B l i n d
Zwischen Liebe, Ungeduld und Entscheidungen
Kapitel v i e r
Es ist schwieriger,
eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.
Albert Einstein
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Mit Genugtuung in den grau-blauen Augen, blickte Scorpius auf das Spektakel, das sich ihm bot, jedoch nicht ohne, dass sich seine Mundwinkel zu einem diabolischen Grinsen emporhoben. Unwissend, dass der Gestalt neben ihm eiskalte Schauer über den Rücken krochen und jede vergehende Sekunde zeitlupenartig vorüber strich.
... Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig ...
Noch immer hielt das Mädchen dem Martyrium stand, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Wie Säure floss das Gebräu ihre Kehle hinab und schien jegliche, je da gewesenen Sinne und Nerven gänzlich zu betäuben. Eine ungewohnte und beinahe unerträgliche Taubheit erfasste Lippen und Mundraum. Ihre Zunge lahmte, schien zu verglühen und ließ nur heißen und versengenden Schmerz zurück. Der Drang, nicht aufzugeben, war stärker als der Impuls, zu würgen und sich zu erbrechen. Tapfer nahm Megcine jeden Tropfen der Mixtur in sich auf.
Medizin musste bekanntlich bitter sein, wenn sie helfen sollte!, ein Gedanke, so simpel und wahr, dass sie beinahe aufgelacht hätte. Die letzten Reste des ätzenden Trunkes bahnten sich ihren Weg. Sie würde entgegen aller Vorstellungen, den Mut besitzen, ihrem Gegenüber Paroli zu bieten.
Scorpius' Aktion hatte sie bereits durchschaut, als er sie zu sich herüber gewunken hatte. Die Kälte in seinem Blick und das spöttische Grinsen auf seinen Lippen hatte sie oft genug betrachten können. Er war nicht feige, nur schlicht und einfach blind für seine Umwelt. Die Augen immer nach vorn gerichtet, kein Abweichen möglich. Scorpius Hyperion Malfoy war verzogen, egoistisch und stur. Er hatte weder den Anstand, einen Versuch zu wagen und sich Dinge erklären zu lassen, geschweige denn, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, noch einzusehen, dass es immer jemanden gab, vielleicht mehr Geschicklichkeit besaß, als er. Doch im Universum des jungen Mannes gab es keinen Platz für andere. Nicht einmal in den Geschichten, die man hörte, wenn er wieder eines seiner Opfer erlegte, gab es Anzeichen von Reue oder gar Gefühlen.
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In die betäubten, lahmgelegten Nervenenden schien schleichend Leben zurückzukehren. Zitternd und zuckend bebten Lippen und Glieder. Die Hitze, die durch ihren Körper jagte, züngelte sich genüsslich bis hin in ihre Zehen. Langsam schwächte das aus heiterem Himmel entbrannte Feuer in ihr ab und wich einer eisigen Kälte.»Bist du wahnsinnig?«
Megcines Augen starrten leer auf den Fleck, der unweigerlich Albus Potter darstellte, doch seine rhetorische Frage galt nicht ihr. Es war offensichtlich, denn der, den er meinte, grinste triumphierend.
Ihr Sehvermögen glich plötzlich dem einer alten Greisin, vor deren sonst so scharfem Blick alles verschwamm und zu flimmern begann. Die erneuten Lähmungserscheinungen trafen das Mädchen bis ins Mark. Schnell, wie der Biss einer Schlange, fuhren die Fänge in ihre Beine, ließen diese schwanken und schließlich in sich zusammenfallen. Von dem Schmerz nahm sie keine Notiz. Nicht das körperliche Leiden war es, das die junge Frau niedergestreckt hatte, eher war es das Ausmaß dessen, was sich in diesem Augenblick zeigte:
Kein Bedauern
Ein hämisches Grinsen, nicht ein Hauch von Mitgefühl, zierte die edlen Züge des jungen Mannes.
