Eros kam sich vor wie ein Laufbursche. Mal wurde er hierhin, dann dorthin gerufen. Aber dieses Mal kam der Ruf von Sakura. Und dann zu den Gemächern ihres Vaters? Was zu Hurúcalos Höllenhunden hatte sie vor? Die Szenerie, die sich ihm bot, als er Minuten später ankam, war mit einem Wort grotesk. Sakura saß auf dem Bett ihres Vaters und ließ die Beine baumeln, als ob sie das alles nichts anginge. Yamato jedoch befand sich in der misslichen Lage gefesselt und geknebelt an der Wand zu lehnen. In der Mitte des Raumes stand währenddessen ein ziemlich gut gelaunter Usongu und übte ein paar Schwertstreiche mit einem unsichtbaren Gegner. „Da ist er ja schon. Seeehr schön.“ Der Ritter steckte das Schwert weg und schob Eros durch die Tür in den Raum, eben dahin, wo er selbst gerade gestanden hatte. „Dann will ich das traute Familientreffen mal nicht weiter stören. Viel Erfolg!“ Sagte er auf seine lockere Art. Noch im Zuziehen der Türe meinte er: „Ich bleibe hier draußen stehen und lasse euch erst wieder raus, wenn diese Angelegenheit geklärt ist.“ Mit einem lauten RUMMPS! flog die Tür ins Schloss. Eros brach in Schweiß aus. Was dachte dieser Idiot von einer schlechten Entschuldigung für einen drittklassigen Ritter sich eigentlich dabei, sich derartig in anderer Leute Leben einzumischen? Dem Snift fielen noch viele solcher Beleidigungen ein. Unsicher warf er Sakura einen Blick zu. Die zuckte nur mit den Schultern. Bedeutete das etwa, dass sie diese Art von Zwangslage für gut befand? Yamato fühlte sich langsam ignoriert, was seine Laune nicht gerade besserte. Zu allem Überfluss juckte auch noch seine Nase. Maulend machte er sich bemerkbar. Jetzt stand Sakura auf, stellte den Stuhl gerade hin und löste den Knebel. Eine Flut von Beschimpfungen, wie man sie dem feinen Herrn Diplomaten niemals zugetraut hätte, entlud sich über dem Unterhändler. Kurzerhand band Sakura den Knebel wieder fest und amüsierte sich köstlich über den ungläubigen Blick ihres Vaters. Eros wusste nicht wohin mit sich. Sollte er lachen oder weinen? Die Gefühle kamen ihm bekannt vor. Er entschied sich für die dritte Variante und überließ Sakura das Handeln. Im Schneidersitz nahm er daher in der Mitte des Raumes Platz und beobachtete das Geschehen. Die Tochter des Gefesselten indes fand anscheinend Gefallen an der Macht, die sie nun hatte. „Weißt du, Vater, eigentlich gefällst du mir so viel besser.“ Lachte sie. „Och, nun kuck nicht so böse. Irgendwie hat Usongu schon Recht. Die einzige Möglichkeit, dich mal zum Zuhören zu bewegen, wenn es sich nicht um einen Verhandlungspartner handelt, ist es, dich gewaltsam zum Schweigen zu bringen.“ Tränen des Zornes stiegen in Yamatos Augen und verschleierten ihm die Sicht. „Nein, damit erreichst du dieses Mal nichts, Vater. Ich habe mir lange genug deine Geschichten über die bösen, schlechten Halbmenschen angehört. Jetzt wirst du dir meine Geschichte anhören. Und du hörst besser gut zu. Denn wenn ich fertig bin, wirst du entweder Eros als deinen Schwiegersohn akzeptieren, oder tot sein.“ Eiskalt ignorierte Sakura den bohrenden Blick in ihrem Rücken. Wer war diese Frau? Eros war, als sehe er Sakura zum ersten Mal wirklich. „Du verstehst also, dass ich es Ernst meine?“ Yamato zwang sich ein Nicken ab. Seine Augen sprühten Gift und Galle. „Gut.“ Und sie begann zu erzählen. Sie ließ nichts aus. Jede Geschichte, die ihr Vater ihr jemals über die unmoralischen Monster namens Snift erzählt hatte, griff sie auf und widerlegte sie mit dem, was Idana und Eros ihr erzählt hatten. Der Katzenmann lauschte und verstand immer mehr, warum sich Sakura entschieden hatte, Usongus Spiel mitzuspielen. Wenn der Diplomat wirklich all diese Schauermärchen für wahr gehalten hatte, hätte er, Eros, versuchen können, was er wollte, Yamato hätte ihn niemals akzeptiert. „Ich werde dich jetzt losbinden“, sagte Sakura zum Abschluss ihrer langen Rede. „Solltest du versuchen, Eros auch nur ein Haar zu krümmen, schwöre ich dir, so wahr ich hier als deine Tochter stehe, dich umzubringen.