Endlich haben wir es geschafft und die Kiste ist oben.
Oben, in diesem geheimnisvollen und etwas unheimlichen Zimmer.
MEINE Kiste!
„Ich hole etwas für Ihre Hände und für die Truhe.“
Was will er mit ihr? Ich möchte nicht, dass er sie anfasst.
Aber er hat recht. Es ist sicher nicht gut für das Kostüm, wenn ich es mit dreckigen Händen anfasse.
Andererseits macht mir dieser Schmutz nicht wirklich was aus.
Während der Mann also Richtung Laden verschwindet und die Türe hinter sich schließt, knie ich neugierig neben diesem geborgenen Schatz.
Wie kann man ein solches Kleinod nur in einem gammligen Keller vor sich hin rotten lassen?
Und wie alt mag sie sein? Ich kenne mich da nicht wirklich damit aus, aber ich spüre, dass dieser Gegenstand schon sehr, sehr lange existiert.
Entzückt streiche ich über diese Silberbeschläge. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier kein Imitat ist, sondern echt. Massiv und kunstvoll.
Verdammt – das macht das Teil wertvoll. Und vermutlich unbezahlbar.
Trotzdem – ich muss sie haben. Und ich werde sie bekommen. Dafür werde ich alles tun.
Zärtlich male ich einige kleine Kreise auf das Holz. Ist das Eiche?
In diesem Moment höre ich, wie der Mann den Raum wieder betritt. Ertappt zucke ich zusammen, löse schnell aber widerwillig meine Hände und springe wieder auf die Füße.
Leider nicht schnell genug. Der Verrückte kichert mal wieder. Offensichtlich amüsiert ihn mein Verhalten.
Vielleicht aber auch nicht – der kichert ja ständig über irgendwas.
Er streckt mir nun ein kleineres weißes Frottierhandtuch hin, welches ich nur zögernd ergreife. Ich erkenne, dass es mit warmem Wasser benetzt wurde.
Ich kenne so etwas von Flugzeugreisen. Zumindest habe ich das ein- oder zweimal auf Langstreckenflügen erlebt.
Das Frottiere ist blütenweiß und makellos; ich kann keine Verunreinigung darauf entdecken. Ehrlich gesagt erstaunt mich das ein wenig, angesichts der sonstigen Umgebung. So eine Sauberkeit angesichts des ganzen Drecks.
Vorsichtig reibe ich meine Hände darin. Das Handtuch verfärbt sich leicht braun – aber lange nicht so sehr, wie ich erwartet habe.
„Danke“, sage ich und gebe es dem Verkäufer zurück. Er hat noch ein größeres, schwarzes Tuch in der Hand, welches offensichtlich in gleicher Weise vorbehandelt wurde.
„Für die Truhe“, erklärt er. „Sie sollten das tun.“ Ist das so etwas wie Triumpf in seinen Augen? Nur weshalb?
Ich vermeide jeglichen Kommentar und greife nach dem Stoff. Vorsichtig und behutsam streiche ich damit über diese Antiquität. Ich gehe bewusst langsam vor, um sie nicht zu verletzen oder wehzutun.
Nun lacht der Mann sogar laut auf. „Ich habe gut gewählt“, erklärt er selbstzufrieden.
Der kann mich mal!
Ich beschließe, ihn einfach zu ignorieren und poliere weiter das glatte Holz. Durch die dunkle Farbe des Handtuchs kann ich nicht so gut erkennen, wie viel Stau es aufnimmt – aber auch hier scheint es weniger zu sein als erwartet.
„Martinelli“, erklärt er zusammenhanglos.
Kurz vergesse ich meine Absicht, ihn einfach zu ignorieren und drehe mich zu ihm um. „Wie?“
„Martinelli“, wiederholt er. „Die Name der Familie, der diese Truhe gehört.“
Also nicht ihm? Und weshalb hat er sie dann da unten versteckt?
Er muss meine Verwirrung bemerkt haben, denn er fährt fort: „Sie haben sie mir überlassen. Damit ich einen geeigneten… nun…. sagen wir mal … Besitzer finde.“
Meint er damit mich?
Das wäre natürlich ideal. Und sonst muss ich ihn einfach davon überzeugen.
So wie es aussieht, ist nun alles sauber und ich reiche ihm den Stoff zurück. Um meine Gier nicht zu offensichtlich zu zeigen, heuchle ich erst mal Interesse: „Italiener?“
„Ja. Alte Freunde von mir.“, erklärt er knapp.
Also war dieses Teil vermutlich viele Jahre bei diesen Martinellis, bis sie sich entschlossen, sie zu diesem Verrückten zu bringen.
Ich schlucke, um meinen Unwillen nicht zu sehr zu zeigen. Vermutlich lag sie auch die Kiste auch dort jahrelang vergessen irgendwo auf einem einsamen Dachboden oder dergleichen.
Bevor ich etwas darauf erwidern kann, fährt er fort: „Schauen Sie sich dieses alte Stück und den Inhalt in aller Ruhe an.“
Erstaunlich, wie nett der Ladenbesitzer sein kann. Ob es die Aussicht ist, ein gutes Geschäft zu machen?
Sicher, er hat mein Interesse an dieser Antiquität bemerkt. So ein Mist auch.
„Sie ist nicht verschlossen. Die Verschläge unten lassen sich einfach hochklappen“, verrät er mir weiter, immer noch der freundliche Verkäufer.
Ich nicke. Lass mich endlich damit alleine!
Seine Mine ist unergründlich: „Wie ich schon angedeutet habe, ist Ihr komplettes Kostüm darin. Es ist wichtig, dass sie ALLES anziehen. Außer den Vampirzähnen, die Sie in einem extra Beutel finden. Die haben bis später Zeit.“
Weshalb betont er dies so seltsam? Er soll lieber verschwinden.
„Rufen Sie einfach, wenn Sie fertig sind“, ergänzt er nun auch noch. „Ich werde Sie hören.“
Erst jetzt verstehe ich, was er meint. Ich scheine wohl im Moment etwas schwer von Begriff zu sein.
„Ich soll das alles gleich jetzt anprobieren?“
„Wofür hätte ich Sie sonst in dieses Zimmer hier gebracht?“, grummelt er ungehalten.
„Ich kann das aber auch zu Hause machen“, schlage ich vor. Ich möchte lieber diese Truhe einfach mitnehmen.
Ich muss sie einfach haben.
Was, wenn die Verkleidung doch nicht passt und er sie mir wieder wegnehmen möchte?
„Nein. Die Kleider werden passen aber es ist wichtig, dass Sie es gleich anprobieren. ALLES!“
Was hat er nur immer mit seinem ALLES? Was ist denn da Geheimnisvolles alles drin?
„Ja, ich habe verstanden“, versichere ich leicht genervt. „Außer den Zähnen.“
Der Typ ist und bleibt seltsam.
„Sie können sich Zeit nehmen.“ Hat er das nicht gerade schon gesagt? „Ich werde in der Nähe sein.“
Guter Mann, du wiederholst dich. Dazu kommt erneut dieses Kichern. Mittlerweile ist mir dieses schon sehr vertraut.
Ich werde nie verstehen, was daran so lustig ist. Vermutlich ist der nicht nur verrückt, sondern auch noch dement oder so was.
So oder so, ich bin erleichtert, dass er keine weiteren Worte verliert, sondern sich tatsächlich von dannen macht.