Die Schwärze umgibt mich. Befleckt meine Seele und zeigt mir Alessandros Erinnerungen, die nun auch die meinen sind. Wie in einem Zeitraffer sehe ich was Alessandro damals, ab seiner Wandlung zum Vampir, alles passiert ist.
Alles kann ich noch gar nicht erfassen und verarbeiten. Aber die wichtigsten Eckpunkte seiner Existenz stechen hervor.
Was denke ich da nur – meine Existenz natürlich.
Denn ich bin jetzt Alessandro.
Ich denke nicht, dass ich eine Wahl hatte. Ich, Daniel, habe seine Dunkelheit, seine Vormachtstellung sofort akzeptiert. Vielleicht auch aus einem Instinkt heraus, da ich spürte, dass er meinen Geist und Körper in diesem Moment auch vollständig hätte vereinnahmen können. Dann wäre nur er übriggeblieben.
So bin ich nun Daniel, der vom Geist des Italieners durchströmt ist und seine Stelle eingenommen hat.
Trotzdem ist ein kleiner Rest von meinem alten Ich noch vorhanden. Wenn auch nur in Bruchstücken.
So kann ich mich noch sehr genau an Daniels Leben und Gedanken erinnern. Aber ich teile seine Gefühle nicht mehr. Die sind ganz die des Untoten, der in mir eine neue Hülle gefunden hat.
Ein gutes Beispiel sind meine Eltern. Das sind nicht mehr das Ehepaar Schmidt, sondern leben in Italien und heißen Martinelli. Schon lange warten sie darauf, dass ihr Sohn endlich wieder zurückkehrt.
Ich habe als Vampir eher kalte und grausame Gedanken. Aber die Familie erweicht auch mein kaltes Herz und lässt mich innerlich warm werden.
Meine bisherigen Eltern respektiere ich, schließlich haben sie diesen Körper erzeugt und den Menschen großgezogen. Aber mehr kann ich ihnen nicht entgegenbringen.
Die Wahrheit ist, allen romantischen Geschichten über uns zum Trotz, dass wir für Menschen meist nicht besonders viel übrighaben.
Sie sind einfach zu schwach. Davon abgesehen auch unsere Nahrungsquelle. Und das eigene Essen ist einfach nicht sonderlich attraktiv, was tiefere Gefühle und so etwas angeht.
Oh ja, geistig bin ich bereits ein Blutsauger. Was sich noch wehrt, ist dieser Körper.
Er möchte einfach nicht in diese neue Existenz getrieben werden, möchte leben oder für immer sterben.
Aber das Gift des Vampirs wird dafür sorgen, dass er weder das eine noch das andere sein wird.
Auch er wird auch er am Ende verwandelt sein – verändert in ein Wesen, was ursprünglich so nicht vorgesehen war und der natürlichen Ordnung widerspricht.
Aber so wie Daniel hat auch er keine Chance. Davon abgesehen, haben die Änderungen schon begonnen.
Die Kontaktlinsen sind verschwunden und haben die alte Augenfarbe von Daniel für immer vernichtet.
Auch bei den Haaren fehlt nicht mehr viel. Die Perücke ist halb angewachsen und könnte nur noch mit einer Operation wieder gelöst werden – die alten Haare spüre ich schon gar nicht mehr.
Die Zähne sind mittlerweile massiv und in einem Stück – nur bewegen und herausschieben kann ich sie noch nicht. Dies wird aber nicht mehr lange dauern.
Mein Körper hat weiter verlernt, mich auf das menschliche Niveau zu erwärmen; meine Körpertemperstur beträgt bereits nur noch zwanzig Grad und wird sich noch um weitere zehn abkühlen.
Auch fehlen ihm jetzt bereits einige der notwendigen Enzyme und Bakterien, um menschliche Nahrung gut zu verdauen. Noch könnte ich sie zu mir nehmen, was aber zwangsläufig zu Durchfall führen würde. Nicht mehr lange und es wird auch dies nicht mehr funktionieren. Stattdessen wird ein großer Ekel mich hindern, dieses Essen auch nur anzufassen geschweige denn zu schlucken. Erstaunlicherweise spüre ich schon jetzt wieder eine aufkommende Gier nach frischem Blut, dabei ist die Umwandlung noch gar nicht abgeschlossen.
