Angespannt stand ich vor der Kaffeemaschine und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Thresen. Luke hatte sich gut drei Monate nicht blicken lassen und jetzt kreuzte er hier auf, als wäre es erst gestern gewesen. Als wäre er nicht aus dem Fenster geklettert und ohne ein Sterbenswörtchen abgehauen. Ich hatte ihn in den ersten Wochen verflucht und für ihn gehofft. Wollte, dass er zurückkam und hatte ihn im Geiste zur Hölle geschickt. Ich hatte Stimmungsschwankungen wie Nico, wenn sie ihre Tage hat, und mehr Pillen genommen als ich jemals hätte zählen können. Meine Dealerin hatte ich öfter gesehen als meinen Bruder, und dem gehörte immerhin das Studio.
Und jetzt war Luke wieder hier. Wie ein unschuldiges Kind, das weiß, dass es bald Ärger bekommen wird, saß er hinter mir auf einem Stuhl. Ich hatte ihm einen Pullover und eine miefige Jogginghose von mir gegeben, in die er sich sofort eingekuschelt hatte. Er hatte es nicht gewagt, mein Angebot abzuschlagen. Bis jetzt konnte er mich vor Scham nicht einmal richtig ansehen, und auch jetzt kauerte er sich verschüchtert zusammen. Mit den hochgezogenen Schultern wirkte er wesentlich dürrer in den viel zu großen Klamotten. Wahrscheinlich hatte er tatsächlich noch mehr abgenommen.
Die Kaffeemaschine zerfetzte die Stille mit einem schrillen Piepen. Normalerweise gab sie nicht mehr als einen kurzen Hinweis von sich, doch jetzt klang es viel zu laut in meinen taub fühlenden Ohren, wobei ich nicht sagen konnte, ob das am Ecstasy oder an der quetschenden Stille lag. Ich versuchte mit zittrigen Händen hastig, das Geräusch abzuschalten. Für eine kurze Sekunde wusste ich nicht mehr, wie man die Kaffeemaschine bedient, doch gelang es mir letztendlich, wieder Ruhe einkehren zu lassen und füllte zwei Tassen mit Kaffee auf. Mit ihnen in der Hand setzte ich mich zu Luke an den winzigen Tisch, an dessen Rand sich Zeitungen, Werbehefte und Rechnungen stapelten. Nico meinte immer, dass man so etwas noch benutzen können und deswegen nicht sofort wegwerfen solle. "Nicht sofort" bedeutete bei ihr im Besten Fall "einige Monate".
Luke hielt sich die Hände über den Kopf. Würde ich nicht wissen, dass er ein Mensch war, hätte ich gedacht, dass jemand dort ein Shirt über einen Besenstiel gezogen hätte. Er murmelte etwas Unverständliches und als ich nicht antwortete, wiederholte er: "Bist du sauer?"
Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen, gab mir genügend Zeit, eine passende Antwort zu finden. "Natürlich", antwortete ich ruhig. Luke kauerte sich noch mehr zusammen, das arme Ding. Er war sichtlich angespannt; Hatte er Angst? Er sollte keine Angst haben, und wenn doch, wollte ich sie ihm nehmen. Im Besten Gewissen fügte ich hinzu: "Aber ich bin auch froh, dass du wieder da bist".
"Es tut mir Leid", wisperte Luke und der Sand in seiner Kehle klang wie eine staubige Wüste, die längst vergessen hatte, was Wasser ist.
Ich schob ihm seine dampfende Tasse hin. "Hier. Trink etwas", sagte ich. "Es ist kalt draußen."
Endlich löste er seine klammernde Embryonalstellung und griff mit beiden Händen nach der Tasse. "Die hat ja einen Sprung", stellte er fest. Über die Tasse hinweg wirkten seine Augen riesig.
"Ja", antwortete ich verlegen. "Ist nicht mehr das neueste Geschirr hier." Dass ich im Rausch mal mit den Tassen nach meinem Bruder geworfen hatte und sie deswegen teilweise kaputt waren, ersparte ich ihm. Das war kein guter Tag gewesen und Luke wirkte schon verstört genug.
