Die Musik ist alles andere als leise. Weshalb denken die Sterblichen eigentlich immer, dass laut gleichbedeutend mit gut ist?
Mir sollte es aber gleich sein, denn allzu lange werde ich mich hier eh nicht aufhalten. Ich suche mir jemanden aus, wir gehen in das Innere von Franks Lkw und während mein Diener darauf achtet, dass keiner auf uns aufmerksam wird, gebe ich mich ungezügelt meiner Gier hin.
Soweit so gut und dieser Plan ist gut.
Neben dem Lärm nehme ich eine Vielzahl verschiedenster Gerüche wahr- ein seltsames Sammelsurium von Deo, Parfüm, Aftershave und Schweiß vermischt mit dem penetranten Gestank von Alkohol und Essen. Auch den Geschmack von Rauch und Urin kann ich wahrnehmen, was ich aber wohl meiner feinen Vampirnase zu verdanken habe.
Während ich mich suchend umblicke, kann ich Bruno an der Bar ausmachen, der mit einigen Kumpels dort herumhängt und gerade aus einem Bierkrug trinkt. Ein dunkles Hefeweizen, wenn ich richtig sehe.
Sofort fällt mir Eric ein und seine Aufforderung, jemand Geeignetes für sein Werwolfskostüm zu finden und zu ihm zu schicken.
Ja, meine Erinnerungen kommen immer mehr zurück. Er war es, der mir dieses Kostüm gab und mich zu Alessandro werden ließ. Die Szenerie in seinem Laden hat sich deutlich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Auch über den, der ich jetzt bin – der jüngste Spross der Familie Martinelli – weiß ich mittlerweile einiges mehr. Das Rätsels, wie sein – oder soll ich sagen mein - Geist in diesen leblosen Stoff kommen konnte, habe ich allerdings noch nicht lösen können. Aber auch das wird sich mir sicher bald erschließen, dessen bin ich mir sicher.
Da ich die Nummer von Eric vorhin in meinem Handy abgespeichert habe, bekommt Bruno einfach seine Visitenkarte. Ich will mein Versprechen unbedingt vor dem Trinken einlösen, damit ich meine erste Mahlzweit mit diesem Körper auch ausreichend würdigen kann. Daniel ist auch schon sehr neugierig darauf.
Und diese Werwolf“- Geschichte dürfte relativ schnell über die Bühne gehen.
Von Vorteil ist, dass Bruno nichts mehr trinkt, wenn er noch fahren muss, seit sein Bruder wegen Alkohol am Steuer seinen Führerschein abgeben „durfte“ und sein Bier somit sicher ein alkoholfreies ist. Es ist also kein Problem, ihn zu Eric zu schicken.
Allerdings wird mein Einfluss mit der Zeit nachlassen, wenn er erst mal aufgebrochen ist. Und voller Gier nach dem Kostüm ist vielleicht auch nicht die beste Voraussetzung, um am Verkehr teilzunehmen.
Ich muss also sicherstellen, dass er dort ankommt.
Und was ist mit meinem Essen?
Frustriert greife ich zum Telefon. Soll der Alte aktiv werden, wenn er ihn bald haben möchte.
Ob ich ihn erreiche?
Ich suche mir ein einigermaßen ruhiges Plätzchen und wähle seine Nummer.
Lange brauche ich nicht zu warten. Schon nach drei Mal Klingeln höre ich sein brummendes „Ja“ an meinem Ohr.
„Hallo Eric“, begrüße ich ihn.
„Ah, guten Abend Alessandro“, reagiert er, seine Stimme nun wesentlich freundlicher. „Was gibt es?“
Offensichtlich hat er mich sofort wiedererkannt. Überrascht ist er jedenfalls nicht. Sein Plan ist aufgegangen.
Ich räuspere mich und vergewissere mich, dass niemand mich hören kann, bevor ich antworte: „Ich habe hier meinen geeigneten… Kandidaten für dein Kostüm gefunden.“
„Oh, gut. Freut mich zu hören.“
„Ich kann ihn dir leider jetzt nicht bringen. Ich muss erst noch etwas essen.“
„Natürlich“, kichert er, „der gnädige Herr hat Durst. Lass dir ruhig Zeit, ich bin da. Du kannst ja nachher beides mitbringen, den zukünftigen Träger meines Kostüms und die Reste deiner Mahlzeit. Als kleine Gegenleistung sorge ich für die Entsorgung.“
So kann man es natürlich auch handhaben. Der Typ hat schon einen seltsamen schwarzen Humor.
Dass der Werwolffan nicht den Anschein macht, so schnell wieder gehen zu wollen, wird dieser Plan wohl aufgehen. Lieber wäre es mir ja gewesen, der Alte hätte sich darum selbst gekümmert.
Sicherheitshalber werde ich Eric den Gedanken einimpfen, wie toll das hier alles ist und dass er lange bleiben will. Dieser Effekt dürfte etwa eine halbe Stunde anhalten, bevor ich ihn erneuern muss.
Gut möglich, das das alles gar nicht nötig wäre, da dieser Sterbliche auch bisher eher zu den Gästen gehörte, die als letzte gehen.
Aber sicher ist sicher.
„Einverstanden, Eric. Ich komme nachher vorbei“, verspreche ich deshalb.
„Du kennst ja noch den Weg. Komm nachher einfach rein, die Türe ist offen.“ Der alte Mann kichert immer noch. „Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen, Alessandro. Ist ja schließlich schon eine ganze Weile her, seit wir uns das letzte Mal unterhalten haben.“
Erinnerungsfetzen kommen hoch.
Ein ausgesprochener Fluch und mein Bewusstsein, wie es in meine Kleidung gezogen wird.
Kommentarlos drücke ich ihn weg.