Vorsichtig klopfe ich an die Fahrertüre, bevor ich sie öffne. Trotzdem zuckt Frank erschrocken zusammen, als er das Geräusch hört.
„Alessandro“, japst er atemlos und richtet sich in seinem Sitz auf.
„Ganz ruhig, alter Freud. Ich wollte dir nur sagen, dass ich hier hinten fertig bin und nun noch Bruno holen muss. Das wird nicht lange dauern, und du passt weiter hier auf. Dass keiner ins Innere des Lkw hineinschauen darf, versteht sich von selbst.“
„Natürlich“, bestätigt er eifrig. „Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde das Geheimnis notfalls mit meinem Leben verteidigen.“
„Wie sehe ich aus?“, wechsle ich abrupt das Thema.
„Wie du aussiehst?“ Der Mensch mustert mich kurz. „Ich kann mit diesem schwachen Licht der Innenbeleuchtung wenig erkennen. Nun ja, dein Gesicht hat wesentlich mehr Farbe als vorhin.“
Natürlich wissen wir beide, woher das kommt, auch ohne es direkt auszusprechen.
„Das meinte ich nicht. Habe ich irgendwo Blut im Gesicht?“
„Nein, alles perfekt“, erklärt er.
Ich nicke zufrieden ehe ich beschließe, ihn zu testen. Mein Blick ist scharf, als ich von ihm wissen möchte: „Was hälst du davon?“
„Von was redest du?“
„Davon!“ Ich deute nach hinten. „Wie stehst du dazu, dass die Frau für mich sterben musste?“
Ich zeige meine Freude nicht, als er teilnahmslos mit den Schultern zuckt. „Natürlich wäre es schöner, sie wäre noch am Leben. Aber du brauchst doch das Blut, oder? Vampire ernähren sich nun mal von uns Menschen und daher hattest du jedes Recht, dich von ihr zu nähren.“
Ich bin wirklich sehr zufrieden mit mir. Frank habe ich gut hinbekommen, wie es scheint.
Ein letztes Nicken, dann wende ich mich ab und steure wieder zu der Lagerhalle.
Irgendwie ist das lustig. Da spielen diese Menschlein Halloween und haben keine Ahnung, dass hier einer nicht verkleidet ist. Oder man stelle sich vor, es wären mehrere Vampire, die sich diese Party für ein Festmahl ausgesucht hätten. Sie würden die Türen verschließen und könnten dann ein richtiges Blutbad veranstalten.
Ich schüttle angewidert den Kopf.
Trotz meiner Gier ist dieses Bild erschreckend. Ich habe von Rosi getrunken und es wirklich genossen, aber sich wahllos auf die Beute zu stürzen, erscheint mir doch zu grausam zu sein.
Oder ist es nur, weil mein Hunger gestillt ist und ich mich wohlig satt fühle?
Die Wahrheit werde ich schon mit der Zeit herausfinden. Jetzt heißt es erst mal, Bruno finden und ihn „überreden“, mit mir zu kommen. Dann kann ich ja überlegen, wie es weitergeht. Was ich mit meiner neuen Existenz anfangen werde.
Unbeachtet mische ich mich erneut unter die Leute.
Unter all den sehr aufwändig Kostümierten falle ich nicht besonders auf. Vermutlich sehe ich im Augenblick sogar menschlicher aus, da mein Gesicht durch die frische Nahrung Farbe angenommen hat. Da sehen die vielen weiß geschminkten Gestalten wesentlich grusliger aus als ein Original wie ich.
Diese Örtlichkeit ist wirklich unangenehm. Es hat mich ja schon vorher gestört, diese verschiedenen und teils wirklich ekligen Gerüche. Aber nun, da mein Durst gestillt ist, fällt es mir umso mehr auf Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Gestank stärker geworden ist und deutlich den Blutduft überlagert.
Wie kann man sich da wohl fühlen?
Ich dränge mich durch all die stinkenden Körper Richtung Bar und vermeide dabei möglichst jeden Körperkontakt. Auch wenn die Gäste hier keine solche feine Nase habe wie ich, wie können sie sich hier wohlfühlen, in dieser Luft voller Alkohol, Schweiß und kaltem Zigarettenrauch?
Ich für meinen Teil möchte nur möglichst rasch Bruno finden und wieder schleunigst hier weg.
Verdammt, wo ist der Kerl? Ich hatte ihn ja klar befohlen, hierzubleiben.
Nein, das stimmt nicht. Er sollte auf der Party bleiben, aber nicht zwingend an der Theke.
Aber das heißt ja auch im Umkehrschluss, dass er noch hier ist.
Vielleicht ist er auch einfach auf die Toilette gegangen?
Allerdings kann ich seine Kumpels auch nirgends entdecken.
Aber so groß ist das hier alles ja nicht. Es dürfte keine große Sache sein, ihn zu finden