Am Morgen des darauffolgenden Tages war Ruben geknickt. Er fühlte sich matt, lustlos und betrübt. Gregory hielt es für einen großen Fehler, dass sie sich nähergekommen waren, doch Ruben fühlte nun mal, was er fühlte. Daran konnte er nichts ändern und es machte ihn wahnsinnig, dass Greg so sehr davon überzeugt war, dass es falsch war. Selbst wenn der Ältere diese Gefühle erwiderte, da war sich Ruben sicher, würde er sie niemals zulassen. Doch was hatte der Junge auch erwartet? Dass er Greg seine Gefühle nun doch gestand und sie ein Paar wurden und am Ende alles toll wäre? Nein, dies war ganz und gar unwahrscheinlich. Zudem hatte er doch eigentlich beschlossen, seine aufkeimenden Gefühle fest zu verpacken und ins aller letzte Eck seines Herzens zu schieben. Und genau das, würde er jetzt auch tun. Er würde dieses freundschaftliche Verhältnis nicht wegen irgendwelcher dummen Gefühle aufs Spiel setzen.
An diesem Tag hatte Ruben allein gefrühstückt. Na ja, bis auf die letzte Minute vielleicht, denn Gordon war über Nacht gekommen und hatte sich zum Frühstücken zu ihm an den Tisch gesetzt. Ruben hatte feststellen müssen, dass ihm Gordons Anwesenheit deutlich missfiel. Warum konnte er selbst nicht wirklich sagen.
Nach dem Frühstück suchte Ruben Greg in seinem Arbeitszimmer auf. Er hoffte darauf, mit ihm laufen gehen zu können.
Als er an die Tür klopfte, wurde diese ihm sofort geöffnet.
„Guten Morgen“, begrüßte Gregory Kaene den jungen Mann, scheinbar in bester Laune. „Hast du gut geschlafen und bist fit fürs Training?“
Ruben sah zu ihm auf und legte den Kopf schief.
Die Stirn runzelnd fragte er: „Warum hast du so gute Laune?“
Greg kam aus dem Büro, schob den Jungen zur Seite und schloss die Tür hinter sich. Er hatte schon Sportkleidung an. Eine Rote, lange Hose mit Gummibund und ein weißes Tanktop, welches seine Muskeln betonte. Sexy, dachte Ruben und schüttelte darauf den Kopf, um seine verruchten Gedanken zu verscheuchen.
„Ich...nun“, fing Greg an.
„Schon gut“, wank Ruben ab. „Das war eine rhetorische Frage.
Er konnte sich denken, warum der andere so gut gelaunt war. Er hatte in der vergangenen Nacht Sex mit Gordon gehabt. Aber das würde er ihm eh nicht sagen und eine Lüge wollte Ruben gewiss nicht hören. Wieder stieg diese Wut auf Gordon in ihm hoch.
„Was ist los? Bist du wütend auf mich?“
Gregory schien die Veränderung in seinem Schützling bemerkt zu haben.
„Nein“, antwortete dieser. „Mir ist nur gerade etwas eingefallen.“
Zumindest war dies nur eine halbe Lüge.
Greg ging vor ihm den Gang entlang, auf dem Weg in die untere Etage.
„Was denn?“, fragte er.
Na toll. Jetzt musste er ihn doch anlügen. Aber er wollte nicht.
Zerknirscht entschied er sich für eine Halbwahrheit.
„Ich mag es nicht, wenn Gordon zum Frühstück bleibt. Er ist mir unheimlich.“
Rubens Patenonkel blieb mitten auf der Treppe stehen. Er drehte sich zu ihm um und sah ihn forschend an.
„Du weißt wohl, dass er nicht im Gästezimmer schläft“, stellte er fest.
Ruben errötete.