“ Blut schoss heiß in Eros Gesicht. Dass sie seinetwegen soweit gehen würde, hatte er nicht erwartet. Der Knebel wurde entfernt, die Fesseln gelöst. Yamato rieb sich die schmerzenden Handgelenke. Aber er sagte nichts. Nicht einmal in die Augen schauen wollte er seiner Tochter. Er war enttäuscht. Sehr enttäuscht. Von ihr, aber auch von sich selbst. Hatte er sich tatsächlich all die Jahre getäuscht? War alles, was er als unumstößliche Wahrheit angenommen hatte, nichts anderes, als das zusammengereimte Hirngespinst irgendeines Schreibers? Eines Schreibers, der womöglich politisch orientiert gehandelt hatte, damit die Snift nicht einmal die Möglichkeit bekamen, sich zu erklären? Von Vorurteilen und Hass geblendet hatte er selbst es auch nicht geschafft, den Katzenmenschen eine gerechte Chance zu geben. Sein Mund war entsetzlich trocken. Mechanisch griff er nach dem Becher und trank ein paar Schluck Wasser. Als er aufblickte, waren seine Augen trübe vor Traurigkeit. Er war ein gebrochener Mann. Alles hatte er verloren in den letzten Stunden. Seine Würde, sein Weltbild, seinen Glauben an sich selbst. Aber am Schwersten wog der Verlust seiner Tochter. „Kannst du mir jemals verzeihen?“ Seine Stimme war mehr ein Flüstern. Ohne Hoffnung sah er Sakura an. „Wenn du dich auch bei Eros entschuldigst.“ Antwortete diese kühl. Yamato schluckte schwer. Er sah ein, dass er falsch gelegen hatte, aber nach all den Jahren des Abscheus sich plötzlich derart zu erniedrigen? Er atmete tief ein und aus. Machte sich bewusst, dass er es für seine Tochter tat. Er wollte sie nicht verlieren. Also sprang er schweren Herzens über seinen Schatten, überwand den letzten verbliebenen Rest seines einst so großen Stolzes und verbeugte sich tief vor dem Snift Unterhändler. „Verzeiht, Herr Eros, dass ich einem Irrtum aufgesessen bin und Euch aus diesem Grund nicht fair behandelt habe.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu. „Und auch den Angriff auf Euch bitte ich zu entschuldigen, es kommt bestimmt nicht wieder vor.“ Eros war geplättet. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Er war unfähig zu sprechen. Yamato hatte sich wieder aufgerichtet und sah ihm direkt in die Augen. „Aber ich kann Euch nicht als Partner für meine Tochter akzeptieren. Bitte versteht das.“ Noch bevor diese Schreckensbotschaft in Eros sacken konnte, hatte Sakura sich neben ihn hingestellt. „Dann verlierst du mich Vater. Denn ich werde mit ihm gehen, ob er mich nun heiraten kann, oder nicht.“ Der Snift spürte, wie die Hand der jungen Frau in seine glitt. Ihr fester Klammergriff war das einzige, was ihre Anspannung verriet. Er bewunderte ihre Haltung. Er selbst stand nur noch, weil jede Bewegung seinerseits unweigerlich dazu geführt hätte, dass er umgefallen wäre. Seine Knie waren weich wie von Sonne geschmolzene Butter. In Yamato tobte indes ein Sturm von Gefühlen. Sie hatte immer ihren eigenen Kopf gehabt und war genauso stur wie er selbst. Aber sie endgültig zu verlieren, hieße für den Diplomaten alles zu verlieren, was ihm in diesem Leben noch wirklich wichtig war. Sein Widerstand war gebrochen. Zögerlich hob er die Hand, damit der Katzenmann einschlagen konnte. Als dieser zugriff, zog Yamato ihn ganz nah an sein Gesicht heran. „Wenn ich jemals erfahren sollte, dass meine Tochter Euretwegen unglücklich ist, dann Gnade Euch Euer Sniftgott.“, quetschte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Ja, Sir.“, lächelte Eros. Er war überglücklich. Auch wenn es nicht gerade so verlaufen war, wie er es sich vorgestellt oder gewünscht hatte. Er war als Schwiegersohn akzeptiert und damit war der Weg frei für ihre Vermählung. Als sie die Tür öffneten, fiel Usongu hintüber. Er hatte im Stehen an der Tür lehnend geschlafen. Eros fing ihn im freien Fall auf und stellte ihn zurück auf seine Beine. Dann umarmte er ihn, ließ ihn los, sagte „Danke“ und verschwand lachend mit Sakura an der Hand in Richtung Schlosspark. Usongu glotzte verschlafen hinter ihnen her. Der Diplomat bat ihn ins Zimmer und bestellte Hochprozentiges für sich und den Ritter bei einer herbeigerufenen Bediensteten.