Zum Audienzzimmer war es glücklicherweise nicht allzu weit, und Arella kannte den Weg. So hatte sie auch keine Probleme, dem Wesen zu folgen. Denn trotz seines schlurfenden Ganges war Polop flink unterwegs und man konnte ihn schnell aus den Augen verlieren, war man nicht schnell war.
So aber waren beide schon nach kurzer Zeit an ihrem Ziel angelangt. Abermals klopfte der Kobold.
„Herein!“ rief die zarte Stimme der edlen Fee von der anderen Seite der Türe. Polop öffnete vorsichtig und gemeinsam betraten sie das wunderschön eingerichtete Zimmer.
„Ah, mein kleiner Freund. Wie ich sehe, bringst du die kleine Gehilfin mit. War der Chronist nicht da?“
Die Stimme von Juno war glockenhell und von einem warmen Timbre. Wie so oft fühlte sich Arella seltsam berührt und geborgen, allein durch diesen Klang. Weiter bewunderte sie das Einfühlungsvermögen der Fee. Arella wusste, Juno glaubte nicht an den Blödsinn mit den Vornamen und Unglück, trotzdem vermied sie in Anwesenheit des Kobolds stets, diese in den Mund zu nehmen.
Dieser hielt seinen Kopf gesenkt, während sich das Mädchen neugierig umsah. Natürlich möglichst unauffällig – aber diese Schönheit dieses Raumes war so märchenhaft, dass sie einfach nicht anders konnte.
Leider ist es unmöglich, an dieser Stelle das genaue Aussehen des Audienzzimmers zu beschreiben. Ganz einfach deshalb, da die Feen – schlau wie sie sind – diesen mit ihrer speziellen Magie verzaubert haben.
Dadurch ist für jeden dieses Zimmer ein wenig anders.
Es ist jetzt nicht so, dass der eine einen Tisch und der andere – vielleicht ein testosterongesteuerter Jüngling - ein Bett in der Mitte des Raumes stehen sieht. Nein, für jeden sind die gleichen Gegenstände in diesem Raum, an der gleichen Stelle das Fenster, der Tisch, die Stühle – nur erkennt jeder die Art, die er kennt und ihm gefällt.
So waren für Polop die Stühle zwar viel zu hoch, dass man ihn hochhieven musste, wollte er auf ihnen Platz nehmen – dafür waren sie aber „koboldisch“, sprich in einer seltsamen Sternenform und ohne Lehne.
Da sich jedoch der Geschmack der Besucher auch immer wieder leicht veränderte und die Magie darauf einging, war das Zimmer zwar jedes Mal wunderschön, doch nie ganz gleich wie beim letzten Mal. Und damit natürlich auch von einem ganz besonderem Reiz.
„Verzeih bitte, liebe J… liebe Fee. Mein Lehrer ist gerade dabei, jede Menge Unterlagen zu sortieren und benötigt dazu den ganzen Fußboden seines Arbeitszimmers. Wir hatten gehofft, dass auch ich helfen kann?“, erkundigte sich Arella mit einem zaghaften Lächeln.
Die Erwiderung kam jedoch nicht von Juno. Unerwartet hörte sie nun jemand aus dem Hintergrund sagen: „Dann ist meine Wenigkeit also nicht wichtig genug, als dass der Schreiber selbst sich herbemüht?“
Erst jetzt nahm sie wahr, dass hinten, direkt an der Fensterfront, jemand stand. Allerdings schien der Fremde trotz seiner Rede nach draußen zu blicken – auf jeden Fall drehte er ihr den Rücken zu, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
Das erste, was ihr auffiel, war sein langes, schwarzes Haar, welches ihm bis zur Mitte des Rückens ging. Er erinnerte sie dadurch an einen Elben, die kriegerischen großen Brüder der Elfen. Die oberen Haare wurden mit einer schwarz glänzenden Spange in Form eines Blattes hinten zusammengehalten, vermutlich um sie verhindern, dass sie störend in das Gesicht rutschten – die sonstigen Haarsträhnen waren jedoch offen und man erkannte lockiges und festes Haar, welches einen leichten Blaustich aufwies.
