„Halten Sie Abstand! Zurücktreten!“, befahl er.
Weshalb?
Ich versuchte weiter, mich bemerkbar zu machen. Aber es ging nicht.
Weiter fühlte ich mich seltsam schwach. Mehr als zuvor. Hatte er nicht gesagt, sie sollten mir aufhören, Blut zu geben? Ob es daran lag? Mein Mund und Rachen waren jedenfalls unangenehm trocken.
Eric war mir ganz nahe. Ich spürte es.
Vermutlich auch, weil sich seine Aura veränderte. Etwas Dunkles ging mit einem Male von ihm aus.
Als Untoter waren mir Abgründe und Düsternis nicht fremd. Aber diese Bedrohung hatte eine andere Qualität und war gegen mich gerichtet.
Merkten sie es nicht? Weshalb schritten sie nicht ein?
Nun begann Eric zu sprechen.
Seine Stimme war ungewöhnlich dunkel und die nun folgenden Worte waren in einer fremden Sprache, die unangenehm in meinen Ohren klang und von seltsamen Zischlauten begleitet war.
„Kart zes oktaj oruum meja kupisch“.
Verdammt! Was für ein Übel war das?
Gleichzeitig veränderte sich etwas.
Ich spürte einen seltsamen Sog. Nur sehr schwach und noch hat er keine Auswirkungen. Aber er fühlte sich falsch an.
Was um alles in der Welt passierte hier?
Ich wollte schreien, fluchen, sie alle anschreien. Hilfe! Ich musste hier weg.
Nur allein – ich konnte nicht! Während sich meine Gedanken überschlugen, lag ich bewegungslos und scheinbar unbeteiligt auf der Erde.
„Kart zes oktaj mulo oku mereth oju kesh aj.“
Der Sog wurde stärker. Nun erst merkte ich, woher er kam.
Die Kleider! Sie waren es! Sie zogen an mir!
So, wie er es prophezeit hatte.
„Kart zes oktaj nulak qeriel okum peasch zes akatep.“
Ein Abgrund! Und ich wurde dorthin gezogen, drohte, in ihm hinabgerissen zu werden.
Der Stoff lebte nun!
Wollte mich.
Mich in sich einverleiben. Zog an mir. Begann, mein Bewusstsein in sich aufzunehmen.
Hilfe!
Vergeblich versuchte ich, mich zu wehren.
Nein! Ich gehörte nicht da hinein! Mein Körper! Ich durfte ihn nicht verlassen.
Hilfe!
„Kart zes oktaj pela murz koro maz fara tuz raji.“
Auch meine Haare und Zähne wurden Bestandteil seines Fluchs. Sie schienen mir ebenfalls Energie zu entziehen, wobei es sich nicht ganz so bedrohlich anfühlte.
Und was war mit meinen Augen? Ja, ich hatte sie geschlossen, doch sie brannten plötzlich furchtbar und schienen sich von mir abzulösen.
Eine Einbildung?
Ich achtete nicht weiter darauf. Stattdessen konzentrierte ich mich wieder auf den Versuch, diesem gefährlichem Stoff zu widerstehen. Ich musste mich konzentrieren, vielleicht konnte ich dann das Unglück aufhalten.
Wenn ich nur nicht so schwach wäre. Meine Felle schwammen mir davon.
Ich spürte mich nun innerhalb und außerhalb meines eigenen Körpers. Was seltsam und grausam genug war.
Unter anderen Umständen hätte ich den Körper in meiner stofflichen Form umschmeichelt – weich und zärtlich hätte ich seine Haut gestreichelt, wäre wunderbar weich gewesen, hätte ihm einen noch nie erlebten Tragekomfort geboten.
Und das nur, damit er mich anbehielt und nicht mehr auszog. Denn es dauerte eine Weile, um vollständig in ihn einzudringen.
Und ich hatte es. Den unbedingten Drang, wieder in einem Körper zu sein, einen zu übernehmen, zu kontrollieren und mich in etwas irgendwie Lebendiges zu verwandeln, nicht in dieser toten Materie zu verweilen.
Aber dieser Körper war zu schwach, würde bald sterben. Er war auf die einzige Weise verletzt worden, wie man es einem Vampir unmöglich machen konnte, darin fortzubestehen.
Davon abgesehen war ich es ja selbst, meine eigene Hülle, dessen Geist teilweise noch darin wohnte, aber zusehends daraus vertrieben wurde.
Dieser Prozess setzte sich weiter ungehindert fort. Mein Plan, meine Versuche, ihn aufzuhalten, scheiterten kläglich. Ich konnte gar nichts dagegen tun. Statt zu sterben oder auf andere Weise diese Erde zu verlassen, floss meine Lebenskraft hinüber in das leblose Material.
Was geschah nun? Ich meinte plötzlich, einen großen Schmerz zu spüren. Furchtbar stark und doch irgendwie weit weg. Unwirklich.
Vielleicht lag es daran, dass der Großteil meines Bewusstsein bereits meinen Körper verlassen hatte. Denn etwas stimmte mit ihm gar nicht mehr, er brach zusammen.
Mir entwich ein heiserer Schrei – es sollte das letzte Mal für eine sehr, sehr, lange Zeit sein, dass ich einen Ton von mir gab – und meine letzten Kräfte entwichen und flohen geradezu in die Kleidung hinein.
Den Holzpfahl! Jemand musste ihn herausgezogen haben!!
„Kart zes oktaj musi saresch aji luva toram kajesch. Kart zes oktaj fini mak.“
Gleich hatte Eric sein Ziel erreicht. Ich war nun fast komplett verloren, gefangen in dieser grausamen Existenz, eingesogen in meinen Anziehsachen. Ich würde nichts mehr hören, riechen oder sagen können.
Das letzte, was ich hören konnte, waren die Worte meiner Mutter.
„Bitte, Eric, ein Deutscher. Ein Deutscher ist für das Ende meines Sohnes verantwortlich. Ein Deutscher soll deshalb seinen Platz einnehmen.“
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Ich habe nachträglich ein "Ordnungskapitel" eingefügt, bitte nicht davon irritieren lassen, dass diese Geschichte nun 2 Kapitel mehr hat, aber als solche nur 1 weiteres Kapitel.