Als Ruben das Baumhaus betrat und sich von dem Gärtner sein Zeug nach oben geben ließ, hatte er noch keine Ahnung was er eigentlich verändern wollte. Auf jeden Fall musste er das Spinnennetz in der Ecke beseitigen. Er hoffte, dass ihm die Bewohnerin dessen dabei nicht über den Weg laufen würde. Das Einzige, was der Jugendliche mehr hasste, als Spinnen waren Motten. Allein diese Flügel, bah. Wenn es dunkel wurde würde er sich davor hüten hier Licht anzumachen.
Er hatte Glück. Die Spinne war nicht zu Hause und er konnte mithilfe eines Astes und eines Staubwedels das Netz vollständig entfernen. Hoffentlich kam die Spinne nicht zurück, dachte er sich noch, als er sich der nächsten Baustelle widmete. Er fegte den Boden, sammelte altes Laub ein und besah sich das kleine Regal, was in etwa die Höhe eines Beistelltisches hatte und an einer der Seiten stand.
Auf dem Regal stand eine batteriebetriebene Laterne. Darunter auf den Brettern lagen vereinzelt Bücher. Ruben nahm eines davon in die Hand, blätterte es durch und legte er beiseite. Es waren Abenteuergeschichten aus längst vergangenen Zeiten. Dann fiel ihm ein etwas dickeres Buch mit schwerem Einband in die Hände. Es war auf Deutsch, wie der Gedichtband, den er an seinem ersten Tag hier in der Bibliothek entdeckt hatte. Es handelte sich um einen Krimi und war im Schmutzumschlag mit einer Widmung verziert. ‚Damit du an mich denkst, wenn ich nicht bei dir sein kann. G.‘ Die Buchstaben waren mit blauer Tinte geschrieben und mit der Zeit verblasst. Wem hatte das Buch gehört? Hatte Gregory es einst jemandem geschenkt?
Er legte das Buch zur Seite, allerdings auf einen anderen Stapel. Ruben wollte es behalten. Dann widmete er sich dem restlichen Kram im Regal. Das meiste war irgendwelcher Unrat. Heftromane, alte Bonbons, oh, was war das? Der Junge nahm einen Stapel beschriebene Seiten aus dem Regal. Es schien sich bei den Bögen um die Anfänge einer Geschichte zu handeln. Bei genauerem Hinsehen erkannte er Gregs Handschrift wieder. Das Papier war vergilbt, die Tinte an manchen Stellen so sehr ausgeblichen, dass die Worte verschwunden waren, doch die Handschrift war dieselbe wie die von den Einkaufzetteln, welche sein Patenonkel immer auf den Küchentisch legte. Handelte er sich hierbei um die ersten Entwürfe eines Romans? Hatte Greg sie in der Abgeschiedenheit des Baumhauses geschrieben, als er noch ein Teenager war? Ruben legte die Bögen sorgsam auf den Stapel der Dinge, die er behalten wollte und wischte mit dem Staubtuch das Regal aus. Nachher wollte er versuchen etwas von dem Geschriebenen zu lesen.
Als Nächstes kümmerte sich der Teenager um die Matratze. Er legte eine Decke anstelle eines Lakens darüber, legte ein paar Kissen zurecht und testete sogleich die Bequemlichkeit. Ja, das war gemütlich genug. Er lag auf dem Rücken und starte an die Decke. Morsches Holz und Wellblech. Da war sogar ein Haken angebracht. Hier könnte er die kleine Laterne aufhängen, wenn er Abends hier war und etwas lesen wollte. Wobei, dann wieder das Mottenproblem da wäre. Doch die Katze könnte sie ja verjagen. Wo war Streuner eigentlich?
