Irgendetwas passiert.
Ich weiß nicht, was es ist. Nur der Wille, mein Kostüm mit allen Mitteln zu verteidigen.
„Oh. Es ist schon weiter fortgeschritten, als ich dachte. Erstaunlich.“, murmelt er. „Aber das ist gut, sehr gut.“
Kann der Mann nicht ein Mal was Verständliches sagen?
Auf jeden Fall strahlt er nun, als hätte ich ihm ein großes Geschenk gemacht.
„Wunderbar. Ein sehr gutes Zeichen. Sie werden mächtig sein, sehr sogar. Und dadurch äußerst gefährlich“, kichert er. „Die Familie Martinelli bekommt nach all den Jahren endlich ihre Rache. Eine weitaus bessere als erwartet. Ihr Sohn war ja nie besonders stark, aber Sie…“
Ich höre jetzt einfach gar nicht mehr hin. Der ist eh verrückt.
Ich lass ihn einfach plappern. Mich interessiert nur eines – mein Kostüm.
„Ich werde das hier anbehalten, hören Sie?“, kläffe ich ihn an.
„Sie brauchen etwas, um sich zu beruhigen. Warten Sie bitte kurz.“, entgegnet er lächelnd, ohne auf mein Verhalten einzugehen.
Verdammt! Weshalb hat er darauf nicht geantwortet? Hat er nicht zugehört?
Wütend gehe ich auf und ab und überlege, was ich tun soll. Alles in mir sträubt sich, diese göttliche Kleidung wieder auszuziehen.
Ich fühle mich zusehens wohler darin. Weshalb will er, dass ich sie wieder ablege?
Einfach verschwinden wäre natürlich eine Option. Erst recht seit ich weiß, dass er mir die Dinge einfach so geben möchte.
Ich höre ihn die Treppe nach oben gehen und etwas öffnen. Einen Kühlschrank.
Was macht er da?
Neugierig lausche ich. Der Typ muss ziemlich laut sein, wenn das alles so deutlich an meine Ohren dringt.
Ich höre ihn leise kichern. „Das wird Ihnen helfen.“
Woher weiß er, dass ich ihn belausche? Und was hat er vor?
Er öffnet den Hängeschrank – zumindest interpretiere ich die Geräusche so – holt etwas heraus und stellt es ab.
Dieser Gegenstand ist schwer, vielleicht aus Ton oder Steingut?
Anschließens scheint er einen kleinen Topf herauszuholen und auf einen Herd zu stellen.
Nun höre ich etwas aufreißen. Eine Plastiktüte.
„Einen kleinen Moment noch“, höre ich ihn sagen, während er gut gelaunt vor sich hin pfeift. „Ich muss das noch kurz erwärmen – Sie haben zu Anfang noch einen sehr empfindlichen Magen, da sollte es zumindest lauwarm sein.“
Was macht er da nur?
Die Neugierde überwiegt und ich beschließe, nun doch noch eine Weile abzuwarten.
Es dauert einigen Minuten, dann höre ich ihn etwas umschütten. Danach macht er sich wieder auf den Rückweg.
Ein betörender Duft steigt mir in die Nase, der stärker wird, je näher er kommt.
Kupfer! Wieder dieser Geruch.
Meine Nasenflügel beben und ich nehme geradezu Witterung auf.
Was auch immer er da hat, ich brauche das. JETZT!!
Mein Instinkt rät mir, sofort loszustürmen und ihm das „was-auch-immer“ aus den Händen zu reißen. Irgendwie gelingt es mir dann aber doch, einen kühlen Kopf zu behalten. Gleichzeitig schiebe ich reflexartig meine äußeren Mundwinkel nach oben und erwarte, dass etwas geschieht. Keine Ahnung, was da passieren soll, und es verändert sich auch nichts.
Ich entspanne meine Lippen wieder. Irgendetwas fehlt. Nur was?
Da kommt er endlich und ich vergesse diese Gedanken.
Wer hätte das gedacht, dass ich heute noch ungeduldig auf die Rückkehr des Alten warten würde?
Er trägt einen Krug mit sich, den mir entgegenstreckt, als wir uns wieder gegenüberstehen.
Gierig reiße ich es ihm aus der Hand.
Endlich!
Es ist eine rote Flüssigkeit und ich rieche dieses Kupfer. Was es ist, weiß ich nicht und es interessiert mich auch in diesem Moment nicht. Ich weiß nur, ich brauche es. Dringend! Wie die Luft zum Atmen.
Große Erleichterung überfällt mich, während ich das Getränk schnell meine Kehle hinunterfließen lasse.
Das tut einfach gut.
Es ist ein ganzes Sammelsurium von Geschmäckern, die auf meinen Gaumen einprasseln. Süß und salzig, ein wenig süß- säuerlich, gleich einem frischen Apfel. Vermengt mit Metall wie Kupfer und Eisen. Dann meine ich wieder, etwas Himbeere herauszuschmecken, bevor es mich an Tomate erinnert.
Kurzum, es sind sehr viele verschiedene Dinge, die mir alle in den Kopf kommen, und nach der diese Flüssigkeit alles zu schmecken scheint.
Ohne Pause schütte ich alles in mich hinein, bis das Gefäß leer ist.
Der Alte sagt nichts weiter, sondern nimmt den Krug kommentarlos entgegen. „Besser?“, fragt er ruhig.
Ich nicke. Das ist es tatsächlich. „Danke.“
„Es dürfte einige Stunden reichen, mindestens bis heute Nacht. Notfalls kommen Sie dann zu mir. Es wäre allerdings besser, Sie suchen es sich selbst.“
Ich bin jetzt bedeutend ruhiger als noch vorhin. „Was ist das?“, frage ich neugierig.
„Sie werden es noch früh genug herausfinden“, meint er kryptisch. „Wie lange brauchen Sie bis nach Hause?“
Ich zögere. Eigentlich möchte ich viel lieber etwas über diese mysteriöse Flüssigkeit erfahren. Aber etwas sagt mir, dass er stur bleiben wird. Also beantworte ich widerwillig seine Frage. „Etwa eine Dreiviertelstunde, schätze ich.“
„Das ist eine gute Zeitspanne“, meint er zufrieden. „Ich weiß, Sie mögen den Gedanken nicht. Und keiner wird Ihnen IHRE Sachen wegnehmen. Nur ist es wichtig, dass Sie dieses Kostüm für einige Zeit ausziehen. Denken Sie auch nur, was passieren könnte, wenn die Polizei Sie so anhält.“
Es gelingt mir tatsächlich, ihm ohne Wut oder Knurren zu antworten: „Warum wollen Sie, dass ich das tue?“
Er räuspert sich. „Nun ja, dass Sie die… Wahrheit erkennen. Über das Leben, dass Sie aktuell führen. Es ist einfach notwendig.“
Ich schüttle den Kopf. Ich verstehe den alten Kautz einfach nicht.
Andererseits stände ich wohl ohne ihn ganz ohne Verkleidung da. Und er gibt sie mir dazu noch unentgeltlich.
„Sie ziehen sich wieder um, legen das Kostüm zurück in die Truhe, und kommen rüber zu mir in den Laden. Sie können die Kiste hier lassen oder mit rüber in den Verkaufsraum nehmen, wie Sie möchten. Ich werde sie nicht anrühren, Sie gehört jetzt Ihnen. Wir müssen nur noch einige Formalitäten erledigen.“