Und hatte mir der Alte nicht Blut gegeben und gemeint, das müsse eine Weile halten?
Offensichtlich hat er sich da verschätzt. Ob es daran lag, dass es offensichtlich nicht frisch war, sondern aufgewärmt wurde, wie ich stark annehme?
Ich bin mir noch nicht sicher, aber scheinbar werde ich am Ende täglich mehr frisches Blut benötigen als früher. Wohlmöglich sehr viel mehr.
Gut, dass ich zu der Party geladen bin.
Dieser Körper wird vergewaltigt, mit Zwang zu dem eines Vampirs umgestaltet. Und diese Tatsache befriedigt mich ungemein.
Wie wohl Mutter reagieren wird? Trotz dunkler Haare und Augen habe ich ja ein anderes Gesicht als früher.
Ich hoffe, sie kann sich damit anfreunden.
Aber eigentlich sollte mir darüber nicht bange sein. Sie hat das alles ja inszeniert, das verfluchte Kostüm erschaffen lassen. Davon abgesehen, wird sie so täglich daran erinnert werden, dass ihre Rache geglückt ist und ein Sterblicher seinen Platz für den ihres Sohnes hat räumen müssen.
Ein Mensch hat dafür gesorgt, dass Alessandro vernichtet wurde. Ein Mensch sorgt nun dafür, dass Alessandro wieder auferstehen kann.
Ich lächle nachsichtig – diese in gewisser Weise doppelte Existenz ist noch ungewohnt und ich pendle noch ein wenig zwischen beiden hin und her. Aber das wird sich geben.
Und hat auch Vorteile. Ich spreche und verstehe dank Daniel ja nun die deutsche Sprache. Das wird meiner Familie helfen und sie mächtiger machen.
Ich grinse mein Spiegelbild an. Die Gier in meinen Augen ist deutlich sichtbar.
BLUT! Da wird eine Mahlzeit nachher wohl nicht ausreichen, denke ich.
Aber die Sterblichen wollten ja ihre Halloween Party. Also sollen sie sie auch bekommen. Ihre ganz persönliche Horrorparty.
Ein grausamer Zug legt sich um meine Lippen. Mal sehen wie sich das erste Mal anfühlt, nach so langer Zeit. Und das erste Mal für diesen Körper hier, dass er frische Ware bekommt.
Eric – so heißt der alte Verkäufer aus dem Kostümverleih – hat gut daran getan, Daniel zu zwingen, das Kostüm für einige Zeit abzulegen. Das Gift war bereits stark genug in ihm und machte ihm klar, wie armselig das menschliche Dasein doch war. Sein Drang, seine Sehnsucht, die Verkleidung wieder anzulegen, spielte ihn in meine Hände. Seine Verbitterung und Zweifel über die Menschen sind vereint mit der Kraft und Gedanken Alessandros. Zusammen sind wir stark.
Allerdings sind die Gedanken noch zu oft getrennt, ich fühle mich zu sehr als Daniel oder als Alessandro.
Aber das wird sich ändern. Daniel wird bald für kurze Zeit vergessen, was mit ihm geschehen ist. Aber er wird mich spüren.
Denn nur so können wir völlig eins werden können. Keiner wird uns dann mehr trennen können.
Ein wenig Zeit gebe ich ihm aber noch. Damit meine Erinnerungen wirken und sein altes gutes Ich genug zerstören können, sollte wider Erwarten davon doch noch was übrig sein.
So, nun folgt die Veröffentlichung doch einige Tage früher. Einige der angesprochenen Dinge – woher weiß Alessandro den Namen des Kostümverleihers, wieso ist die Mutter für das Kostüm verantwortlich – werden natürlich noch gelüftet werden.