Ruben stand auf und stellte das Körbchen mit dem Kissen darin, welches er mitgebracht hatte in die Ecke neben der Matratze. Den kleinen Katzennapf mit Wasser stellte er daneben. So war das Baumhaus ziemlich voll, aber es war ihm wichtig gewesen auch für die Katze ein neues Zuhause zu finden. Er selbst würde ohnehin nicht als zu oft hier oben sein. Zum Hausaufgaben machen war es zu wenig Platz und bei dem tollen Wetter würde er eh den Rest seiner Zeit mit schwimmen und am Pool sonnen verbringen. Er hoffte darauf, dass sein Patenonkel ab und an mal dabei wäre. Dieser war in den letzten Wochen sehr mit seinem neuen Romanprojekt beschäftigt gewesen und Ruben verstand nicht, warum er dazu immer in seinem Arbeitszimmer sein musste. Was sprach denn gegen eine Arbeitsphase am Pool? Zumindest eine Pause sollte er sich doch dort gönnen können. Doch Pause schien Greg nur zu machen, wenn Gordon da war.
Gordon war in letzter Zeit öfter mal da. Nach wie vor nur Abends, doch Ruben war sich sicher, dass er auch immer über Nacht blieb. Seit er die zwei Männer im Pool beobachtet hatte, ging der Junge Gordon aus dem Weg. Er könnte ihm einfach nicht mehr in die Augen sehen, ohne sich ertappt zu fühlen. Greg aus dem Weg zu gehen war einfach. Der ließ sich ja eh nur selten blicken. Godon hingegen frühstückte öfters mal zu Rubens Zeiten und so lief man sich zwangsläufig über den Weg. So war es dazu gekommen, das der Junge wortlos sein Frühstück hinunterschlang und wieder abdampfte, noch bevor Gordon den Versuch unternehmen konnte eine Unterhaltung zu beginnen.
Ruben fühlte sich anders seit dem Vorfall am Pool. Seinen Patenonkel beim Sex zu erwischen war etwas, was nicht spurlos an ihm vorüberging. Es hatte etwas in ihm ausgelöst. Etwas was er selbst noch nicht benennen konnte. Die körperliche Reaktion auf das Gesehene war mehr als deutlich gewesen und genauso schnell verpufft, wie sie gekommen war. Für den Heranwachsenden war das durchaus beruhigend gewesen. Dennoch ging ihm eines seit Tagen nicht aus dem Kopf. Warum hatte ihn die Szene erregt? War er vielleicht schwul? Mädchen waren zumindest noch nie interessant gewesen. Bisher hatte er es abgetan. Er war eben ein Spätsünder, doch vielleicht war er auch einfach schwul. Wenn er sich selbst befriedigte hatte er jedenfalls keine Fantasien. Da gab es nur sich und seine Hand und das Ziel zum Höhepunkt zu kommen. Dazu brauchte er keine Vorstellungskraft.
Wo er gerade schon hier war und die Ruhe genoss, da konnte er seiner sexuellen Orientierung auch gleich auf den Grund gehen. Er zückte sein Smartphone, rief den Browser auf und gab in der Suche ein einziges Wort ein. Schon fand er die gewünschten Schmuddelfilmchen. Ein paar Minuten scrolte er durch die Ergebnisse, dann fand er etwas, was er sich ansehen wollte. Er drehte sie Lautstärke auf ein Minimum, legte sich zurück in die Kissen und öffnete seine Hose.
Auf dem Bildschirm ging es ohne Umschweife zur Sache. Eine vollbusige Blondine und ein Typ mit Glatze vögelten auf einem roten Ledersofa. Wie alt war der Streifen? Aus den 90-ern? Ruben versuchte sich auf die Szene zu konzentrieren. In Nahaufnahme konnte er sehen, wie der Glatzköpfige sein Ding aus der Blondine zog, sie umdrehte und sich wichste. Mit dem Teil konnte er Gregory keine Konkurrenz machen, dachte Ruben. Aber warum dachte er denn jetzt an seinen Patenonkel? Das war doch krank! Schnell konzentrierte er sich wieder auf das Geschehen auf dem winzigen Handybildschirm. Der Typ schob gerade wieder seinen Schwanz in die Frau vor ihm. Ruben hatte noch nie eine solche Nahaufnahme gesehen. Die Filmchen die er bisher konsumiert hatte, waren eher softcore gewesen. Das hier allerdings war eine andere Nummer. Und er wusste nicht so recht, ob er sie mochte. Sein eigenes Geschlechtsteil regte sich jedenfalls nicht.
