe Stimme, die sich hauptsächlich durch die Erde verbreitete und ein Zittern in den Tatzen der anderen hinterließ.
Dann folgte plötzlich Stille.
Die sechs übrigen erstarrten. Maki konnte keinen Schritt tun und einen Moment lang auch nicht denken. Das war ein Todesschrei gewesen. Ihr war beinahe, als könnte sie Skokos leblosen Leib spüren, sein Gewicht auf der Erde feststellen, ein blinder Fleck vor dem Beben und Stechen der Maschinen.
"Skoko!", sagte Meri leise.
"Weiter", keuchte Maki, als sie ihre Stimme wiederfand. Sie fühlte sich leer, kroch wie im Traum weiter. Skoko. Der Älteste war fort, einfach so. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Dian wurde schneller und erreichte als Erste den weichen Boden. Vor ihren Augen verschwand er, als er sich in die Erde grub. Überraschenderweise war Meri die Zweite.
"Maki!", schrie Tati gellend.
Als Maki sich umdrehte, waren die Menschen aus dem Wald aufgetaucht. Was immer auch Skokos Plan gewesen war, es hatte nicht gereicht. Jetzt donnerten die glänzenden Kolosse aus Metall auf sie zu, mit wirbelnden Zähnen, die nach ihnen verlangten.
"Schnell!", rief Maki den Zwillingen zu. Didai und Sakai sprangen vorwärts. Tati grub sich auch schon in die Erde, Maki folgte ihrer Freundin. Sie spürte das Wühlen der Zwillinge hinter sich. Jetzt gab es kein Halten mehr. Senkrecht tauchten die Lehmdrachen in die Erde, tiefer, tiefer, tiefer!
Makis Herz schlug wild. Sie hatte panische Angst. Was sie noch vor Kurzem über die Menschen geglaubt hatte, dass sie nur harmlos und klein waren, war vergessen.
Dann ertönte erneut ein Schrei in der Erde. Maki drehte sich in der Erde herum. In dem Tunnel hinter ihr sah ihr Didais Gesicht entgegen. Voller Entsetzen starrte die kleine Drachin sie an und streckte eine zehnkrallige Vorderpfote aus.
Maki griff nach Didai, aber der Abstand war zu groß. Im nächsten Moment, es schien wie ein Traum, flog Didai rückwärts aus dem Tunnel, glitt nach oben in den Sonnenschein, wo sich der Regen plötzlich rot färbte.
Der Schrei hallte weiter. Sakai schrie, aber tiefer in der Erde. Maki spürte, wie Tati den Bruder von Didai vorwärts zerrte, wie er sich wehrte. Die Erde war voller Aufruhr. Maki wühlte sich in die Tiefe. Weg, nur weg, das war alles, was noch in ihrem Kopf geblieben war. Und so blieb es lange Zeit dort, bis sie auf die tiefen, festen Schichten von Kohle trafen, auf Granit und Kreide.
Hier erst hielten die großen Erddrachen inne. Sie fanden mithilfe ihrer Tastfühler und Schnurrhaare langsam zusammen. Gemeinsam gruben sie eine große Höhle in das Herz der Erde, eine kuschelige Wohnhöhle in den harten und kalten Schichten, die kein Lehmdrache durchdringen konnte.
Schweigend lagen sie eng beieinander. Sakai weinte. Meri zitterte. Dian war schweigsam wie nie zuvor. Tati lag wie tot da und Maki rollte sich an ihrer Seite zusammen.
Lange Stunden lauschen sie nur dem Herzschlag der Erde, ihrem fernen Bluten und Weinen. Es war still, so tief unten. Keine anderen Erddrachen, keine Kerndrachen oder Lavadrachen, keine Granitdrachen oder Kohledrachen erschienen. Denn unter der Erde war es still und tot.
Sie waren Flüchtlinge, ging es Maki durch den Kopf. Verstoßene im eigenen Land, verloren und verängstigt. Diesmal gab es keinen Trost, den sie finden konnte. Es gab wohl keine andere Kolonie, keine Rettung. Vielleicht gab es keine anderen Erddrachen mehr, oder wenn, dann versteckten sie sich, schliefen den Tod der Vergessenen und würden nicht mehr zurückkehren, bis die Menschen vernarbte Vergangenheit waren.
Maki und ihre Geschwister würden diesen Tag niemals erleben. Sie würden unter der Herrschaft der Menschen und ihrer Maschinen zugrunde gehen.
Später, viel, viel später, beschloss Dian, der nun der Älteste und damit ihr Anführer war, dass sie weiter gehen sollten. Unter der Erde krochen sie weiter, mühsam durch den harten Stein, denn sie wussten, dass die Menschen jeden Ort erreichen konnten, solange sie nur Zeit und ihre Maschinen hatten.
Vielleicht waren nicht einmal die Sterndrachen sicher von ihnen und vielleicht nicht einmal die Legende der Königsdrachen, jener Geschöpfe, die angeblich alle Elemente in sich vereint hatten oder vereinen würden. Ob sie eine alte Vergangenheit waren oder eine Legende - selbst sie könnten wohl von den Menschen getötet werden, ebenso die Drachen, die Sonne und Mond über den Himmel trugen und die Welt erst erschaffen hatten.
Die geschrumpfte Gruppe war schweigsam und mitten ins Herz getroffen. Sakai wollte gar nicht weiter gehen, bis Tati ihn eine ganze Weile getragen hatte.
Maki wünschte sich, nie wieder aufzutauchen.