So sehe ich also als ‚Vampir‘ aus.
Schon eine ganze Weile betrachte ich mich.
Sieht wirklich klasse aus.
Liegt es am gutsitzenden Stoff? Am Umhang?
Vermutlich trägt alles dazu bei.
Ich hätte den Verkäufer schon lange rufen können. Aber ich zögere es noch hinaus. Noch ein wenig alleine sein, ehe dieser verrückte Kauz wieder neben mir steht.
Es ist verdammt ruhig hier, ist er überhaupt noch da?
Ich schließe die Augen.
Die Kälte umgibt mich wie ein schützender Kokon. Ich habe mich nicht nur an sie gewöhnt, sondern auch das Gefühl, dass sie mir guttut. Ja, ich habe angefangen sie zu genießen und es stört mich auch nicht weiter, dass sie ein wenig stärker geworden ist.
Kurz hatte ich wieder die Einbildung der Gerüche. Vor allem war da wieder das Metall.
Woher kommt das nur? Insbesondere der Geschmack von Kupfer lässt mich nicht los. Die anderen empfinde ich als angenehm, aber dieser Metallduft, er macht mich irgendwie – hungrig.
Nicht dass mein Magen sich meldet – es ist eine andere Art von Hunger, vermischt mit einer fremdartigen Gier.
Egal – der Geruch ist ja nicht mehr da und ich fühle mich großartig.
Ich öffne wieder die Augen und fahre fort, mich im Spiegel zu betrachten. Fast ein wenig selbstverliebt, wie ich zugeben muss.
Das einzige, was mich ein wenig stört, ist dieser Gegensatz von Perücke und Gesicht. Dieses Nebeneinander von blond und dunkel.
Ich seufze. Ich hatte mir ja vorgenommen, auf die Perücke zu verzichten. Andererseits schwitze ich wider Erwarten überhaupt nicht und dieser etwas andere Typ – ja, er gefällt mir.
Ich habe lange Haare nie in Erwägung gezogen. Und würde mit meinen auch vermutlich nicht gut aussehen. Dafür sind sie einfach zu dünn. Und dieser Aufwand, den man dafür treiben muss. Meine letzte Freundin hatte eine lange Mähne, und ständig war sie mit Pflegen beschäftigt. Tönung, Kur und was weiß ich – furchtbar.
Und das wird bei den Männern ähnlich sein. Ich glaube kaum, dass man da weniger tun muss, nur weil man zum anderen Geschlecht gehört. Es soll ja schon auch gut aussehen.
Aber diese Haare – obwohl zu einem Zopf geflochten, sieht man, dass sie wunderbar sind. Pechschwarz, dick und glänzend. Der Träger war sicher sehr stolz darauf, keine einzige graue Strähne. Weshalb nur hat er sich davon getrennt?
Und nun sind sie auf meinem Kopf und machen mich attraktiv. Die Mädels würden sicher darauf stehen. Also doch anziehen? Aber was dann mit dem Rest? Ich werde ja wohl kaum meinen Bart abrasieren, nur wegen einem einzigen Abend. Schließlich trage ich ihn seit Jahren und bin stolz darauf.
Aber was mache ich mir jetzt einen Kopf? Kann ich ja später immer noch. Besser, ich beende meinen Aufenthalt hier.
Ich gehe zur Türe und öffne sie.
„Hallo?“, rufe ich laut. Vielleicht hört der Alte ja sonst nicht. Auch wenn er das Gegenteil behauptet hat. „Sind Sie noch da?“
Es vergehen einige Minuten und ich will mich gerade erneut bemerkbar machen, als ich schlurfende Schritte höre. Und dann sehe ich ihn auch schon vor mir stehen.
Wie bitte? Wie konnte er so schnell…? Erschrocken springe ich einen Schritt zurück, zurück in dieses seltsame Zimmer.
Der Mann lacht meckernd aus – das hat was von einer Ziege – ehe er mich betrachtet.
Ein verstummt und ein freudiges Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.
‚Alessandro“, sagt er leise, in einem feierlichen Ton.
Wie? Was?
Verwirrt starre ich ihn an.
„Ich erkläre es gleich“, verspricht er ungewöhnlich höflich. „Zunächst muss ich noch etwas wissen.“
Ich hätte ihn nicht rufen sollen, sondern einfach verschwinden. Der Mann ist mir einfach immer noch nicht geheuer und nervt nur.
Was will er denn noch? Können wir nicht einfach über den Preis reden, damit ich endlich nach Hause kann?