„Nach dem was ich im Pool beobachtet hab, ja, das weiß ich.“
„Dann ist es wohl an der Zeit, endlich dieses eine gspräch zu führen“, Greg räusperte sich. „Zieh dich um, ich warte am Tor auf dich. Wir laufen eine Runde und sprechen über Gordon und mich.“
Ruben wollte nicht über die Sachen reden, doch er wollte auch nicht, das Laufen mit Greg absagen. Zumal er um das Gespräch vermutlich so oder so nicht umgehen konnte. Also nickte er und machte sich auf in sein Zimmer, um sich umzuziehen.
10 Minuten später traf er sich mit Greg am Tor, welcher gerade Dehnübungen machte. Er gesellte sich dazu und tat es ihm gleich.
„Ich habe seit etwa einem Jahr mit Gordon ein sexuelles Verhältnis“, begann Gregory mit seinen Erklärungen. „Als du zu mir kamst, wollte ich zuerst nicht, dass du etwas davon weißt. Schließlich hattest du gerade deine Eltern verloren und ich wusste nicht, wie es dir ging. Jede Kleinigkeit, die zu Schwierigkeiten zwischen uns führen konnte, stellte eine Gefahr da.“
„Aber ich habe nichts gegen Schwule“, sagte Ruben entrüstet.
„Das konnte ich aber nicht wissen. Deine Mutter war nicht so aufgeschlossen und ich musste damit rechnen, dass sie dir gegenüber ihren Standpunkt zu dem Thema vertreten hätte.“
Ruben streckte sich und sah seinen Patenonkel mit gerunzelter Stirn an.
„Wieso hatte sie etwas gegen Schwule?“, fragte er neugierig.
„Das kann ich dir nicht sagen“, sagte Greg kurz angebunden und begann auf der Stelle zu laufen. „Lass uns los.“
Sie liefen los und bogen nach ein paar Metern in einen Waldweg ein.
Irgendetwas sagte Ruben, dass Greg ihm etwas verschwieg. Etwas, dass mit seinen Eltern, oder zumindest mit seiner Mutter zu tun hatte. Doch er fragte nicht weiter nach. Er wusste mittlerweile, dass Gregory Kaene immer nur so viel preisgab, wie er es wollte, und auch nur dann, wenn er den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt. Ruben konnte also nur hoffen, dass dies bald so weit wäre. Außerdem hatte er andere Dinge im Kopf. Gordon zum Beispiel. Und er musste Gregs Tempo mithalten, was gar nicht so leicht für einen absolut untrainierten jungen Mann war.
Ein paar Minuten liefen sie schweigend nebeneinander her. Erst, als Ruben so langsam das Tempo gefunden hatte, und seine Atmung sich reguliert hatte, hörte er Gregory sagen: „Gordon und ich kennen uns schon seid dem Studium. Er ist ein sehr guter Freund. Ich verstehe deine Abneigung ihm gegenüber nicht, also erklär es mir.“
Ruben druckste unruhig herum. Er war froh, beim Laufen niemandem in die Augen sehen zu müssen.
Er konzentrierte sich auf den ruhigen Waldweg vor ihnen und antwortete mit einer Gegenfrage.
„Du hast studiert? Was denn?“
„Es war ein Wirtschaftsstudium. Aber du weichst meiner Frage aus“, stellte Greg sofort fest. „Also, warum magst du Gordon nicht, Ruben?“
Greg lief ein kleines Stückchen vor, drehte sich im Laufen zu dem Jungen um und lief rückwärts weiter. Er sah ihn direkt an. Forschend, so als wüsste er ganz genau, das mehr hinter der ausweichenden Antwort stand.
Ruben druckste herum.
„Na ja...ich.“ Er blieb stehen, kratzte sich im Nacken und wich Gregorys Blick aus. Gregory blieb ebenfalls stehen. „Ich mag ihn halt einfach nicht.“
Er lief einfach los, an Greg vorbei und weiter den Weg entlang. Was sollte er auch groß sagen. Dass er eifersüchtig war? Dass er derjenige sein wollte, der die Nacht mit Greg verbrachte? Es wäre die Wahrheit. Das war ihm jetzt klar. So unliebsam sie ihm auch war. Hinter ihm bewegte sich Greg. Er sah ihn nicht an, als er ihn überholte. Vermutlich hatte sein Patenonkel ohnehin mehr verstanden, als Ruben lieb war. Warum musste ausgerechnet ihm soetwas passieren? Hätte er sich nicht einfach wieder in einen Jungen aus der Schule vergucken können? Nein, er musste sich ausgerechnet in den Mann verlieben, der ihn wie ein Vater behandeln sollte. Ihm den letzten Schritt ins Erwachsensein erleichtern und ihm ein Vater sein sollte. Oder zumindest so ähnlich.