Auf den weiteren Verlauf des Abends, konnte sie nur durch die Erzählungen der anderen schließen. Klammheimlich, still und leise hatte man sie hier her gebracht. Ihre Lider lagen schwer und es kostete Megcine wahrlich mehr Kraft, die Augen zu öffnen, als sie angenommen hatte. Ein kleines, kümmerliches Licht flackerte vor sich her, als sie den Kopf von einer Seite nur anderen wandte. Nur der Schein des Lämpchens flimmerte aus dem Büro der Krankenschwester ganz schwach zu ihr herüber, denn schwarze, finstere Dunkelheit hatte den Rest des Raumes bereits verschlungen. Mühsam konnte sie Umrisse eines Tisches neben ihrem Bett ausmachen, auf den man vorsorglich ein Glas Wasser, sowie eine Reihe an Pastillen für sie bereitgelegt hatte. Megcine kämpfte den pochenden Schmerz in ihrem Kopf und die Übelkeit erfolgreich nieder und sehnte den kalten, verregneten Morgen herbei.
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»Nun, Miss Higgs, alsbald dürfte ja alles Ihren Magen verlassen haben«, so sehr sich das Mädchen eine geruhsame Nacht gewünscht hatte, sie war ihr verwehrt geblieben. »Sehen Sie, fast nur noch Wasser.« Damit zockelte Madam Pomfrey, in den Händen die Schüssel haltend, wieder zurück in ihr Büro. Scham überkam das Mädchen, denn wenn sie etwas ganz und gar nicht leiden mochte, dann war es einer der Augenblicke, in denen sie sich schwach fühlte und dies auch, ungewollt, zeigen musste. Die vergangenen Stunden waren erfüllt von dem mehr oder weniger wohligen Klang des Erbrechens.»Drei Mal in den letzten zwei Stunden«, murmelte Megcine und verdrängte den sauren Geschmack in ihrem Mund.
Langsam aber sicher füllte sich das Schloss mit Leben, auch wenn man es gewohnt schien, nach einer Feierlichkeit für Stunden Ruhe finden zu wollen. Stimmen auf dem Gang, von der eine ihrem Bruder gehörte, ließ das Mädchen die Ohren spitzen. Sicherheitshalber ließ sich Megcine zurück in die Kissen sinken und zog die schneeweiße Bettdecke bis hoch unter ihre Nase. Abrupt wurde die große Flügeltür zur Krankenstation geöffnet. Zwar hatte man sie still und leise hier her verfrachtete, jedoch war die Tat bei weitem nicht so unbemerkt geblieben, wie es sich die Beteiligten erhofft hatten.
Thornton Higgs wurde nie laut. Er umging Streitigkeiten eher und versuchte jene, wenn sie sich nicht vermeiden ließen, mit Ruhe und Diplomatie zu umgehen. Doch diesen Gesichtsausdruck hatte Megcine noch nie bei ihrem Bruder gesehen. Neben ihm ging Albus Potter her, dessen Gesicht eine entschuldigende Miene zeigte.
Wortlos betrachtete Megcine die beiden Jungen und wartete auf das Donnerwetter, das unweigerlich folgen würde, Thorntons Besonnenheit zum Trotz. Doch noch ehe ihr Bruder etwas sagen konnte, eilte Madam Pomfrey herbei und blickte erst zu Thornton, dann zu Albus, dem sie ein kleines, freundliches und dankbar wirkendes Lächeln schenkte.
»Was auch immer Ihre Schwester gestern getrieben hat, Mister Higgs, Sie können ihrem Freund Mister Potter mehr als dankbar sein, dass er so schnell reagiert und sie (hier warf sie Megcine einen verständnislosen Blick zu) hierher gebracht hatte.«
Thornton blickte unschlüssig zwischen der Krankenschwester und Albus hin und her, sagte jedoch nichts, außer dass er sich zu einem Lächeln zwang.
»Morgen können Sie wieder am Unterricht teilnehmen, Miss Higgs.«, versicherte Poppy Pomfrey ihr und nickte den jungen Männern noch einmal zu, ehe sie wieder von dannen zog. Sobald sie das leise Klicken der Tür vernahmen, richtete Thornton den Blick auf das Mädchen. Nun war nichts mehr von dem aufgesetzten Lachen vorhanden, stattdessen schien sich seine fahl wirkende Haut über die Knochen zu spannen.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, seine Frage glich eher einem rauen, beinahe drohend klingenden Flüstern.