Frustriert schaltete er ab. Er verschloss seine Hose wieder und krabbelte von der Bettstadt. Da war ja noch der Koffer, den er unter seinem Bett gefunden hatte. Mal sehen was da so drin war.
Er öffnete ihn, nahm einen stapel Zeitschriften heraus und blätterte durch ein paar durch. Herrenmode aus längst vergangener Zeit, Heftromane, Automagazine. Letztere waren nicht so alt wie der Rest. Er vermutete aus den späten 90-ern. Erneut griff er in den Koffer und hielt nun einen Stapel in der Hand, der noch jünger wirkte. Es waren keine Hochglanzmagazine, eher so etwas, was man heimlich am Kiosk kauft. Erotikmagazine. Sie mussten Greg gehören. Doch warum hatte er sie in diesem Koffer versteckt gehalten? Was den Jungen allerdings wenig verwunderte waren die Cover der Magazine, denn sie zeigten allesamt nackte Männer. Gregory war also schon immer schwul gewesen. Gordon war keine Ausnahme und vermutlich war das am Pool etwas gewesen, was die beiden öfter taten. Wie es wohl so war, mit einem Mann zu schlafen? Irgendwie konnte sich der Junge sich so etwas gar nicht vorstellen. So ein Ding, wie sollte das in einen Hintern reinpassen und wie sollte das auch noch lustvoll sein?
Er versteckte den Koffer mit den Zeitschriften hinter dem Regal. Nur eines der Magazine behielt er bei sich. Das mit dem heißen Typen auf dem Cover. Ruben zog sich wieder auf die Matratze zurück und begann neugierig in der Zeitschrift zu blättern. Die muskelbepackten Männer, die ihm mit verwegenen Blick entgegenstarrten ließen den Jungen nicht kalt. Es dauerte nur wenige Seiten und in seiner Hose regte sich etwas. Wie in einem Bann gefangen, blätterte Ruben weiter bis zu einem Foto auf zwei Seiten, auf dem ein Mann breitbeinig dasaß und seinen prallen Schwanz in der Hand hielt. Er sah den Leser genau an, während aus seiner Spitze der weiße Saft quoll. Das war der Moment, indem Ruben in seiner Hose kam.
Einige Wochen später genoss Ruben die Ruhe am Pool. Er hatte es sich auf einem der Liegestühle bequem gemacht und las ein Buch aus der Bibliothek, welches Greg ihm gegeben hatte. Ein spannender Thriller, den er wohl leider schon heute Abend fertig gelesen haben würde. Warum lasen sich die wirklich guten Bücher eigentlich immer so schnell weg. Gerade in den Ferien kam es dem Teenager immer so vor. Zum Glück waren es danach nur noch die Prüfungen, die auf ihn zukamen, dann hatte er die Schule endlich geschafft. Doch was sollte danach kommen? Kurze Zeit später hatte er dann seinen 18. Geburtstag. Dann käme er auch an sein Erbe, was nicht gerade wenig war und vor ein paar Monaten hätte er noch gesagt, er würde dann wieder zurück nach Deutschland gehen und sich dort eine Wohnung kaufen und eine Ausbildung machen. Zurück in sein altes Leben doch jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
„Worüber grübelst du nach?“, riss Greg ihn aus seinen Gedanken.
Ruben setzte sich auf, legte das Buch aus der Hand und sah seinen Patenonkel an.
„Hast du dir Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn ich 18 bin?“, fragte er neugierig.