Der Verkäufer deutet auf die von mir vorher schon erwähnten Darstellungen der Möbel. „Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das hier sehen?“
Darauf möchte er jetzt eine Antwort?
Ich seufze und deute auf einen der Luziferkumpanen, der besonders groß gezeichnet wurde.
„Dieser Teufel hier fällt besonders aus. Allerdings finde ich ihn nicht ganz so gut getroffen wie die kleineren. Er ist fast zu nett – er hat keine spitzen Zähne oder Ohren wie die anderen. Und auch seine Augen sind normal dargestellt, während die der anderen rot leuchten. Auch wendet er sich nicht den Engeln zu, um sie zu bekämpfen, sondern spielt mit seinen Fingernägeln. Vielleicht ein Teufel mit Depressionen, was weiß ich.“
„Ist er Ihnen sympathischer, weil er nicht kämpft?“
„Nein, auf keinen Fall!“, begehre ich auf. „Es ist seine Aufgabe, die Hölle zu verteidigen, und stattdessen sitzt er nur faul rum.“
Oh Gott, was rede ich da für ein Blödsinn! Wie kommen solche Gedanken in meinen Kopf!
Offensichtlich aber ist es eine Antwort, die dem Hausbewohner gefällt, denn er kichert mal wieder und strahlt mich geradezu an. „Sehr gut, sehr gut. Ich hatte also die richtige Eingebung.“
„Eingebung?“, frage ich verblüfft.
Er nickt eifrig. „Ja, ich hätte auch noch so etwas Ähnliches wie eine Teufelsverkleidung gehabt. Eigentlich mehr ein Dämon. Und ein Werwolfsfell, das habe ich gerade neu reinbekommen. Aber nein, das hier passt besser. Sie sind DER richtige für dieses Kostüm.“
„Werwolf?“, frage ich belustigt nach.
„Ja. Hätte sie das etwas auch interessiert? Sie waren doch recht unschlüssig, oder habe ich das falsch aufgefasst?“
Am Anfang hatte ich den Eindruck, dass dem Mann das Sprechen schwerfällt. Dieser hat sich völlig gelegt. Er spricht weder besonders schleppend noch besonders langsam. Entweder habe ich mich geirrt oder unsere Unterhaltung hat dafür gesorgt, dass er sich wieder ans Sprechen gewöhnt hat. Nun habe ich sogar den Verdacht, dass er ein wenig mit mir Schwatzen möchte. Auch blickt er wesentlich freundlicher, seit ich in kompletter Vampirmontur vor ihm stehe.
Ich selbst habe zu einem Gespräch mit ihm nicht wirklich Lust, aber ihn bei guter Laune zu halten, kann eigentlich nicht schaden. So antworte ich ihm: „Mein Freund schwärmt für Werwölfe, seit ich denken kann. Er hat sicher jeden Film darüber gesehen, den es gibt.“
„Film – soso“, wiederholt er gut gelaunt. „Werden Sie ihn heute auf der Party sehen?“
„Vielleicht. Ich weiß nicht.“ Er wird sicher da sein, Bruno lässt sich keine Halloweenparty entgehen. Aber das braucht er nicht zu wissen.
„Wissen Sie, ob er gewisse Vorlieben hat, was Werwölfe betrifft?“, bohrt der Alte weiter.
Warum lässt er das Thema nicht einfach? Und was meint er?
„Keine Ahnung“, antworte ich wahrheitsgemäß. Keine Ahnung, auf das mein Gesprächspartner hinauswill und ebenso wenig, ob es da Besonderheiten gibt. Werwölfe sind Werwölfe, oder?
„Ich habe ein ganz seltenes Exemplar. Kostüm meine ich natürlich. Einen Albino. Sie wissen schon, weiß mit roten Augen. Daher könnten Sie meinen Laden ihm vielleicht empfehlen, Alessandro Martinelli?“
„Ich heiße nicht Alessandro Martinelli“, widerspreche ich energisch. Der ist einfach irre.
Trotzdem schlägt mein Herz schneller, als er mich so anspricht. Es fühlt sich falsch an und auch nicht.
Keine Ahnung, warum. Der Typ macht mich noch ganz irre.
„Weil das der Name des Besitzers der Truhe samt Inhalt war. Und da Sie seine Kleider tragen, ist es nur recht und billig, Sie so zu nennen, oder etwas nicht?“, erklärt er in einem viel zu liebenswürdigen Ton.