»Es war nicht ihre Schuld!«, bemerkte Albus, noch ehe Megcine die Worte ihres Bruders überhaupt verarbeitet hatte.
»Wem wolltest du mit deiner Aktion etwas beweisen?«, ertönte die nächste Frage und das Mädchen rutsche immer weiter in die Kissen zurück. Albus lag erneut eine verteidigende Aussage auf der Zunge, doch er schluckte seine protestierende Erwiderung herunter.
»Vater und Mutter wurden bereits informiert. Du kannst von Glück reden, wenn man dich nicht von der Schule wirft.«, gnadenlos und ungerührt führte er ihr die möglichen Konsequenzen des gestrigen Abends vor Augen.
»Thornton!«, mahnte Albus und blickte dann zu Megcine herüber. »Natürlich verweist man dich nicht der Schule.« Doch die Worte des Jungen wirkten nicht annähernd beruhigend.
»Aber man könnte. Warrington ist vielleicht etwas schwachsinnig, aber nicht gänzlich bescheuert.«, knurrte Thornton.
»Hey«, meinte der Potter-Spross und versuchte lässig zu klingen, »wir sind ja auch keine Waisenknaben.«
Doch der Blick des Jungen ließ Albus verstummen. Noch immer hatte Megcine nicht die Möglichkeit gesehen, sich, und den Umstand ihrer Tat, zu rechtfertigen. Auch war sie sich nicht über das Ausmaß dessen bewusst, was ihr Bruder zu wissen glaubte.
»Ich wollte doch nur, dass es aufhört.«, brüchig holperten die Worte über ihre Zunge.
»Und deshalb betrinkst du dich?«, fauchte Thornton und nun schien es endgültig um seine Gemütsruhe geschehen.
»Nicht absichtlich«, entgegnete Megcine weitestgehend gefasster.
»Und warum dann?«, verlangte ihr Bruder zu wissen und das Mädchen war sich bewusst, dass er noch immer die Rolle des Älteren, des Beschützers und des Verantwortungsbewussten zu tragen hatte. »Megcine, wenn dir etwas passiert wäre, dann ...«
»Ich weiß ja nicht mal mehr, was passiert ist.«, doch als ihre Stimme brach, war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie ihren eigenen Worten glauben konnte.
Thornton schüttelte nur den Kopf und gab ein missbilligendes Schnalzen der Zunge zu hören. »Ich kann doch nicht ständig ein Auge auf dich haben!«, meinte er und griff sich an die Stirn.
»Sollst du doch auch gar nicht! Zumal es nicht deine Angelegenheit ist.«, murrte Megcine, setzte sich auf und schlug die Bettdecke zurück.
»Ich habe aber die Verantwortung für dich«, erwiderte Thornton.
»Dann entbinde ich dich hiermit von deiner Pflicht, auf mich aufpassen zu müssen. Wenn du so viel Wert darauf gelegt hättest, dann ...«, doch das Mädchen biss sich auf die Lippen. »Ich wollte doch nur, dass er mich in Frieden lässt, mehr nicht.«
»Wer?«, ein überraschter Ausdruck trat in das Gesicht des Jungen.
»Scorpius«, beantwortete Albus die Frage seines Freundes.
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Wie viel Zeit das Verhör in Anspruch genommen hatte, wurde den Jungen erst bewusst, als es bereits zum Mittagessen läutete. Zwar war dies, ebenso wie das Frühstück, freiwillig einzunehmen, da einige Schüler dann beinahe pausenlos an ihren Hausaufgaben saßen und diese meist bis zum Sonntag aufschoben, ehe sie erledigt wurden, doch für jene, die Fleiß an den Tag legten, gab es bisweilen nichts besseres, als die Mahlzeiten am Wochenende, tafelte man dann um einiges luxuriöser als unter der Woche (Eierkuchen und weitere Variationen dessen, beispielsweise auch mit gebratenem Speck, waren nur einige der Highlights, die man auffuhr).Endlich hatte Megcine ihrem Martyrium Luft gemacht. Unfassbar blieb jedoch die Tatsache, dass ihr eigener Bruder von all dem am wenigsten mitbekommen hatte. Die Stichelein Scorpius´ waren, wenn es sich das junge Fräulein recht bedachte, meist auch dann nur zutage getreten, wenn der ältere Higgs-Spross nicht in Sichtweite war. Umso mehr begriff Thornton nun das Kalkül, mit dem sein Cousin vorging. Zwar schritt er nur »verbal« zur Tat, doch reichten seine aus mutwilliger Bosheit gewählten Worte, um zu Tyrannisieren und zu Schikanieren. Auch die kleinen Spitzen, die er dann und wann erklingen ließ, bohrten sich wie giftige Pfeile in die gequälten Seelen der Gepeinigten.
