Obwohl ich dieses Gefühl der Macht mehr als nur genieße und gerade entspannt neben Frank sitze, bleibe ich wachsam und achte darauf, ihn weiterhin zu kontrollieren.
Ich werde diese neue Fähigkeiten um nichts in der Welt mehr hergeben. Nie mehr ohnmächtig fühlen, nie mehr mich ungerecht behandeln lassen.
Und ich werde alles dafür tun. Das, was ich tun muss, damit Frank mein Geheimnis nicht ausposaunen kann.
Insofern passt es auch, dass ich mich jetzt Alessandro nenne. Ein neuer Name für ein neues Leben.
Noch immer kann ich mich nicht erinnern. Aber irgendetwas muss geschehen sein.
Alessandro Martinelli ist dunkel, der Abgrund in mir. Ich fühle mich ihm sehr verbunden. Ja, Daniel triftet immer weiter weg. Alessandro ist das, was ich sein möchte. Und von Minute zu Minute mehr werde.
Aber darüber werde ich später nachdenken. Jetzt geht es erst einmal darum, das Problem Frank zu lösen. Wir sind nämlich mittlerweile an unserem Ziel angekommen und der gute Mann wartet ängstlich keuchend auf die Dinge, die da kommen werden. Schreien kann er nicht, dafür habe ich gesorgt. Höchstens leise reden. Was er im Moment jedoch nicht tut.
Ich muss zugeben, für menschliche Verhältnisse ist er durchaus attraktiv. Er hat ein hübsches Gesicht und durch seinen nahezu täglichen Sport auch einen gut trainierten Körper. Dazu kommen die vielen Tätowierungen, die mittlerweile ja auch irgendwie hipp sind. Good Boy mit einem Hauch von Bad Boy. Eine Mischung, die im Trend liegt und deshalb gut ankommt. Witzigerweise nicht nur bei den Frauen, sondern auch in der Geschäftswelt.
Er hatte es immer leichter als ich.
Ein wütendes Grollen entweicht meiner Kehle, was meinen alten Kumpel ängstlich wimmern lässt.
Geschieht ihm ganz recht.
„Bitte, Daniel“, flüstert er. „Bitte, tu mir nicht weh!“
„A-le-ssan-dro“, zische ich kalt. „Wie oft muss ich dir das noch sagen!“
Er antwortet nicht, sondern starrt mich nur mit schreckensgeweiteten Augen an.
„Wie heiße ich?“, knurre ich.
„Alessandro“, stammelt er verängstigt.
„Sehr schön. Ich hoffe, du hast das jetzt endlich verstanden.“ Ich kann selbst hören, wie grausam meine Stimme klingt. „Hast du eine Decke dabei?“
„Wie?“ Verwirrt starrt Frank mich an, der mit meinem plötzlichen Themenwechsel nichts anfangen kann.
„Muss ich hier denn alles wiederholen?“
„Nein, nein, schon gut. Ja, ja…. Hinten, im Lagerraum.“
Seine Angst ist einfach so süß. Und macht mich hungrig. Ich sollte wirklich bald etwas essen.
Ich starre erneut auf seinen Hals und denke an seine Halsschlagader. Ja, diese variiert ja bei den Menschen, je nach gesundheitlichem Zustand. Man kann den Puls an ihr spüren und damit auch das Blut, dass durch den Körper rauscht.
Blut!
Ich erinnere mich an etwas.
Erik.
Habe ich das Kostüm von ihm? Ich bin mir nicht sicher.
Aber ich weiß nun wieder, wie er aussah. Ein wenig verschroben schon. Und ich glaube, Daniel hatte auch ein wenig Angst vor ihn.
Aber da war etwas. Eine rote Flüssigkeit, die nach Kupfer roch.
Er hatte sie mir gegeben. Und siie tat mir gut. Ich brauchte sie. Wie auch jetzt.
„Mach alles Lichter am LKW aus. Wir gehen nach hinten. Nimm deine Schüssel mit.“
„Bitte, Alessandro...“
Wie es aussieht machen wir doch so langsam Fortschritte.
Ich könnte sein verzweifeltes Winseln auch unterdrücken, aber weshalb etwas abstellen, was mir gefällt? So reicht es mir dafür zu sorgen, dass er mir widerstandslos in den Laderaum folgt.
„Schließ auf“, flüstere ich, als wir hinter dem Lastwagen vor den zwei Türen stehen. Dabei kann ich es nicht lassen, eine Hand auf die Schulter meines früheren Freundes zu legen.
Er zuckt zusammen, sagt aber nichts und macht auch keine Anstalten, sie wegzunehmen, auch wenn er es wohl am liebsten täte.
Meine Hand ist sehr kalt, wie ich auch selbst bemerke. Weiterhin juckt die Haut, besonders vorne an den Fingerspitzen.
Ich werde mich später damit beschäftigen – jetzt ist erst Mal das hier dran.
Quietschend gehen die beiden Flügel auf. Dabei geht auch automatisch die schwache Innenbeleuchtung an.
Franks Auto ist so gut wie leer. An der Seite ein paar Utensilien, irgendwelchen Kram. Interessiert mich nicht.
Ganz vorne liegt zusammengelegt eine dunkelrote große Fleecedecke.
Perfekt.
„Nimm die Decke und breite sie in der Mitte der Ladefläche aus“, befehle ich. Meine Hand wandert nun von hinten an seinen Nacken und grault sie sanft.
Was dazu führt, dass sich Frank noch mehr versteift.
Soll er. Er hat eh nichts zu sagen.
„Und wenn du damit fertig ist, dann mach die Beleuchtung aus. Ich will es dunkel – stockdunkel.“ Fast automatisch ergänze ich: „So wie in einem Grab.“