Minuten später saßen sie gemeinsam in Gregorys Schlafzimmer auf dem Bett. Greg sah den Jüngeren an. Sein Blick war forschend, prüfend. Ruben sah zu Boden, knetete unruhig seine Finger. Er holte tief Luft, bevor er endlich das Gespräch begann.
„Greg, was ist das jetzt zwischen uns?“
Das war sie. Die Frage, die ihn am meisten beschäftigte.
Greg sah Ruben eindringlich an, legte eine Hand auf seinen Oberschenkel und lächelte.
„Brauch es denn eine Definition?“, fragte er ruhig. „Fühlst du dich damit wohler?“
Ob es die brauchte? Natürlich brauchte es die! Ruben fühlte sich wie zwischen den Stühlen. Er wusste, dass Greg etwas für ihn empfand. Etwas romantischer Natur. Und dennoch wusste er nicht wo er bei ihm stand. Was waren sie? Freunde? Liebhaber? Partner? Liebhaber konnte er wohl ausschließen, denn außer Küssen war noch nichts zwischen ihnen passiert, wenngleich es sich Ruben irgendwie wünschte. Doch was war mit dem Rest? Was waren sie? Was war Ruben für Greg?
„Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich wüsste, was ich für dich bin“, sagte Ruben leise.
Greg lächelte nun nicht mehr. Er nahm Rubens Gesicht in seine Hände und sah ihm tief in die Augen.
Dann sagte er: „Du bist der Junge, der mein Leben bereichert. Du bist der Wirbelsturm, der mein Herz aufwühlt. Du bist mein Licht. Alles andere ist unwichtig.“
Rubens Herz schlug so laut, dass er beinahe meinte, Greg müsse es hören. So etwas Wunderschönes hatte noch nie jemand zu ihm gesagt. Seinem Instinkt folgend beugte er sich nach vorn und küsste Greg. Es war der erste Kuss, der von ihm aus ging. Das erste Mal, dass Ruben die Initiative ergriff. Es überforderte ihn und dennoch war er so aufgewühlt durch Gregs Worte, dass er es nicht lassen konnte.
Greg erwiderte den Kuss sanft und gerade als Ruben sich zurückziehen wollte, öffnete Greg seinen Mund einen Spalt breit und seine Zunge stupste an Rubens noch geschlossenen Lippen. Ruben reagierte, indem er seinen eigenen Mund öffnete und die fremde Zunge mit der eigenen anstupste. Der Kuss wurde mutiger, leidenschaftlicher. Es war Rubens erster Zungenkuss. Gregs Hände wanderten vom Gesicht des Jüngeren in dessen Nacken und begannen dort die Haut zu kraulen. Ruben entspannte sich und sank in Gregorys Arme. Seine eigenen schlang er um den Körper seines Patenonkels und seine Hände legten sich zaghaft auf dessen Rücken. Rubens Herz schlug schneller, sein Atem beschleunigte sich. Als Greg ihn Rücklings auf das weiche Bett drängte, ließ Ruben sich gerne führen. Er kannte solche Situationen nur aus Filmen und Serien und ja, mittlerweile auch aus ein zwei Softcorepornos. War er deshalb ein Spätzünder? Vielleicht. Der große, starke Körper des anderen Mannes machte ihn nervös, hibbelig und dennoch wollte er das alles hier mehr als alles andere. Er wollte ihn küssen, ihn berühren und vielleicht sogar mehr, aber er konnte es nicht kommunizieren. Konnte nicht aussprechen, wonach er sich sehnte. Also ließ er sich von dem älteren Mann führen. Greg strich ihm gerade eine hartnäckige Strähne aus dem Gesicht und küsste ihn sanft. Seine andere Hand lag noch in Rubens Nacken und kraulte ihn. Wohlige Schauer durchfuhren den Jüngeren. Er küsste zaghaft zurück und fuhr dem Älteren über den rechten Arm, spürte den Ansatz von Muskeln durch den Stoff seines Hemdes. Greg löste sich nun von dem Jungen, befreite sich von dem Hemd und schob Rubens Shirt hoch. Dann beugte er sich runter und küsste zart die freigelegte Haut am Bauch. Ruben setzte sich leicht auf. Ohne groß darüber nachzudenken, zog er sich sein Shirt über den Kopf und schmiss es vom Bett. Greg drängte ihn sofort zurück in die Matratze und lehnte sich über ihn. Ihre Lippen fanden sich erneut und wieder küssten sie sich leidenschaftlich. Ruben wurde langsam mutiger und drängte die Fremde Zunge zurück in den dazugehörigen Mund, nur um ihr mit der eigenen zu folgen. Mutig erkundete er die fremde Mundhöhle, bis er schließlich kaum noch Luft bekam und sich keuchend löste.