»Das rechtfertigt aber noch lange nicht dein Handeln! Du hättest fast dein Leben wegen so einem Schwachsinn riskiert!«, fauchte Thornton abermals.
»Ich wollte ihm beweisen, dass ich keine Angst vor ihm habe!«, verteidigte sich das Mädchen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wollte zeigen, dass ich ihm keine Gelegenheit mehr gebe, mich zu attackieren.«
»Hättest du auch schlecht, wenn du jetzt fünf Meter unter der Erde liegen würdest.«, knurrte der junge Mann abermals. »All deine Bemühungen und Läuterungsversuche zum Trotz, Megs. Wenn Albus nicht rechtzeitig reagiert hätte ...«
»Hast du mir nicht schon genug Vorwürfe gemacht? Wollt ihr nicht gehen? Das Essen wird kalt.«, bemerkte Megcine trocken, als Thornton seinen Satz unbeendet ließ.
»Wir sind noch nicht fertig, junge Dame!«, drohte er und das Mädchen verdrehte theatralisch die Augen. »Und mit meinem Cousin werde ich auch noch ein Wörtchen reden.«
»Da war sie wieder, die typische, Higgs'sche Ansprache mit der gewohnt nachhaltigen Tonlage.«, ein kleiner Scherz ihrerseits, doch Thorntons Blick ließ alle Heiterkeit in Schweigen versinken.
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Während des Mittagessens blieb Thorntons Blick unablässig an der Pforte zur Großen Halle hängen, doch von Scorpius fehlte jede Spur. Da er weder in seinem Bett, noch im Gemeinschaftsraum vorzufinden war, nahm Albus an, dass er wohl anderweitig Unterschlupf gefunden hatte.»Ich hätte mich mehr kümmern müssen«, gestand der Junge neben ihm, noch immer auf die Tür starrend. »Ich hätte nicht so unbekümmert sein dürfen.«
»Jeder macht Fehler und wenn Scorpius am gestrigen Abend nicht so provokant reagiert hätte, dann hätte sich Megcine schon selbst zu verteidigen gewusst, glaub mir. Es täte ihm wahrscheinlich gut, mal einen Dämpfer verpasst zu bekommen.«, lustlos stocherte der Potter-Spross in dem Rührei auf seinem Teller herum.
»Solche Worte aus deinem Mund, Albus?«, nun wandte Thornton den Kopf in die Richtung seines Freundes und zog ungläubig die dunklen Augenbrauen zusammen.
»Er ist zwar immer noch mein bester Freund, aber auch unter besten Freunden versteht es sich von selbst, dem anderen einmal die Meinung zu sagen, nicht?«, auf Albus' Antwort folgte nur ein zaghaftes, aber dennoch bejahendes Nicken. »Ich habe mir seine Eskapaden schon viel zu lange untätig angesehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas wie mit Megs geschehen würde, und ich bin der Letzte, der ihm das durchgehen lässt.«
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Am Nachmittag war es der junge Potter-Spross, der dem Mädchen einen erneuten Besuch abstattete. Thornton hatte ihm in die Hand versprechen müssen, das Gespräch mit Scorpius zu suchen, sobald man den Malfoy´schen Erben ausfindig gemacht hatte.»Er ist hundsmiserabel in solchen Dingen«, versicherte ihm Megcine, als Albus auf dem Hocker neben dem Beistelltisch Platz nahm. »Sicher, als Schwester sehe ich das natürlich etwas strenger, aber wenn es um seine Kumpels geht, dann ist er eher der verteidigende Part und schlägt sich auf die Seite des Stärkeren, auch wenn er weiß, dass es Unrecht ist.«
»Gehst du da nicht ein wenig zu hart mit ihm ins Gericht?«, wollte Albus wissen und warf ihr eine kleine Schachtel zu.
