"Hallo- ween? Diesen neumodischen Kram?"
Ich schlucke.
Nicht nur, dass mich der Typ beunruhigt, nun scheine ich ihn auch noch verärgert zu haben.
„Ähm- … es ist kein Problem. Ich kann mich auch woanders umsehen“, beeile ich mich rasch zu sagen.
„Halloween! Da hier ist ein Kostümverleih“, sagt er mit stolzer Stimme. „So ein billiger Schund mit aufgedruckten Neonskeletten führen wir nicht.“
„Ich wollte Sie sicher nicht beleidigen“, antworte ich rasch. Verdammt, nun bekomme ich auch noch feuchte Hände. „Ich dachte auch nicht an so etwas.“
„Nicht?“ Nun starrt er mich interessiert an.
Weshalb erinnert er mich jetzt an ein Raubtier, das belustigt seine Beute betrachtet?
Verdammt, ich bin ein erwachsener Mann, und lasse mich doch nicht von so einem schrägen alten Kautz einschüchtern.
Mut vortäuschend, den ich nicht besitze, strecke ich mein Kinn vor und erkläre: „Ich suche etwas mit Qualität und hatte gehofft, hier fündig zu werden.“
„Aha.“. Der Alte verdreht auf seltsame Weise den Hals, so dass es fast unnatürlich aussieht. Irgendwie doppelt verdreht, nach links und rechts.
Spinne ich jetzt?
Schon hält er ihn und seinen Kopf jedoch wieder normal, so dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob mir meine Augen nicht einen dummen Streich gespielt haben. „Sie suchen also etwas mit …. Qualität. Und weiter?“
„Nun ja“. Was will er hören? „Es sollte authentisch wirken. Nicht billig. Es sollte echt aussehen?“
„Echt also?“. Weshalb betont er dieses Wort so seltsam?
„Ja, … echt.“, bestätige ich in der Hoffnung, dass der alte Mann etwas zugänglicher wird und mir doch noch helfen kann.
„Haben Sie an eine bestimmte Epoche gedacht? Was wollen Sie darstellen?“, fragt er auf einmal mit sehr freundlicher Stimme. Zum ersten Male kommt er mir tatsächlich wie ein Verkäufer vor.
Tja, jetzt hat er mich. So genau weiß ich ja selbst nicht, was ich sein möchte.
Etwas ermutigt, da er nicht mehr ganz so abweisend zu sein scheint, erläutere ich: „Nein, ich dachte, etwas altm… aus einer vorherigen Epoche, und ich schminke mich dann weiß. So als Geist aus der Vergangenheit oder so.“
„Aha.“
Scheint sein Lieblingswort zu sein, so wie es sich anhört. Er schweigt, scheint nachzudenken. Dann dreht er den Kopf schief und mustert mich mit bohrendem Blick.
„Könnte passen. Warten Sie!“
Zu verblüfft, um etwas zu sagen, bleibe ich doch tatsächlich stehen. Der Alte verschwindet hinter dem Verkaufstresen und bückt sich. Ich höre ihn eine Schublade auf- und wieder zuschieben. Dann kehrt er zu mir zurück.
In seinen Händen hält er einen kleinen Block, Bleistift und ein Maßband. So eines, welches man aufrollt und mit Strichen und Ziffern bedruckt ist. Allerdings sind die Zahlen darauf teilweise kaum noch zu erkennen. Wie will er da etwas abmessen, vor allem in diesem Dämmerlicht?
Dies scheint für ihn jedoch kein Problem zu sein. Routiniert nimmt er Maß und schreibst sich die Ziffern mit dem Bleistift auf den Zettel. Als er fertig ist, nickt er zufrieden.
„Passt perfekt.“
Was meint er?
Er rollt das Band in aller Seelenruhe zusammen und steckt es in seine Hosentasche. Dann fragt er mich: „Ihrer Aussage entnehme ich, dass Sie noch unentschlossen sind. Oder anders gesagt... flexibel?“
Weshalb wirkt sein Lächeln nicht nur höflich, sondern überaus zufrieden, sogar leicht spöttisch?
Ich räuspere mich ein wenig. Meint er jetzt das Kostüm oder den Preis? Ist es die Aussicht, ein gutes Geschäft zu machen und mir ein überteuertes Angebot machen zu können, was ihn so zu erfreuen scheint?
Vorsichtig frage ich nach: „Wie meinen Sie das – flexibel?“
„Sie sind noch jung“, erklärt er. Seine Stimme klingt nach wie vor etwas schleppend, wirkt aber auf einmal sehr einnehmend, fast verführerisch auf mich.
Huch, was für ein Blödsinn denke ich da? Seit wann stehe ich auf Männer, davon abgesehen, dass dieses Exemplar nun wahrhaftig nicht gerade meiner Altersklasse entspricht. Von attraktiv ganz zu schweigen.
Er scheint von meiner Verwirrtheit nichts mitzubekommen, denn er fährt unbeirrt fort: „Sie sollten sich daher nicht die Blöße geben, als ‚irgendetwas‘ zu gehen. Sie haben das Potential zu mehr.“
„Wie meinen Sie das?“ Ja, das möchte ich wirklich wissen.
Ich wusste es doch, der Typ ist verrückt. Eindeutig.
„Ich denke, ich habe da etwas Passendes. Ihre Körpermaße sind einfach perfekt. Kaum zu glauben.“ Nun kichert er auch noch vor sich hin, was meinen Eindruck, dass er nicht mehr ganz bei sich ist, nur noch verstärkt. „Könnten Sie sich vorstellen, als Vampir zu gehen?“
Als Vampir? Ja, warum nicht. Nur fürchte ich, dass hier irgendwo noch ein Haken ist. Vermutlich ist das sein teuerstes Kostüm mit echten Goldapplikationen oder so. Und ich finanziere ihm gerade die nächsten Monate seines Lebensunterhalts.
Aber im Prinzip habe ich nichts dagegen, einen Blutsauger darstellen. Vampire sind ja auch irgendwie cool. Trotzdem bleibe ich vorsichtig. „Ja, eventuell. Wenn Sie mir ein gutes Angebot haben?“
„Oh ja, das habe ich.“ Endlich hört er auf zu kichern und fährt mit ernster Stimme fort: „Glauben Sie mir, Sie werden einen wunderbaren Vampir abgeben. Sie sind geradezu perfekt dafür.“