Überrascht registrierte er, dass der Besucher keine Robe trug, wie sie es für einen Zauberlehrling eigentlich erwartet hatte, sondern einfache Reisekleidung aus weichem Leder – ungewöhnlich war nur diese tiefschwarze Farbe. Sie konnte auch einen Gürtel mit zwei Messern, Dolchen sowie ein Kurzschwert erkennen.
Das sollte ein Magier sein?
Hatte der Kobold da etwas falsch verstanden oder war dieser Besuch gar nicht für sie und das alles ein Missverständnis?
Und – diese Frage war mindestens genauso wichtig – war dieser Mann nun verstimmt, weil nur sie gekommen war? Leider hatte sie aus seiner Stimme nichts Entsprechendes heraushören können.
Während sie sich noch fragte, wie lange sie wohl noch seine Rückenansicht bewundern durfte und was sie antworten sollte, ging ein kurzer Ruck durch ihn und er drehte sich endlich um.
Überrascht starrte sie ihn an. Sie hatte mit einem wesentlich älteren Mann gerechnet.
Es war allgemeinbekannt, dass etliche Jahre vergingen, ehe Magier ihre Schützlinge aus der Lehre entließen – doch dieser hier war seltsam jung, vermutlich kaum älter als sie selbst. Er hatte ein sonnengebräuntes Gesicht und dunkelbraune Augen musterten sie.
Auch sonst war er optisch so ziemlich das Gegenteil von ihr – ein rundes Gesicht, eher groß, und man sah ihm an, dass er schon einiges erlebt haben musste. Eine seltsame Traurigkeit umgab ihm und noch etwas, was sie nicht greifen konnte – war da eine Art Düsternis, etwas Dunkles, die ihm wie ein Nebel begleitete? Sie wirkte nicht bedrohlich, schien jedoch in ihm zu ruhen und ein Teil von ihm zu sein.
Ob er gefährlich war?
Als Zauberer war er sicher machtvoll genug, um seinen Feinden zu schaden, auch wenn er noch nicht ausgelernt hatte. Aber Juno hätte ihn sicher nicht hineingelassen, wenn er eine Bedrohung für sie dargestellt hätte.
Es war ein Mann in Schwarz, der dort mit seiner dunklen Kleidung vor den Fenstern stand und einen starken Kontrast zu dem hellen Licht bildete.
Sein Blick war fragend und sie erinnerte sich daran, dass er ja eine Frage gestellt hatte.
Freundlich erklärte sie ihm deshalb: „Man hat uns leider nicht gesagt, um was es geht. Nur, dass ein Zauberlehrling uns sprechen möchte. Mein Meister ist gerade mit einem größerem Projekt beschäftigt und bat mich nachzufragen, ob auch ich Euch helfen kann. Natürlich steht er Euch auch persönlich zur Verfügung, sofern es nötig ist.“
„Ihr solltet es euch hier am Tisch gemütlich machen und Ihr, Cedrik, unserer Arella Euer Anliegen vortragen. Ich bin sicher, dass sie euch genauso gut helfen kann“. Das war die gute Fee -sprichwörtlich in diesem Moment, da der Mann angesichts ihrer freundlichen Worte doch tatsächlich so etwas wie ein Lächeln zustande brachte. „Ich werde Euch allein lassen, aber unser kleiner Diener bleibt vor der Türe stehen, falls Wünsche bestehen.“
Nach einem kurzen Seitenblick auf Polop drehte sie sich noch einmal kurz im Kreis, bevor sie in Windeseile davonschwebte.
Der Kobold zuckte nur kurz mit den Schultern, um anschließend mit einem „Ich bin dann draußen“ aus dem Zimmer zu schlurfen.