Ich starrte in den schwarzen Dunst meines Kaffees, als würden dort Worte an die Oberfläche treiben, die ich Luke schenken könnte. Irgendwelche Worte, um diese drückende Stille zu durchbrechen, die sich schon wieder zwischen uns breit machte. Luke schämte sich offensichtlich. Wahrscheinlich war es für ihn so wie mit dem Antworten auf eine Textnachricht: Erst will man nicht, dann kennt man den passenden Konter, doch es ist viel zu spät, um ihn zu schreiben und mit jedem Tag wird es schlimmer und peinlicher. Was er wohl erlebt haben musste, wenn er jetzt hier auftauchte? Ich glaubte nicht, dass er ohne Grund zu uns kommen würde. Irgendetwas musste ihm vor kurzem zugestoßen sein, weshalb er hier war. "Luke?"
Er sah zu mir auf. Sein Haar musste dringend gekämmt werden. "Hm?"
"Darf ich dich umarmen?" Verdammt. Gottverdammte Drogen, ich wollte ihn eigentlich etwas ganz anderes fragen, und doch war das Verlangen nach dieser Berührung aus mir herausgepurzelt.
Er zog die Schultern hoch. "Mach doch", nuschelte er und wirkte auf einmal ganz verkrampft.
Meine Beine zogen mich nach oben, doch noch bevor ich richtig stand, ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen. "Sorry", seufzte ich. "Ich bin ein wenig bedürftig in letzter Zeit. Ich meine, du warst so lange weg und ich habe mir Sorgen gemacht. Ich will dich öfter sehen, hab dich vermisst, ich will nicht, dass du so plötzlich -" Den Rest nuschelte ich in meine Tasse hinein und trank dann, bevor noch mehr Dünnschiss meinen Mund verlassen konnte. Ich bereute die gesprochenen Worte jetzt schon. Ich bereute die Drogen und dass ich Luke überhaupt begegnet war. Fast am meisten aber bereute ich, dass ich trotz allem das Flattern in meinem Bauch nicht unterdrücken konnte, als er fast sofort aufstand um zu mir zu gehen. Erst, als sich unsere Knie fast berührten, blieb er stehen. Er war so nah, dass es weniger als eine Bewegung gebraucht hätte, um ihn zu berühren; Nur ein Windstoß, ein Atemzug, ein zufälliges Zittern, um eine kurze Verbindung herzustellen.
"Es tut mir Leid", sagte Luke wieder.
Ich stellte die Tasse zur Seite. "Schon okay", erwiderte ich. Meine Lippen, die ich brauchte, um diese Worte zu sprechen, waren das einzige, was ich gerade bewegen konnte. Die menschliche Wärme, die seine Knie ausstrahlten, ließen seine letzte Abwesenheit nur noch schmerzhafter erscheinen.
"Trotzdem." Luke zögerte einen Moment, bevor er sich bückte und zurückhaltend seine dünnen Arme um meinen Hals legte. Seine Iriden flatterten schüchtern in meine Richtung, dann lehnte er sich schließlich ganz auf mich, bis er mich halb kniend umarmte. Feste. Von sich aus. Verwirrt legte auch ich meine Arme um ihn. Nur ganz leicht, damit er wieder gehen konnte, wenn er wollte. Trotzdem genoss ich diese Berührung in vollen Zügen, obwohl es natürlich noch besser wäre, wenn er nicht den Pulli...
"Ist okay", flüsterte ich und streichelte ihm sanft über den Rücken. Ein Schütteln durchfuhr ihn, erst ein Schauer, dann ein kleiner Ruck, bis er schließlich leise in meine Schulter schluchzte. "Schon okay", wisperte ich beruhigend. Sein Haar klebte mir im Gesicht, auf der Wange, an der Lippe, und seine Tränen sickerten durch mein Oberteil. Ich war voll von ihm, von seinem Geruch, seinem Schmerz, den ich noch nicht ganz zu begreifen wusste, und ihn auf meinen Schoß zu ziehen um ihn an mich zu drücken schien mir das einzig sinnvolle in diesem Moment. Okay, vielleicht nicht das einzige, vielleicht gab es auch durchaus sinnvollere Dinge, aber ich hätte machen können, aber ich wollte ihn unbedingt bei mir haben. So nah wie möglich, und das für immer, und diesmal schien er diese Umarmung genauso zu brauchen wie ich.