»Was ist das?«, verlangte sie zu wissen.
»Als Trost und Besserungswünsche.«, gestand er und sah sich im Raum um. Die junge Frau war allem Anschein nach nicht die Einzige, die eine turbulente Nacht hinter sich hatte. Am Morgen waren bereits fünf weitere Betten belegt worden. Immer wieder hatten sie die Krankenschwester von einem Bett zum nächsten flitzen sehen und nicht selten ein Schnalzen der Zunge vernommen, oder das Schütteln des weißen Hauptes bemerkt.
Doch Megcine blieb die einzige Patientin, deren Zustand als gefährlich eingestuft worden war. Die Dosis an Alkohol, die plötzlich ihren Blutkreislauf auf Hochtouren hatte laufen lassen, war zwar nicht lebensbedrohlich gewesen, aber dennoch als entsprechend hoch einzustufen, dass man die Eltern hatte benachrichtigen müssen. Mister und Misses Higgs waren alles andere als erfreut, von den jüngsten Ereignissen ihrer Tochter lesen zu müssen und verboten ihr, für den Rest ihrer Schulzeit, jemals wieder derart negativ aufzufallen.
Das Gesicht zu einer Schnute verzogen, schüttelte Megcine nur den Kopf und rief Albus in Erinnerung, dass sowohl ihr Bruder, als auch die Gruppe um ihn (Albus eingeschlossen), schon mehrmals gegen die Haus- und Schulordnungen verstoßen habe, als irgendein anderer Schüler.
»Habt ihr irgendeinen Bonus eingeheimst, dass man euch in Frieden lässt?«, wollte sie wissen und wickelte das Päckchen aus. »Oh, Schokofrösche?«
»Na ja, wir lassen uns nur nicht erwischen.«, gestand Albus und war sich plötzlich nicht mehr so sicher mit der Wahl seiner Geste.
»Wirklich ausgeklügelt«, bemerkte das Mädchen und kniff die Augen zusammen, als sie ihn betrachtete.
Der junge Mann erklärte ihr, wie der Abend sein Ende fand und er sie, Mithilfe seiner Cousine Rose, zur Krankenstation gebracht hatte. Scorpius hatte sich, nach dem Zusammenbruch des Mädchens, nicht weiter um die Tatsache geschert, dass er soeben ein Mitglied seiner Familie wissentlich in Gefahr gebracht hatte. Ein Punkt mehr, der Megcine empörte.
Doch etwas vermochte Albus trotz allem noch nicht zu verstehen. »Wenn du gewusst hast, was du da zu dir nimmst, warum hast du ihm dann nicht einfach das Zeug ins Gesicht geschüttet?«, verlangte er zu wissen.
»Du hast recht. Mein erster Impuls bestand wirklich darin, ihn seine eigene Medizin schlucken zu lassen, doch das hätte nichts geändert.«, erklärte sie und pulte an der Karte herum, die seine Tante Hermine zeigte. »Bei jedem Zusammentreffen hätte ich stets auf der Hut sein müssen, noch mehr, als sonst.«
»Deine Aktion war trotzdem ziemlich unklug. Nicht einmal ich habe den Becher freiwillig angerührt, geschweige denn auch nur einen Schluck daraus getrunken.«, angewidert verzog Albus das Gesicht.
»Ob du es mir glauben willst, oder nicht, aber ich habe ihn noch nicht aufgegeben. Ich habe versucht, an sein Mitgefühl zu appellieren und bin gescheitert.«, eine Spur von Bedauern klang in ihren Worten nach.
»Du machst dir trotzdem noch Sorgen?«, fragte Albus und kam zu dem Entschluss, ebenso zu handeln, wenn es um seine Familie ging.
»Hat uns die Geschichte nicht gezeigt, dass es um vieles klüger ist, miteinander zu kämpfen, statt gegeneinander?«, meinte Megcine und zuckte mit den schmalen Schultern.