„Nicht so stürmisch, Süßer“, hauchte Greg und fuhr ihm sanft mit den Fingern über die Brust, zog Kreise mit ihnen.
Ruben erzitterte unter den zarten Berührungen. Beinahe ehrfürchtig fuhr er mit seiner Hand über die Brust des Älteren. Er befühlte die Muskelpartien, strich über den Bauch. Und genau das war es, was seinen Körper auf Hochtouren brachte. Das und die Küsse, welche Greg auf seinem Oberkörper platzierte. Einen zwischen Brust und Hals, einen zwischen Brust und Bauch. Rubens Körper reagierte, wie er es tun musste. Sein Glied regte sich, füllte sich langsam mit Blut und drängte sich gegen den festen Stoff seiner Shorts. Gut, dass er diese noch anhatte.
Gerade als Ruben seine Hose öffnen wollte, hielt Gregory inne. Er hielt das schmale Handgelenk mit sanftem Griff fest und sah dem Jungen in die Augen.
„Geh dich umziehen, ja? Du kannst heute Nacht bei mir schlafen.“
Ruben sah ihn mit verklärtem Blick an. Was? Dann wurde ihm klar, was das bedeutete. Heute würden sie nicht weitergehen. Einerseits betrübte das den jungen Mann, andererseits war er froh darüber.
Also stand er langsam vom Bett auf, schnappte sich sein Shirt und verließ das Zimmer, um sich in seinem Eigenen umzuziehen. Er schloss die Tür hinter sich und huschte über den Flur. Kurz vor seinem Zimmer angekommen hörte er Schritte auf der Treppe. John musste nach oben kommen. Vermutlich wollte er sich ebenfalls zu Bett begeben. Ruben wandte sich in Richtung Treppe um. Sekunden später bog der ältere Kaene auf dem Flur ein. John blieb stehen, als er den Jungen bemerkte, der direkt vor der Zimmertür stand, die Klinke schon in der Hand.
„Gute Nacht Ruben“, wünschte er und wandte sich dem Zimmer neben seinem Bruder zu.
Hieß das, er wäre genau nebenan, wenn er neben Greg lag und sich an diesen kuscheln würde? Was, wenn John irgendetwas davon mitbekommen würde, was zwischen ihnen war? Würde Greg das gutheißen? Ruben konnte es sich schlecht vorstellen. Und die Vorstellung davon, John würde sie dafür verachten, gefiel dem Jungen auch nicht. Er war sich des großen Altersunterschiedes und den daraus resultierenden moralischen Problemen durchaus bewusst. Er wollte John auf seiner Seite wissen, weil er ihn mochte und er wollte, dass Greg und John ihr Verhältnis zueinander besserten, wenn dies denn möglich war, weil er gerne mal Zeit mit beiden verbringen wollte. Außerdem hatte er Angst, dass wenn John ihre Beziehung nicht gutheißen und Greg darauf ansprechen würde, Greg ihr Verhältnis wieder lockern würde. Und sie waren doch gerade so weit gekommen. Und aus genau diesen Gründen beschloss er, die Nacht bei sich zu verbringen. „Gute Nacht“, wünschte er also dem älteren Mann am anderen Ende des Flurs und schlüpfte in sein Zimmer.
