„Bleib!“, befehle ich.
Eigentlich müsste ich gar nichts sagen. Ich hätte Frank auch so unter Kontrolle.
Aber es käme mir einfach komisch vor ihm alles stumm zu befehlen. Und es gefällt mir einfach besser so.
Bei meinem Freund habe ich auch einfach Glück. Nicht jeden kann man manipulieren. Dazu darf ich nicht abgelenkt sein. Und bei geistesstarken Menschen kann ich deren Willen nicht steuern.
Ein Wissen, dass ich plötzlich habe. Woher auch immer
Ich weiß noch immer nicht, was mit mir geschehen ist und noch passiert. Umkehren kann man es wohl nicht.
Was ich im Übrigen auch nicht möchte.
Ich habe Frank „gebeten“, die Innenbeleuchtung auszuschalten, so dass es hier im Laderaum nicht gerade sonderlich hell ist. Er selbst steht neben der Decke und kann sich nicht rühren.
Ich schließe die Türen.
Nun ist es wirklich stockdunkel.
„Taste dich zur Decke und lege dich auf den Rücken“, befehle ich. Dabei sorge ich dafür, dass er relativ ruhig bleibt. Nicht dass er vor Panik um sich schlägt und hier noch alles durcheinander bringt.
Obwohl es wirklich finster ist – ich erkenne an Franks Verhalten, dass er fast nichts mehr sieht – kann ich jedes Detail erkennen. Wie bei einem nachtaktiven Tier habe ich keinerlei Probleme, mich in dieser Finsternis zurechtzufinden, ganz im Gegenteil. Ich erkenne nicht nur Umrisse, sondern Details. So, als wäre ich geschaffen dafür, wäre ich selbst ein Wesen der Nacht.
Vielleicht bin ich das ja jetzt?
Während ich die ungeschickten Bewegungen meines Freundes beobachte, fühle ich mit einem Male einen großen Druck im Mund. Meine Zähne fühlen sich seltsam an und ich öffne unwillkürlich den Mund.
Seltsame dicke Stäbe sind in meinem Mund oder vielmehr unter dem Zahnfleisch. Ich habe das vermutlich schon eine ganze Weile, aber im Eifer des Geschehens wohl einfach ignoriert.
Es ist nicht überall, aber ich fühle diese Verhärtungen an insgesamt vier Stellen, zwei oben und zwei untern.
Irgendetwas bewegt sich in meinem Mund. Ein seltsames Gefühl, welches ich nicht kenne und zuordnen kann.
Glücklicherweise gelingt es mir trotzdem weiter, Frank in Schach zu halten. Erst dieses Kribbeln in den Händen, und nun noch das.
Um mich abzulenken, beobachte ich weiter meinen Freund, der nun auf dem besagten Fleece liegt. Seit hektisches und schnelles Atmen höre ich nicht nur, sondern erkenne es auch an der Bauchdecke, die sich rasch hebt und wieder senkt.
Irgendwo habe ich so etwas schon erlebt.
Liegende Menschen. Auf dem Boden liegend vor mir.
Ein Déjà-vu, ohne es recht einordnen zu können.
Ich trete langsam näher.
‚Sein‘ Hals summt es in meinem Kopf.
‚Halsschlagader‘.
Summ, summ, summ.
‚Hals‘.
‚Halsschlagader‘.
Summ, summ, summ.
‚Hunger‘.
Summ, summ, summ.
‚Hals‘. ‚Halsschlagader‘. ‚Hunger‘.
Summ, summ, summ.
Ich erinnere mich an den Geruch von Kupfer.
‚Hals‘ ‚Kupfer‘ ‚Hals‘ ‚Kupfer‘.
‚Kupfer‘. Summ. ‚Halsschlagader‘. Summ, summ.
‘Blut‘!
Summ, summ, summ.
‘Blut’! Blut! Er hat Blut!
Summ, summ, summ.
Ich brauch Blut.
Das Summen wird immer lauter in meinen Kopf und hindert mich im Moment daran, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein lautes Dröhnen, welches mich instinktiv handeln lässt.
Und dann geschieht es. Mehreres gleichzeitig.
Die Stäbe bewegen sich, schieben sich aus dem Zahnfleisch. Ich höre ein Knirschen, das Knirschen von Zähnen. Oder eher ein Knacken, welches sich in meinen Ohren nicht gerade gut anhört. Es klingt fast so, als ginge etwas kaputt.
Meine Zähne sind es. Zusammen mit diesen seltsamen Stiften schieben sie sich hervor. Langsam, Stück für Stück, fühle ich, wie mir oben und unten jeweils zwei Fangzähne wachsen, wie bei einem wilden Raubtier. Dabei sind sie oben etwas weiter auseinander und länger als unten.
Oh Mann! Ich muss sie nicht berühren, um zu wissen, wie spitz sie sind.
Aber das ist noch nicht alles.
Das Jucken und Kribbeln in meinen Händen nehmen zu. Auch hier stimmt etwas nicht.
Meine Fingernägel tun mir weh. Und das Nagelbett brennt unangenehm.
Ehe ich weiter darüber nachdenken kann, schiebt sich auch hier etwas vor.
Es sind meine Nägel. Wie das sein kann, verstehe ich nicht, aber auch sie wachsen, werden länger. Aus meinen Händen werden so Krallen. Krallen die dafür gemacht sind, jemanden zu packen und festzuhalten.
Bei Bedarf auch zu töten.
Denn diese Krallen sind außergewöhnlich spitz und fest. Jeder meiner Finger ist nun mindestens doppelt so lange und ich warte nur darauf, meine neuen Hände mal auszuprobieren.
Das lebende Objekt liegt idealerweise gerade vor mir.
Ich könnte Frank natürlich einfach in den Hals beißen. Theoretisch müsste es aber auch funktionieren, ihn mit meinen neuen spitzen Krallen ein wenig aufzuschlitzen.
Schon praktisch, doppelt abgesichert zu sein.
Weiter darüber nach denke ich jedoch nicht.
Es ist höchste Zeit, dem Summen in meinem Kopf nachzugeben.