»Weise Worte«, bemerkte er und nickte anerkennend.
»Danke«, sagte sie und die sonst so verbissen wirkenden Züge zierte der Anflug eines Lächelns.
»Keine Ursache«, wiegelte Albus grinsend ab.
»Ja, aber nicht nur für das Kompliment, sofern es eines war, sondern auch für deine Hilfe und die Schokofrösche.«, murmelte Megcine, doch der junge Mann tat ihre Erkenntlichkeit nur mit einem Schütteln des rabenschwarzen Hauptes ab.
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»Hast du Schuldgefühle? Bist du deshalb hier?« Mit einer erhobenen Augenbraue blickte Megcine zwischen Thornton und Scorpius hin und her.Albus saß noch immer auf dem Hocker und besah seinen Freund ebenso mit einem erwartungsvollen Blick. Wo auch immer er gesteckt haben mochte, einen erholten Eindruck machte Scorpius nicht, denn seine sonst auf Pflege bedachten Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab, er roch unangenehm nach Zigaretten und wirkte, das erste mal in seinem Leben, so verloren wie ein kleiner Junge, den man, aus Versehen, vergessen hatte.
Einen Stoß in Rippen kassierend, murmelte er eine Entschuldigung und bat unter flehender Mimik, gehen zu dürfen. Gebieterisch hatte Thornton die Arme verschränkt und sah seinem Vetter nach.
»Hast du ihn verprügelt?«, wollte Albus wissen und konnte seine Neugierde nicht unterdrücken, doch Thornton Higgs schüttelte nur den Kopf. »Hättest du gern?«
»Auch wenn ich ihm gern einiges an Leid zugefügt hätte, die Schmach und Demütigung der vergangenen Stunden muss er selbst durchstehen.«, erklärte er und verwies auf den Gemütszustand des Jungen, der nach der Racheaktion an Megcine, wohl mehr Erniedrigung erfahren hatte, als ihm lieb war.
Allem Anschein nach, hatte man Scorpius rauchend und trinkend im Astronomie-Turm entdeckt und ihn zur Strafe die Kerkerböden wischen lassen unter der gestrengen Aufsicht des Hausmeisters und ohne magische Hilfsmittel.
»Die ganze Nacht?«, wollte Megcine wissen und auch Albus schien der Umstand seines besten Freundes wesentlich mehr zu erheitern, als er sich vorgestellt hatte.
»Ja, bis eben. Ohne Pause. Und als weitere Entwürdigung seinerseits, musste er einen alten, verdeckten Kittel anziehen, wie ihn sonst nur alte Hexen tragen. Und ich meine damit richtig alte Hexen. Und Nachsitzen, im wörtlichen Sinne, darf er für die nächsten drei Monate auch noch. Da hilft auch nicht sein heutiger Geburtstag darüber hinweg.«, ein Hauch von Genugtuung schwang in Thorntons Erklärung mit, auch zierte ein triumphierendes Lächeln sein Gesicht, wie man es sonst nur von Scorpius kannte.
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Scorpius' Tat und die daraus resultierenden Strafen waren unter den restlichen Schülern nicht unbemerkt geblieben. In der Gunst der Mädchen, die ihn zwar weiterhin anhimmelten, seine Nähe jedoch fortan mieden, war er um einige Plätze abgerutscht. Auch sah er sich nun der Häme und dem Spott seiner Kameraden ausgesetzt und mit einem Gefühl konfrontiert, das ihm ganz und gar nicht zusagte. Zwar blieb die Anzahl seiner Bewunderer auf einem immer noch als hoch anzusehenden Level, doch die von ihm getriezten Schüler sahen nun nicht länger einen Tyrannen in ihm, sondern allenfalls nur noch einen verwöhnten Jungen, dem die eine oder andere Zurechtweisung nicht geschadet hatte.Auch Scorpius erhielt einen Brief von zu Haus, in dem geschrieben stand, dass man ihn zu seinem Ehrentag beglückwünsche, aber ihn trotz allem eine Strafe erwarte, immerhin hatte er gegen etliche Schulregeln verstoßen. Zwar hütete er seine Zunge, doch konnte ihm nicht verboten werden, mit Blicken seine Abneigung kundzutun. Der junge Malfoy musste sich ebenso mit der Erkenntnis herumschlagen, dass sein bester Freund die Enttäuschung nicht verbergen würde.
