Der Alte hat einfach etwas an der Birne. Oder ist einfach ein Vampir- Fan, wer weiß das schon?
„Kommen Sie mit“. Schon wieder dieser Befehlston.
Er humpelt los und nach kurzem Zögern folge ich ihm.
Er öffnet eine Nebentüre und verschwindet im dunklen Nebenraum.
Nein, ohne mich!
Ich höre ihn kichern, dann knipst er doch tatsächlich das Licht an.
Leise seufze ich. Egal, wie großartig dieses Kostüm ist, ich werde froh sein, wenn ich hier wieder draußen bin. Wäre ich nicht so ratlos, woher ich eine Verkleidung herbekommen kann – keine zehn Pferde würden mich noch hier halten.
Aber ich habe es einfach verschlafen, mir rechtzeitig eine zu besorgen, und nun bekomme ich eben die Quittung dafür. Ich werde mir das Kostüm schnappen, zahlen und dann schnell verschwinden.
Sofern es in Frage kommt.
Vorsichtig betrete ich das Zimmer.
Und dieses ist sehr merkwürdig und verstörend.
Ungewöhnlich, aber noch relativ harmlos, ist die großzügige Umkleidekabine.
Ein schwarzer schwerer Vorhang bietet Schutz vor fremden Blicken, ist jetzt aber zurückgezogen, so dass ich in das Innere blicken kann. Eigentlich ist dies ein Raum im Raum, sehr groß mit einem großen altmodischen Spiegel. Weiter kann ich einen Tisch samt Stuhl entdecken. Relativ schlicht, im Ikea Stil. Dies ist zweifellos der modernste Teil hier und wurde augenscheinlich nachdrücklich eingebaut, wirkt allerdings angesichts des schmuddeligen und schlichten Erscheinungsbildes des Verkaufsraums nebenan etwas deplatziert.
Dass dieses Zimmer ursprünglich bewohnt wurde und später einfach mit der Anprobe ergänzt wurde, kann man an den restlichen Möbelstücken erkennen. Sie sind für die Größe des übrigen Raums einfach zu viele und zu wuchtig. Durch die hinzugekommene Abtrennung stehen sie auch etwas zu eng zusammen, so dass es nicht wirklich gemütlich wirkt.
Dies ist jedoch nicht der eigentliche Grund für mein mulmiges Gefühl. Ja, ein Bett, ein großer Kleiderschrank, eine kleine Kommode sowie diverse einzelne kleinere Schränke sind an sich nichts Besonderes.
Es ist der Stil an sich. So etwas habe ich noch nie gesehen, weder in einem Schloss oder in einem sonstigen historischen Gebäude. Und ich habe schon viele Schlösser und andere berühmte Herrschaftssitze besucht.
Das ist weder Ikea noch Landhaus, sondern etwas ganz Eigenes.
Alles ist verschnörkelt, mit vielen dekorativen Elementen, in Holz geschnitzt oder bemalt. Vereinzelt finden sich seltsamen Fabeltiere wie Einhörner oder Drachen, aber auch gefährlichen Raubtiere oder Drachen. Ungewöhnlich, aber nicht so sehr wie die die vielen Teufelsdarstellungen, die immer wieder auftauchen und klar die Oberhand haben. Da erscheinen die einzelnen kleinen Engel eher als Alibibildchen und sind auch recht lieblos gezeichnet.
Luzifer und seine Kumpanen, die geben hier eindeutig den Ton an. Ungewöhnlich gruselig und wesentlich „liebevoller“ dargestellt, mit vielen kleinen Details, als ihre himmlischen Gegenspieler. Ganz klar, wo hier die Präferenzen des oder der Künstler lagen.
Wer, um alles in der Welt, kreierte diese Möbelstücke? Und wer, das erscheint mir noch ungewöhnlicher, kauft so etwas?
Nun ja, zumindest ein Käufer scheint sich ja hier gerade in einem Raum mit mir zu befinden.
Ich kann nicht aufhören, weiter auf die Illustrationen zu starren.
Beim Betrachten habe ich ein seltsames Gefühl – ich fühle mich angewidert und fasziniert zugleich.
„Beeindruckend, nicht wahr?“, höre ich den Verkäufer kichern.
Kann er nicht einmal damit aufhören?
„Sie können sich hier nachher umziehen. Doch zuerst brauche ich Ihre Hilfe“, verkündet er. Er deutet auf eine weitere Türe, die sich links, in der angrenzenden Wand zum Eingang befindet.
Das Gebäude hier hat wirklich einen seltsamen Verschnitt. Vermutlich war der Architekt genauso durchgeknallt wie sein Bewohner.
„Was ist hinter der Türe?“, frage ich vorsichtig. Der Typ hat immer noch nicht mit diesem Kichern aufgehört.
„Da geht es hinunter zum Keller“, erklärt er und wird endlich wieder ernst. „Kommen Sie!“
Na super. Soll ich jetzt mit diesem unheimlichen Menschen in ein düsteres Kellerloch hinuntersteigen? Und am besten wieder ohne irgendeine Lichtquelle.
Wahrscheinlich eine alte, steile und morsche Treppe, die tief hinab führt. Direkt ins Nichts. Oder zu alle den Leichen, die er hier unten gelagert hat.
Ich schüttle meinen Kopf. Wo bin ich hier nur gelandet?
Der Ladenbesitzer scheint keine Zweifel daran zu haben, dass ich ihm helfen werden, denn er hat bereits die Türe geöffnet.
Und – oh kleines Wunder – bereits Licht gemacht.
Seufzend folge ich ihm. Weshalb habe ich nur den Eindruck, dass hier alles ein riesengroßer Fehler ist?
Der Alte ist bereits auf dem Weg nach unten.
Zweifelnd betrachte ich die Stufen, die erstaunlich stabil aussehen. Ich hatte mit einem maroden Zustand gerechnet, doch diese Stufen sind gemauert und in einwandfreiem Zustand. Ich beobachte den anderen, der langsam nach unten steigt und mir dadurch den Rücken zuwendet.
Von hinten wirkt er seltsam unförmig und mit einem Male scheint seine Gestalt zu verschwimmen und seltsam unscharf zu werden.
Was zum Teufel?
Ich starre entgeistert hinunter und reibe mir die Augen.
Als ich wieder sehen kann, ist er einige Schritte weiter unten angelangt und blickt nach oben.
„Ich sagte, Sie müssen mir helfen!“, knurrt er. Und ist deutlich zu sehen.
Diese Umgebung tut mir nicht gut. Zweifellos sehe ich Dinge, die es nicht gibt.
Menschen, die halb verschwinden, was für ein Unsinn!
Meine Nerven scheinen wirklich überreizt zu sein.
Aber je schneller er, das heißt wir hier fertig sind, desto schneller bin ich wieder aus dieser unheimlichen Umgebung fort.
„Warten Sie, ich komme sofort zu Ihnen“, rufe ich deshalb und setze meinen Fuß auf die erste Stufe.