Kaum das die Finger des alten Mannes seinen Gegenüber erreichten, erwachte dieser aus seiner Lethargie. Seine Augen fixierten die Hand, die ihn zu berühren gedachten, und sah auf. »Baumeister?« Sein Atem ging nach wie vor beängstigend ruhig und seine Frage klang gelassen, so als habe er ihn erwartet.
Angesprochener zuckte erschrocken zurück und wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert, als er zwei Schritte nach hinten trat. »Verzeiht Maestro aber ...«
»Was tut ihr hier«, verlangte der Recken mit ermatteten tonal zu erfahren. Offensichtlich dachte er tatsächlich, er würde in seiner Bettsatt liegen und er ihn ungebeten wecken.
Verunsichert sah der Alte hinab und besah sich das Schlamassel der fallen gelassenen Notizen. »Wir waren übereingekommen, dass ich Bericht erstatte«, erinnert dieser.
Maestro schloss die Augen und atmete tief ein. Er begann zu ächzen und seine Rechte suchte das Griffstück ›Mithrodins‹. »Also doch. Es ist ... wieder geschehn, nicht wahr?«
»Geschehen, Herr?«
Der Recken sah an sich herunter und schluckte. Abermals schlossen sich dessen Augen und er schien mit sich zu hadern. Die Knöchel seiner Schwerthand traten weiß hervor und zeugten von Angespanntheit.
Seine Linke griff dorthin, wo sein Herz schlug. Der Baumeister empfand die vergehenden Sekunden wie eine Ewigkeit, als der verwirrt wirkende Mann endlich die Augen öffnete. Dieser besah sich seine Hand, dessen Innenfläche mit einem dunklen Sekret, welches vage an Blut erinnerte, vorhielt. Seine Mundwinkel zuckten, als er sich müde aus dem Stuhl erhob und den Kopf senkte.
Seine ansonsten silbrig weiß schimmernde Lederrüstung war über und über mit diesem dickflüssigen wie stinkenden Zeugs bedeckt. Vereinzelt klebten fetzenartige Klümpchen daran. Von seinem gebogenem, unheimlichen, Schwert troff sämig dasselbe Sekret zu Boden.
»Wie viele?«
»Maestro, ich verstehe nicht. Was beim Barte ist bloß geschehen?«
Der Recken ließ seine Klinge fahren und diese fuhr Hand breit tief in den Boden. Ob es ähnlich matschend klang, wenn diese durch das Fleisch seiner Feinde schnitt?
Ermattet, dennoch mahnend, erklang seine Stimme. »Schick einen Boten zur Akademie. Wir müssen wissen, wie viele es waren ... und davon gekommen sind.«
Der Baumeister wollte etwas erwidern, doch der Mund stand ihm offen, als von draußen Rufe erschollen, die von der Ankunft eines Melders berichteten.
Abermals schloss Maestro die Augen. Sichtlich ging es ihm nicht gut und er schien zu wanken. Nicht zu verdenken, bedachte man, dass er stundenlang bei Eiseskälte auf diesem Stuhl saß. Gleichwohl blieb die Frage, was er getan hat.
Aufgeregte Stimmen riefen wild und harsch durcheinander. Der eingetroffene Bote musste sein Tier bis zur Gänze getrieben haben. Schaum stand ihm vor den Nüstern und sein Leib zitterte und dampfte. Dessen Blick konnte man mit glasig treffend umschreiben.
Eiligst entrissen Kavalleristen dem Kurier die Zügel und schollten ihn. »Narr. Was muss so wichtig sein, ein Tier, welches Dir den Arsch retten kann, zu Schanden zu reiten!«
»Soll er zurücklaufen, das Pferd bleibt hier«, bestimmte ein weiterer.
Sie führten den aufgebrachten Braunen in einen der freigestellten Ställe, wo er von Artgenossen neugierig gemustert wurde. Das Tier musste vordringlich abgerieben, gewässert und gefüttert werden; anschließend sollte es in Bewegung zur Ruhe geführt werden.
»Ich muss zum Recken.« Der Bote hielt seine lederne Tasche empor. »Dringende Nachrichten dulden keinerlei Aufschub.« Seine Stimme klang bestimmt wie selbstbewusst. Er hatte allen Grund sein Reittier so zu gängeln. Es war etwas geschehen, was dieses Tal, die Verteidiger des Turmes, unbedingt erfahren mussten.
Der Mann hatte nicht einmal Augen für sein Umfeld. Wäre dem so, er hätte mitbekommen, dass es längst nicht mehr nur ein Turm war, welcher die Klamm beschützte.
Ausladende Schritte führten den Boten der Akademie zielstrebig auf das offensichtliche Zelt des Anführers. Die Zeltplane des Einganges wurde zurückgeschlagen und jener, der hervortrat, ließ den Mann mitten in seiner Bewegung innehalten. Dessen Gesichtszüge entglitten ihn und viele Umstehende schlugen sich erschrocken die Hände vor den Mund. Andere zeigten mit ausgestreckten Fingern auf ihn und tuschelten.
Maestro konnte erahnen, dass er ihnen Furcht einflößte, so wie er dastand. Mit gesenktem Haupt und überzogen mit einem sämig stinkenden Sekret.