Insgeheim hoffte er, dass Gregory ihn bei sich behalten wollte. Immerhin waren sie gute Freunde geworden und er fühlte sich in seiner Gegenwart einfach unfassbar wohl. Das Gefühl von Heimat war stark und er wollte eigentlich nicht gehen.
Greg setzte sich auf das Fußteil der Liege und sah den Jungen lange an.
Dann legte er ihm eine warme Hand auf das Knie und sagte: „Ich hatte angenommen, du würdest gehen wollen, also habe auf ein klärendes Gespräch gehofft. Wo willst du hin? Was willst du machen? Natürlich würdest du bei allem mit, meiner Unterstützung rechnen können.“
„Dann willst du also, dass ich gehe?“, fragte Ruben unsicher.
„Nein, wenn es nach mir ginge, könntest du hier bleiben bis du alt und grau bist, aber das kann ich wohl kaum von einem 18-Jährigen verlangen.“
Damit hatte Ruben nicht gerechnet. Er wollte, dass er bleibt? Für immer? Sein Herz machte einen Hüpfer.
Überschwänglich umarmte er den Älteren.
„Danke!“, sagte er dann. „Ich will bleiben! Bei dir!“
Rasch ließ er seinen Patenonkel wieder los. Beschämt über seine übertriebene Freude errötete er.
Gregory jedoch strahlte ihn nur an.
„Das freut mich!“, sagte er frei heraus. „Und ich hab gedacht ich hätte meinen Job dich auf den letzten Schritten zum Erwachsenwerden zu begleiten total versaut.“
„Das hast du nicht!“ Der Teenager sah ihn verlegen an. Die Poolszene kam ihm plötzlich wieder in den Sinn. „Du, Greg...“, murmelte er verlegen.
„Ja, was ist?“
Ruben holte tief Luft.
„Ich muss dir was gestehen.“
Gregory musterte ihn.
„Was hast du angestellt?“, fragte er skeptisch. „Hast du in der Schule was ausgefressen? Den Gärtner verärgert? Oder den Butler? Er war keine Gute Idee, nicht?“
Ruben schüttelte den Kopf.
„Nein, das ist es nicht. Ich hab was beobachtet, was ich nicht hätte sehen sollen.“
„Und jetzt ist dein Gerechtigkeitssinn mit deiner sensiblen Art zusammengeprallt und du möchtest es mir beichten?“, erriet Gregory sofort.
Der Jugendliche nickte. Dann atmete er tief durch, bevor er zur Erklärung ansetzte.
„Ich hab dich und Gordon von ein paar Wochen am Pool beobachtet. Ich konnte nicht schlafen und hatte vergessen das Fenster zu schließen. Und da hab ich euch gesehen wie ihr... nun wie...“
„Wie wir Sex hatten?“, erriet Rubens Pate wieder sofort.
Ruben nickte und strich sich eine Strähne seines zu lang gewordenen Haares aus der Stirn.
„Es tut mir leid, Greg, ich wollte nicht beobachten, aber...“
Greg lächelte und streichelte Rubens Knie.
„Ist okay, wir hätten besser aufpassen sollen. Wir hatten etwas getrunken und nicht nachgedacht. Der Pool schien verlockend und wir haben uns hinreißen lassen. Du hättest davon gar nichts mitbekommen sollen. Aber da du es hast, ist wohl ein Gespräch angesagt.“
Ruben wollte widersprechen. Nein, ein solches Gespräch wollte er lieber nicht führen. Doch gerade als er den Mund geöffnet hatte, unterbrach ihn Greg.
„Kein aber! Ich würde sagen wir reden nach dem Essen darüber. Dann hast du genug Zeit dich darauf vorzubereiten.“
Da der Teenager wusste, dass er um diese Art Gespräch nicht mehr herumkommen würde stimmte er zerknirscht zu. Bis z8um Abend war es ja noch Zeit.