„Ich hab genug“, rief er zu Greg rüber, der ein paar Meter vor ihm lief. Kam es dem jungen Mann nur so vor oder war Gregory tatsächlich schneller geworden? „Ich gehe zurück!“, rief er.
Keine Reaktion. Ruben blieb stehen. Sah ihm einen Moment lang nach. Dann drehte er sich um und lief in Richtung Kaene Manor.
Darin Dingen aus dem Weg zu gehen, war Ruben schon immer gut gewesen. Wenn sein Vater mal wieder laut geworden war, hatte er sich immer unter seinem Bett versteckt und seinen Musikplayer ganz laut gestellt. Wenn es Ärger mit dem Kindermädchen gab, hatte er sich aus dem Haus getrollt und war zum See gelaufen, um dort in Ruhe zu lesen.
Doch heute war er kein Kind mehr und nicht mal mehr ein Teenager. Er war ein paar Tage 18 und somit erwachsen. Er wusste genau, dass es keine Lösung war, davonzulaufen. Das brachte nur den Vorteil erst einmal nicht reden zu müssen. Aber das Problem verschwand dadurch nicht. Es wurde höchstens größer. Zudem gab es kein Versteck, welches Greg nicht kannte. Und wenn sein Patenonkel wollte, dann würden sie darüber reden. Es gab kein Entkommen und sich hier oben im Baumhaus mit Streuner zu verkriechen, brachte Ruben nicht weiter. Selbst wenn Greg ihn nicht suchen würde. Heute Abend würde er ihm spätestens beim Abendessen über den Weg laufen. Außerdem hatten sie den Termin beim Anwalt und ... Ach verdammt! Es war Zeit erwachsen zu werden und sich seinen Problemen zu stellen.
Ruben rappelte sich auf, schob die schnurrende Katz vom Schoß und kletterte die Strickleiter hinunter. Er wollte die selbst angepflanzten Blumen im Gewächshaus gießen und dann nach dem Hausherren suchen. Sonst verpassten sie noch wegen ihm den Termin.
„Da bist du ja“, wurde er am Pool von Greg angesprochen. „Ich hab dich gesucht. Wir müssen in einer halben Stunde los.“
Gregory saß auf einer der Liegen und sah ihm leicht vorwurfsvoll an.
„Ich will nur noch die Blumen gießen“, antwortete Ruben.
„Ich glaube nicht, dass sie was werden. Da wächst einfach nichts mehr.“
Greg stand auf und ging in Richtung Gewächshaus. Ruben folgte ihm. Insgeheim hoffte er, dass sie etwas werden würden, doch auch er, wusste, es bestanden keine guten Chancen.
Als die beiden Männer das Gewächshaus betraten und sich die Töpfe ansahen, erwartete sie allerdings eine Überraschung.
Aus der Erde des einen Topfes schaute ein ganz klein wenig Grün. Ein zartes Pflänzchen hatte begonnen sich ins Leben zu kämpfen.
Ruben lief hin und ging vor dem Blumentopf in die Hocke.
„Sieh nur!“, rief er begeistert aus. „Von wegen hier wächst nichts!“
Gregory kam näher. Die Stirn in Falten besah er skeptisch die winzige Pflanze und danach die anderen Töpfe. Nirgendwo sonst wuchs etwas. Nur diese eine Blume wollte es scheinbar unbedingt schaffen.
„Seltsam“, murmelte Greg.
Ruben sah zu ihm auf.