Am nächsten Morgen bereute er seine Entscheidung. Zumindest ein wenig. Die Nacht war unruhig gewesen. Ständig war er wach geworden, weil er der Meinung war, etwas gehört zu haben. Schritte in einem der Räume über seinem Zimmer, ein Flüstern, ein Lachen. Selbst, wenn all dies nur blasse Erinnerungen eines Ortes waren, die Erinnerungen von Kaene Manor, so war dies nicht weniger unheimlich. Zudem hatte Ruben starke Probleme beim Einschlafen gehabt. Wenngleich sein Körper schnell wieder heruntergekommen war, sein Herz war es nicht. Greg hatte ihm quasi seine Liebe gestanden und ihm sogar angeboten, die Nacht mit ihm zu verbringen. Nicht, um Sex zu haben, das war dem Jungen bewusst, doch allein Gregory auf die Art nahe sein zu dürfen, ließ sein Herz schneller schlagen.
Doch eines war ihm klar. Auch wenn er Greg näherkommen wollte und ihn auch berühren wollte, so wusste er nicht, ob echter Sex für ihn schon eine Option war. Klar, in Pornos sah es immer geil aus, und es erregte ihn zu sehen, wie zwei Männer sich küssten, sich gegenseitig mit dem Mund verwöhnten oder sogar richtigen Verkehr miteinander hatten, doch es ängstigte ihn auch. Würde es weh tun? Hätte er auch Spaß dran? Solche Gedanken gingen ihm genauso durch den Kopf wie das, was er vor ein paar Wochen am Pool beobachtet hatte. Noch immer sah er es vor seinen inneren Augen. Gregs lustverzerrtes Gesicht. Hörte er immer noch sein Stöhnen. Allein der Gedanke daran es auf diese Weise mit Greg zu tun, ihm so nahe zu sein, erregte ihn.
Er konnte nicht anders. Unter der viel zu warmen Bettdecke glitt seine Hand in seine Schlafshorts und umfasste sein sich langsam erhärtendes Glied. Er schloss die Augen und stellte sich vor, es wären Gregs Hände, die ihn umfassten. Gregorys Gesicht tauchte in seinen Gedanken über ihm auf, Hände strichen über seinen Körper. Moment. Das waren zu viele Hände. Aber egal, es war Greg. Spielte es da eine Rolle, wie viele Hände sein Traumgreg hatte? Hände, die sein Gesicht umfassten und ihn hielten, während raue Lippen sich auf die seinen pressten, eine Zunge in seinen Mund glitt und seine eigene zum Kampf herausforderte. Hände, die über seinen Körper wanderten, Finger die in Brustwarzen kniffen, sie zwirbelten. Hände, die seinen Schaft umfassten, ihn pumpten, mit dem Daumen über die überempfindliche Spitze strichen, die ersten Tropfen seiner Lust verreibend. Eine Hand umfasste seine Hoden, massierte sie, zog sanft daran. Zu viel! Mit einem unterdrückten Stöhnen kam Ruben heiß in seiner Unterhose.
Nachdem Ruben gefrühstückt und geduscht hatte, tigerte er unruhig durchs Zimmer. Greg hatte beim Frühstück so getan, als wäre am Vorabend rein gar nichts passiert und das machte den Jungen verrückt. Wollte er das, was zwischen ihnen war, vor seinem Bruder leugnen? Und überhaupt, was war zwischen ihm und John falsch? Sie redeten entweder gar nicht miteinander oder stritten sich. Ruben verstand also, warum sie sich so gut es ging, aus dem Weg gingen. Trotzdem störte es ihn.