»Du hast dein Glück, und meine Freundschaft zu dir, ziemlich strapaziert, findest du nicht?«, grummelnd und mit verschränkten Armen vor der Brust, blickte Scorpius in das lodernde Feuer des Kamins im Slytherin-Gemeinschaftsraum und musste eine weitere Standpauke über sich ergehen lassen. »Geschieht dir ganz recht, mal die Füße still zu halten zu müssen.«
»Du mit deiner Rechthaberei, elender Klugscheißer.«, knurrte er in Albus' Richtung, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und hetzte seinen Springer auf Duncans Turm.
Drei weitere Züge folgten, ehe Duncan laut aufjaulte und sich geschlagen geben musste. Albus ließ sich den Sessel zurückfallen und starrte, ebenso wie Scorpius, für ein paar Augenblicke, gedankenverloren in die Flammen, die sich an den Holzscheiten entlang züngelten und sich an ihnen labten. Aus dem Augenwinkel heraus konnte er dennoch eine Gestalt erkennen, die sich auf die kleine Gruppe zu bewegte. Unweigerlich erhob er sich und achtete nicht auf den fragenden Seitenblick, den Scorpius ihm zuwarf. Wortlos wies er das Mädchen an, umzukehren und er folgte ihr hinaus auf den Gang.
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»Du hast ihm also auch den Kopf gewaschen? Oder es wenigstens versucht?«, wollte sie wissen und Albus nickte, wenngleich er sich etwas verlegen wirkend am Hinterkopf kratzte.»Ich kenne ihn und einfach war es nicht. So uneinsichtig und engstirnig wie er sein kann.«, meinte er nun war es Megcine, die sich ein flüchtiges Lächeln abrang.
»Ich wollte mich bedanken«, begann sie und hielt für ein paar Sekunden inne.
»Schon wieder?«, wollte Albus wissen und klang belustigt. »Nicht der Rede wert.«
»Scorpius hat Glück, jemanden wie dich zum Freund zu haben.«, fuhr Megcine fort.
»Glück? Ich hatte ihm schon gesagt, dass er seines ein ums andere Mal bereits bis an Limit getrieben hat.«, entgegnete er und zuckte mit den Schultern. »Aber meine Freundschaft zu ihm hat nichts mit Glück zu tun. Sehen wir das ganze einfach als günstige Fügung des Schicksals.«
»Du glaubst an Schicksal?«, fragte sie lachend. Offenbar konnte sich das Mädchen kaum vorstellen, dass jemand wie Albus Potter an Fügung und Schickungen glaubte.
»Nicht wirklich«, meinte er und versuchte lässig zu klingen.
»Nun, ich eigentlich auch nicht. Aber ich kann von mir behaupten, auch so etwas wie Glück gehabt zu haben, denke ich.«, erklärte Megcine und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. »Aber du hättest mich nicht zu verteidigen brauchen.«
»Ach nein?«, wollte Albus wissen und wunderte sich über die plötzliche Kälte, die ihren letzten Satz begleitet hatte.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Zugegeben, mein Handeln war wirklich etwas fragwürdig.«, gab sie zu.
»Etwas? Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, dann hätte ich dich für verrückt erklärt. Das war die hirnrissigste Aktion, die ich je erlebt habe und glaub mir, ich weiß wo von ich spreche, schließlich bin ich mit deinem Bruder und deinem Cousin befreundet!«, knurrte er. Megcine verzog das Gesicht zu einer Schnute, als hätte sie so eben in eine Zitrone gebissen. Offenbar begriff sie noch immer nicht, was den Jungen so verstimmte.
»Wenn dir Schlimmeres zugestoßen wäre, hätte man sowieso den erstbesten in die Mangel genommen!«, stieß er hervor.
»Warum regst du dich so auf? Du hast doch den Helden spielen dürfen.«, mit Gelassenheit versuchte Megcine die Wogen zu glätten.
