Ohne mir die Gelegenheit zu geben, irgendetwas dazu zu sagen, wirbelte Luke schon durch meine Wohnung. Innerhalb einer halben Stunde beseitigte er das Chaos in der Küche, putzte das kleine Fenster und erledigte den Abwasch. „Um so eine schöne Wohnung muss man sich kümmern!“, schimpfte er, als er eine alte Bananenschale hinter dem vernachlässigten Mülleimer hervorzog.
„Die Wohnung wäre auch so ranzig, wenn man sie regelmäßig putzen würde“, meinte ich dazu, woraufhin mich Luke mit einem strengen Blick strafte.
„Nichts als Ausreden“, murmelte er und schaffte einen Müllsack in die Ecke.
Nachdem er auch den Flur gereinigt hatte, gab ich es auf, gegen ihn anzudiskutieren, und fläzte mich stattdessen ins Wohnzimmer. Dann eben kein Kuscheln bei Mulan, selbst Schuld. Ich schaltete den Film trotzdem ein. Irgendwie hatte ich da gerade ziemlich Lust drauf. Der Film plätscherte vor sich hin und ich verfolgte ihn mit halbem Interesse, doch gerade bei „be a man“, der ja wohl der großartigste Disney-Song überhaupt ist, schaltete Luke den Staubsauger ein. Konzentriert versuchte ich, noch irgendein Wort aufzuschnappen, aber Luke war zu laut. Langsam reichte es mir. Halbherzig kämpfte ich gegen meinen Unmut an, dann stand ich auf, ging in den Flur und zog den Stecker mit den Worten: „Es reicht.“ Luke drehte sich empört zu mir um, doch bevor er etwas sagen konnte, umgriff ich seine Taille und schleifte ihn zum Fernseher. „Jetzt gucken wir Mulan.“ Grimmig setzte ich mich mit dem wehrlosen Etwas in meinem Arm hin und spulte ein wenig zurück. Ich wollte wirklich dieses Lied hören!
Luke zappelte und rückte ein wenig von mir weg. „Was soll das?“, maulte er, „Ich dachte, ich soll aufräumen!“
„Der Dreck läuft nicht weg“, grummelte ich. „Du kannst ihn auch nach dem Film wegmachen. Wann hast du das letzte Mal einen Film gesehen?“ Plötzlich fiel mir ein, dass er auf der Straße lebte. Sofort wurde meine Stimme weicher und ich wandte den Blick vom Fernseher ab. „Wann hast du es dir überhaupt das letzte Mal richtig bequem machen können?“
Luke sah erst mit seinen riesigen blauen Augen in die meinen, dann blickte er zu Boden. Sein Schweigen genügte mir.
„Schon gut“, seufzte ich, legte den Arm auf die Rücklehne und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Film. Alle Worte, die sich in meinem Mund sammelten, fühlten sich falsch an, also sagte ich lieber nichts, anstatt ihn damit nochmal zu treffen. Immerhin hatte ich keine Ahnung, was er durchmachen musste, bevor wir uns kennenlernten, oder was ihm in den letzten Monaten widerfahren war. Ich hoffte nur inständig, dass ich ihn nicht vergrault hatte. Noch einmal weitere drei Monate ohne ihn würde ich nicht überleben – zumindest nicht ohne Entzugsklinik.
Deswegen verspannte ich mich auch, als ich ein Rascheln neben mir hörte. Würde er aufstehen und gehen? Mich wieder ohne ein Wort verlassen? Ich wagte es nicht einmal, zur Seite zu blicken, bis ich spürte, wie sich ein Kopf an meine Schulter lehnte. Luke kauerte sich dicht neben mich, kaute auf seinen Fingernägeln herum und fragte mit unsicherer Stimme: „Machst du den Film von vorne an? Ich würde ihn mir gerne ansehen.“
Vorsichtig ließ ich meinen Arm auf seine Schultern sinken und drückte ihn sanft an mich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Natürlich“, wisperte ich und spulte zurück.
Luke war ganz eingenommen von dem Film, sowie ich ganz eingenommen von Luke war. Die Nähe, die er zuließ, mein Shampoo in seinen bald schon schulterlangen Haaren, die dünnen Beine, die er ganz dicht an sich herangezogen hatte, all das machte mich verrückt. Sein Kopf lag inzwischen auf meiner Brust, genau über meinem Herzen. Konnte er es schlagen hören? Wusste er, wie nervös ich war? Viel schlimmer als mein hämmerndes Herz war aber mein Kopfkino. Tausend Szenarien flogen durch meinen Kopf, eines unrealistischer als das andere. Sie alle hatten jedoch eines gemeinsam: Luke und ich liebten uns. Körperlich. Dass Luke, wie ich ihn einschätzte, überhaupt nicht auf Männer stand, ignorierte ich dabei völlig. Mein Gemächt hatte damit aber offensichtlich kein Problem, also winkelte ich die Beine an, um meinen halben Ständer möglichst unauffällig zu verstecken.
Luke hatte ich dabei nicht mit einberechnet. Er drückte mein Bein wieder runter und murmelte leise: „Ich kann nichts sehen.“ Im Fernseher lief gerade die letzte Kampfszene, die er gebannt verfolgte, also legte ich meine angewinkelten Beine zur Seite und wandte mich dadurch ein bisschen von Luke ab. Sein Kopf rutschte auf meine Seite und er war mir für kurze Zeit nicht mehr ganz so nah, was mir fast das Herz brach, dann legte er einen Arm um mich. „Kuscheln“, murmelte er dabei abwesend. Augenblicklich versteifte ich mich noch mehr. Er war nur noch einen Gedanken weit von meiner Problemzone entfernt. Wahrscheinlich war er so sehr in die letzten Szenen des Filmes vertieft, dass er es gar nicht merkte.
Genauso wenig, wie ich durch unsere Position merkte, wie rot mein Kopf war. Ich merkte auch nicht, dass er einen neugierigen Blick über meine Schulter warf und erst recht merkte ich nicht, dass der Film für ihn zur Nebensache wurde. Die schlanken Fingerkuppen, die in einem neugierigen Zucken über mich streiften, merkte ich dafür umso deutlicher.