Die Harmonie, die vor Johns spontanen Einzug im Haus geherrscht hatte, war gänzlich verschwunden. Es herrschte eine gewisse Anspannung, die beinahe fühlbar war. Auch das Haus selbst schien unruhig. So, als würde es wissen, was die beiden Männer so zerrissen hatte und würde nun physisch leiden. Doch das war natürlich Blödsinn. Trotzdem fühlte sich Ruben in Kaene Manor immer unwohler. Es war nicht nur der Wind, der durch die Ritzen der Fenster pfiff oder das Knarzen der alten Dielen. Und auch nicht die Geräusche bei Nacht. Das leise Flüstern oder Lachen, welches aus dem Nichts zu kommen schien. Nein, es war etwas anderes, was ihn nachts hochfahren ließ. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Aber wahrscheinlich war auch das, nur bloße Einbildung. Was hätte sein Vater wohl getan? Hätte Carl seine Sorgen in Alkohol ertrunken? Oder wäre er lieber den ganzen Tag in der Firma, nur um den ganzen Mist nicht ertragen zu müssen. Ruben setzte sich auf die breite Fensterbank und seufzte. Er hatte nie wirklich mit ihm reden können, wenn ihn etwas beschäftigt hatte. Und jetzt, hier in diesem viel zu großen Haus, hätte er es wirklich gerne getan.
Der Junge sprang auf, von einem spontanem Bedürfnis überrannt, und schnappte sich aus einer der Nachttischschubladen einen linierten Block und einen Kugelschreiber. Dann setzte er sich erneut auf das Fensterbrett und schrieb.
Dad,
ich bin wütend auf dich, weil du nie für mich da warst. Ich bin wütend, weil ich nie mit dir reden konnte. Ich bin wütend auf dich, weil du nicht gut für mich und Mutter warst. Ich bin wütend, weil du ständig getrunken hast. Ich bin wütend, weil du so viele Geheimnisse vor mir hattest. Und ich bin wütend, weil ich dich, trotz allem, lieb hab.
Nur deinetwegen bin ich jetzt in Irland auf Kaene Manor. Ein Land, welches mir so unbekannt und gleichzeitig so vertraut ist. Greg ist alles, was mir geblieben ist, und ich bin froh, ihn zu haben. Mir stellt sich nur die Frage, warum durfte ich ihn nie kennenlernen? Warum wolltest du, dass er mein Patenonkel wird, wenn ich ihn doch nie sehen durfte? Was hat euch verbunden? Warum gerade er? Er würde mir nichts erzählen, das weiß ich und du kannst es nicht. Das ist scheiße. Umso länger ich hier bin, umso mehr hasse ich diese Geheimniskrämerei. Und weißt du was? Ich erzähle dir jetzt mein Geheimnis. Wenn du daraufhin im Himmel die Bar leer säufst, dann mach das ruhig. Du kannst ja eh nicht anders. Ich und Greg lieben uns. Nein, nicht auf der Vater-Sohn-Ebene oder o ähnlich. Ich weiß zwar nicht, was wir eigentlich sind, aber ich liebe ihn. Das passt dir nicht? Weißt du was? Ich scheiß drauf! Ach übrigens, ich hab für dich Rosen gepflanzt. Und sie wachsen! Obwohl Greg gesagt hat, die werden nichts.
Mehr hab ich nicht zu sagen, also falls du das hier wirklich lesen solltest, ärgere dich ruhig wieder über mich. Das kannst du schließlich am besten.
Ruben
Ruben wusste nicht, woran es lag, aber dieser Brief, war das erste Mal, dass er seinen Gedanken endlich freien lauf gelassen hatte und auch das erste Mal, dass er seinem Dad die Meinung gesagt hatte. Er wusste nicht wieso, aber er fühlte sich besser. Mit neuer Energie nahm er das beschriebene Papier, zerknüllte es in der Hand und warf es aus dem geöffneten Fenster. Es fiel direkt in das schimmernde Wasser des Pools. Mist, dachte Ruben sich noch. Das müsste er wohl irgendwann wieder rausfischen. Dann machte er sich auf den Weg nach unten.