Es war der zweite Tag nach der Hochzeitsfeier. Wie durch ein Wunder war es den Bediensteten in gemeinschaftlicher Arbeit gelungen, den Thronsaal wieder begehbar zu machen. Nur ein paar Weinflecken, die nicht einmal das beste Hausmittel aus den Teppichen bekam, blieben als unauslöschlicher Beweis für das Fest übrig. Der Saal war unbesetzt. König Cámalon saß an seinem Schreibtisch und verfasste Briefe und Erlasse. Der Alltag hatte ihn schneller eingeholt, als ihm lieb war. Seufzend stand er auf und ging ans Fenster, frische Luft schnappen. Draußen im Hinterhof des Schlosses sah er Ferdinand, der gerade eines der Jungpferde zuritt. Die Magd, die der Stallknecht geheiratet hatte, kam aus der Küche und brachte ihrem Mann einen Apfel und ein Stück Brot. Ferdinand hob seine Frau hoch in die Luft und drehte sich einige Male lachend mit ihr. Er setzte sie ab, küsste sie und nahm Apfel und Brot entgegen. Cámalon erschien es wie die Szene aus einer anderen Welt. Einer friedlichen Welt, ohne Dämonen, ohne Krieg. Ein Diener trat ein und machte räuspernd auf sich aufmerksam. „Was gibt es?“ Der König drehte sich ihm zu. „Sie sind da, Sire.“ Verwirrt sah Cámalon den Bediensteten an. „Wer?“ „Itodáim und Maya Raffael, Sire. Die Eltern des Botschafters.“ Oh verdammt, an die hatte er ja überhaupt nicht mehr gedacht. Hektisch ordnete er seine Gedanken. Da kam auch schon Thalia und legte ihm seinen Mantel um und gab ihm seine Krone. Sie sagte nichts, hängte sich nur lächelnd bei ihm ein und führte ihn zum Thronsaal. Aber er hielt sie auf halben Wege auf. „Thalia, ich kann das nicht. Mein Kopf ist voll von Kriegsstrategien. Die Zwerge haben einen Eilbrief geschickt, sie brauchen dringend Unterstützung im Kampf gegen die Horden der Orks, die ihr Land geradezu überrennen. Das Volk erwartet Entscheidungen. Immer mehr Dörfer melden Angriffe. Und der Freiwilligentrupp ist immer noch nicht zurückgekehrt. Geschweige denn, dass eine Meldung von ihnen eingetroffen wäre. Wie um alles in der Welt soll ich jetzt Gäste empfangen?“ „Kommen wir ungelegen, Majestät?“ Eros‘ Vater stand in der Tür zum Thronsaal. Itodáim war ein hoch gewachsener Mann. Sein kantiges Gesicht passte nicht recht zu den Katzenohren, die aus den wilden, langen Haaren abstanden. Die Schnurrhaare schienen fehl am Platz in dem vor Männlichkeit strotzenden Gesicht. Lediglich die spitzen Eckzähne fügten sich perfekt ins Bild. Anders als Eros, der nicht überall Fell trug, war der Körper des Snift komplett mit braunen Haaren überzogen. Sein Katzenschwanz zuckte nervös, seine gelben Augen blitzten. Er machte sich keine Mühe, seine Andersartigkeit zu verbergen. Nur einen Lendenschurz, mehr trug er nicht. Die Krallen an seinen Händen waren ausgefahren. Die Wachen, die in der Nähe standen, hatten ihre Waffen kampfbereit ergriffen, aber Cámalon bedeutete ihnen mit einer herrischen Geste, sie wegzustecken. „Um ehrlich zu sein, ja. Aber das ist nicht Eure Schuld. Itodáim nehme ich an.“ Der König bot dem Katzenmann die Hand. Itodáim zögerte unentschlossen. Konnte er diesem Menschen wirklich trauen? Er hatte einfach schon zu viele unangenehme Erfahrungen gemacht. Schließlich griff er zu. Der starke Griff Cámalons beeindruckte ihn. „Das hier ist meine Frau Maya.“ Eine blonde Frau kam zaghaft aus dem Schatten des Snift hervor. Sie machte scheu einen Knicks und wagte nicht, die Augen zu heben. „Sire.“ Sagte sie nur. Thalia konnte es nicht länger mit ansehen. Sie nahm Maya bei den Händen und lächelte sie an. „Es ist eine Freude euch beide hier zu haben. Auch wenn wir uns wünschen würden, dass die Umstände besser wären. Es muss eine schwere Reise gewesen sein. Liebling“, an ihren Gatten gewandt sprach sie weiter. „Wollen wir sie nicht erst einmal ausruhen lassen. In der Zwischenzeit kannst du deine Geschäfte abschließen und ich kümmere mich darum, dass Eros und Sakura von der Ankunft seiner Eltern erfahren.“ „Das ist eine wundervolle Idee, mein Schatz. Bis zum Abendmahl dann.“ Und schon war der König verschwunden. Maya war erstaunt darüber, wie die Königin mit ihrem Mann reden konnte. Gerne ließ sie sich von ihr in eines der Gemächer führen, wo sie mit Itodáim übernachten würde. Der Katzenmann folgte ihnen stumm. „Ihr müsst verzeihen. Normalerweise ist der König ganz anders. Nicht so kurz angebunden, fröhlicher.“ Thalia stockte. Dann holte sie Luft und fuhr beherzt fort. „Fühlt euch wie zu Hause. Wenn euch etwas fehlt, zögert nicht mit der Klingel einen Diener zu rufen. Ich lasse Eros und Sakura zu euch bringen, sobald wir sie gefunden haben.“ „Danke, Eure Majestät.“ Als die Königin gegangen war, sah sich Maya um. Alles erschien ihr riesig. Sie kam aus einem kleinen Dorf im Nirgendwo und lebte seit einigen Jahren im Sniftdorf. Auch dort kannte man solchen Prunk und solche Pracht nicht, wie sie sie hier erblickte. Überall im Schloss hingen Wandteppiche. Der Kronleuchter, den sie im Thronsaal gesehen hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Und als sie sich auf das Bett setzte, sank sie einige Zentimeter tief ein. So etwas Weiches hatte sie noch nie erlebt. Sie sah zu Itodáim rüber und stellte fest, dass er lächelte. Das hatte er seit ihrer überstürzten Abreise nicht mehr getan. „Weißt du, Maya, als diese Idana vom Schloss kam und uns eingeladen hat, war ich mir nicht sicher, ob wir wirklich kommen sollen. Überall Menschen. Ich dachte, das kann nichts Gutes werden. Aber dieser Cámalon scheint sein Herz am rechten Fleck zu haben. Ich bin schon gespannt wie sie aussieht, diese Sakura.“ Er rief nach einem Diener. Er wollte ein Bad nehmen, bevor er seinem Sohn und seiner Schwiegertochter begegnete. „Nimmst du mich mit?“ Maya hatte ihn von hinten umschlungen. Offenbar hatte die warme Art der Königin dafür gesorgt, dass die mädchenhafte Scheu von ihr abgefallen war wie Herbstlaub von den Bäumen. „Natürlich.“ Schnurrte der Snift charmant und hob seine Frau hoch, als wäre sie federleicht. Gemeinsam verschwanden sie für ein paar Stunden im Baderaum.