„Was ist seltsam?“
„Dieser Ort. Genau diese Stelle hier, an der der Topf steht“, erklärte Gregory. „Hier stand früher immer die Lieblingspflanze deines Vaters.“
Ruben stand auf.
„Er hat hier etwas angepflanzt? Warum?“
„Er hat die Liebe zur Gärtnerei nur durch meine Großmutter entdeckt. Früher kam er oft her und hat ihr geholfen.“
Das war wirklich seltsam, dachte Ruben. Warum wuchs ausgerechnet hier die Blume, die er für seinen Vater angepflanzt hatte? Und warum wuchs sonst keine Einzige?
„Lass uns das Düngemittel holen und den anderen auf die Sprünge helfen“, schlug Greg vor. „Die Zeit haben wir noch.“
Also machten sich beide auf in den Keller.
„Das Licht funktioniert schon wieder nicht“, maulte Ruben, als sie den Raum vor dem Weinkeller betraten.
Hier lagerte einiger Unrat. Kisten, Regale voller Einmachgläser, Säcke mit Gartenabfällen, Haushaltsgegenstände, die nur wenig genutzt worden und eben ein paar Gartenutensilien. Das alles, war nur leider kaum zu erkennen, wenn das einzige Licht, dass den Raum beleuchtete, von außerhalb des Kellers durch eines der winzigen Fenster hereinschien. Die Beutel mit Düngemittel fand man so jedenfalls nicht.
„Ich hole die Taschenlampe von nebenan“, erwiderte Greg und machte sich auf den Weg in die Waschküche.
„Warte!“, rief Ruben. „Lass mich nicht allein hier drin. Hier ist es unheimlich.“
Gregory blieb stehen, wartete auf seinen Schützling und betrat mit ihm gemeinsam die Waschküche. Er betätigte den Lichtschalter und wartete. Nichts geschah. Ruben wurde unruhig. Es ist nur ein Stromausfall, sagte er sich selbst. Vielleicht ist die Sicherung raus. Das kann vorkommen.
„Die Sicherung“, murmelte Greg und lief zum Kasten auf der anderen Seite des Raumes.
Er beugte sich nach vorn, öffnete die Klappe des Sicherungskastens und legte den Schalter um. Sofort ging das Licht an.
Ruben zuckte zusammen. Einen winzigen Moment nahm er zwei Gestalten wahr. Sie standen vor einem der Regale und die eine hielt die andere am Kragen gepackt. Es waren nur Sekundenbruchteile, dann waren sie wieder verschwunden. Der Waschkeller war hell beleuchtet und es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen. Zwei Waschmaschinen, ein Trockner. Neben der Maschine stand ein gefüllter Wäschekorb. Ruben konnte seine Unterwäsche darin ausmachen. Sein Blick glitt zur Seite. Ein langes Regal mit allerlei Kram. Gefaltete Laken, Waschmittel Fleckenentfernen und ... ein blutiges Laken. Ja, ganz deutlich. Es war blutbeschmiert. Ruben starrte das Laken an. Dann Greg, der mittlerweile zu ihm getreten war. Der Herr des Hauses starrte ebenfalls auf das blutige Stück Stoff. Dann sah er ihn an. Es schien, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Ruben sah wieder zum Laken und stellte fest, dass er blütenrein weiß war. Kein Blut, kein Dreck. Nichts.
„Da war doch“, stotterte er. „Aber ich hab doch.“
„Ich weiß“, sagte Greg nur. „Ich hab es auch gesehen.“
Der Ältere legte einen Arm beschützend um Ruben und führte ihn aus dem Raum hinaus. Gemeinsam gingen sie schweigend die Kellertreppe hinauf. Was war das eben gewesen? Erst im Wohnzimmer ließ Greg Ruben wieder los. Dieser ging hinüber zum Sofa und setzte sich. Er schlüpfte aus den Sportschuhen, zog die Beine an und legte die Arme darum.
„Hier spukt es“, sprach er aus, was er schon so lange dachte.
Greg erwiderte nichts. Er stand nur im Türrahmen, mit vor der Brust verschränkten Armen, und sah ihn an.