»Darum geht es doch gar nicht. Es geht um das Leben, dass du riskiert hast. Dein Leben. Nur ein paar winzige Augenblicke später, und man hätte dich mit den Füßen zuerst aus der Großen Halle getragen. Begreifst du das denn nicht?«, dass seine Stimme plötzlich anschwoll und er in eine lautere Tonlage verfiel, bemerkte Albus zu spät.
»Aber aufgehalten hast du mich nicht.«, meinte das Mädchen mit einer beängstigenden Ruhe.
»Dich nicht, aber ich wollte Scorpius aufhalten.«, gestand er.
»Ist dir aber wohl nicht gelungen.«, erwiderte sie und zuckte nur mit den Schultern.
»Weil du den verdammten Cocktail in dich reingeschüttet hast!«, es kostete Albus wahrlich alle Mühe, nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren.
»Ist doch egal, einer mehr oder weniger ...«, tat Megcine ihr vergangenes Vergehen salopp ab.
»Mir ist es aber nicht egal«, fauchte er und schüttelte den Kopf über so viel Leichtfertigkeit. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so feige bist.«
»Feige?«, ihm war, als würden Schneeflocken von der Kerkerdecke rieseln, als das Mädchen seine Anschuldigung wiederholte. »Zu deiner Überraschung hänge ich an meinem Leben.«
»Hört sich aber nicht so an. Warum bei allen Zauberern hast du dann ...«, zischte Albus und versuchte seine gewohnte Beherrschtheit wiederzufinden.
»Weil ich wusste, dass jemand da ist, der mir helfen würde.«, meinte sie und wirkte zerknirscht. »Weil ich wusste, dass da jemand ist, dem ich vielleicht nicht egal bin.«
»Natürlich bist du mir nicht egal.«, ihre Reaktion auf seine Worte irritierten ihn ein wenig.
Zwar beäugte das Mädchen ihn misstrauisch, doch ihr Gesicht zierte ein Lächeln. »Und auch auf die Gefahr hin, dass du mich wahrscheinlich nicht lässt, werde ich dich verteidigen, es sei denn, du willst es selbst tun.«
»Wie mutig.«, meinte sie und aus dem Lächeln und wurde ein Lachen.
»»Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt mit Mut zu beschützen««, zitierte er großspurig.
»Sagt wer?«, völlig verdattert über seine Worte, zog Megcine fragend die Augenbrauen zusammen.
»Ovid«, erklärte Albus unter Zucken der Schultern.
»Ovid?«, hakte sie nach.
»Ja, ein römischer Dichter.«, sagte er, stolz darauf mit Wissen aufzutrumpfen.
»Du liebst mich?«, offenbar waren seine Worte in ihrem Anflug von Heiterkeit doch nicht untergegangen.
»Sieh es vielleicht eher als Metapher-Allegorie-was-auch-immer«, haspelte Albus und versuchte sich aus dieser unangenehmen Situation herauszulavieren.
»Du Imp«, ihre spöttische Beleidigung ging in einem erneuten Lachen unter. »Eigentlich hatte ich mir diesen Ausspruch für Scorpius aufgehoben, aber die Gelegenheit, es ihm ins Gesicht zu sagen, hat sich noch nicht ergeben.«
»Ein günstiger Zeitpunkt wird sich garantiert noch finden.«, meinte er.
»Na ja, ganz ohne Rachegedanken gehe ich natürlich auch nicht aus dieser Sache«, bemerkte Megcine und in ihre Augen trat ein Ausdruck, wie man ihn sonst nur bei ihrem Cousin sah. »Ich habe sein Geburtstagsgeschenk, Bertie Botts Bohnen, mit Brechpastillen und Furunkeldrops vertauscht. Eine kleine Nettigkeit und Anerkennung meinerseits, immerhin war Scorpius so gnädig, mir entgegenzukommen. Ob mit, oder ohne weißer Fahne.«
Albus war sich nicht sicher, wer von beiden hinterhältiger war, aber eines wusste er mit Bestimmtheit, dass die letzten, verbleibenden Monate auf Hogwarts wohl noch die eine oder andere Überraschung mit sich bringen würden.
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