Der Alte
Alturins Ritt war scharf. Er musste so schnell wie möglich in die Kristallstadt. Die ersten zwei Tage würde er durch den Wald reiten, danach musste er die Ebene von Tulur durchqueren, um dann an der Küste entlang bis zum lächelnden Berg zu gelangen. Der lächelnde Berg hatte seinen Namen in alter Zeit von Usha bekommen, weil seine Nordseite wie ein lächelndes Gesicht aussah. Seine alte Freundin und Wegbegleiterin Undra flog voraus und erkundete das Gelände. Die alte Eule hatte Alturin vor ewigen Zeiten lebenslange Treue geschworen, weil er ihr im Kampf gegen einen Zohr das Leben gerettet hatte. Diese Drachenart war aber mittlerweile ausgestorben, glücklicherweise.
Alturin wollte bis Sonnenuntergang weiter reiten und dann das Nachtlager aufschlagen. Der Junge schlief immer noch. Irgendwie war er froh darüber. Er würde Fragen stellen. Fragen, die er nur sehr ungern beantworten würde, doch letztlich musste er ihm sagen, was passiert war. Auch wenn er noch so jung war, er musste ihm die Wahrheit sagen. Doch konnte er jetzt schon spüren, wie es ihn selbst schmerzen würde. Undra hatte ihm von dem unglückseeligen Vorfall auf der Lichtung berichtet. Sie hatte alles auf einem ihrer Erkundungsflüge gesehen und war sofort zu Alturin zurück geflogen. Gut für den Jungen, dass sie in der Nähe waren. Ein Zug des Schicksals, dachte er. Er hatte das Zeichen auf dem Handrücken des Kindes gesehen. Er wollte ihn in der Kristallstadt Hatora übergeben, dann würde man weiter sehen. Sie war die weiseste Frau, der er jemals begegnet war. Wunderschön, trotz ihres hohen Alters und mit weiser Hand lenkte sie seit ewiger Zeit die Geschicke der Kristallstadt. Er verehrte sie und hatte grossen Respekt vor ihren Kräften.
Der Junge regte sich und schien bald aufzuwachen. Alturin sah sich nach einer geeigneten Stelle für das Nachtlager um. Es dämmerte bereits. Er steuerte eine kleine Baumgruppe an und hielt an. Behutsam wie einen Schatz nahm er den Jungen vom Pferd und legte ihn auf dem weichen Waldboden ab. Ein kleiner Bachlauf war in der Nähe und Alturin führte sein Pferd dort hin, damit es sich am Wasser erfrischen konnte. Er sammelte Holz und entzündete ein Lagerfeuer. Ein leichtes Rauschen erfüllte die Luft. Undra schwebte heran und sezte sich auf einen der unteren Äste einer Buche. Ihr Abendessen hatte sie sich bereits mitgebracht. Ein kleines Mäuschen baumelte in ihrem scharfen Schnabel. Sie nickte eifrig mit dem Kopf und bedeutete Alturin damit, dass die Luft rein wäre. Sie hielt ihren Kopf ganz schräg und betrachtete den Jungen auf dem Boden. Mikkel wurde unruhiger, aber er schlief noch weiter. Alturin hatte etwas zu Essen bereitet und setze sich neben den Jungen. Dann öffnete Mikkel seine Augen.
Erschrocken sah er Alturin an und richtete sich auf. "Was ist passiert, wo bin ich, wer bist Du und wo sind meine Eltern," polterte er heraus.
"Eine Menge Fragen für den Anfang, junger Freund, antwortete Alturin. Ich fange mal mit meinem Namen an. Ich bin Alturin. Ich habe Dich auf einer Lichtung gefunden. Du lagst in einem Erdloch und warst bewusstlos. Die Wunde an Deinem Kopf habe ich versorgt so gut ich konnte. Du bist auf dem Wege in die Kristallstadt, falls Dir das etwas sagt, mein kleiner Freund. Und was passiert ist, kann ich Dir nicht genau sagen. Ich weiss nur, dass die Lichtung auf der ich Dich fand ziemlich übel aussah. Es war viel zerstört. Was Deine Eltern angeht...... ich fürchte wir müssen davon ausgehen, dass sie nicht mehr leben." Er sah den Jungen an. Er gefiel ihm. So aufgeregt, wie er anfangs war, hatte er nun ruhig zugehört und ihn ausreden lassen. Er schien eine gute Erziehung egnossen zu haben. Auch seine Kleidung machte einen ordentlichen Eindruck. Naja, bis auf den Dreck. Er lag schliesslich auf dem Waldboden und war in ein Erdloch gefallen. Er hatte Alturin immer direkt angesehen, als er erzählte und immer wieder strich er sich seine schönen langen blonden Haare aus dem Gesicht.
Mikkel spürte dass der Alte die Wahrheit sagte. Er wurde sehr traurig. Was würde er nun tun? Allein. Tränen stiegen ihm in die Augen. Alturin legte dem Kleinen seine Hand auf die Schulter und fragte: "Wie ist Dein Name? Wo kommst Du her und an was kannst Du Dich erinnern?" Dicke Tränen kullerten über Mikkels Wangen und diesmal senkte er kurz den Kopf. Doch schon kurz darauf hob er ihn wieder an und antwortete mit dicken Augen:
"Auch Du stellst viele Fragen, alter Mann! Ich bin Mikkel aus dem Dorf Ushinum. Ich war mit meinem Vater Joohn und meiner Mutter Eira auf dieser Lichtung. Sie hielten dort ein Ritual ab, um die Energie zu stärken. Meine Eltern sind Lichtmagier in unserem Dorf. Plötzlich gab es einen Riesenknall und einen Blitz. Ich fiel in das Erdloch und danach weiss ich nichts mehr. Hast Du meine Eltern gesehen?" Der Kleine gefiel Alturin. Er war seinem Alter weit voraus, das merkte er sofort, vom Geist und von seiner Grösse her. Und er war ein angehender Lichtmagier.
"Nein Mikkel, Deine Eltern habe ich leider nicht gesehen. In zwei Tagen werden wir die Kristallstadt erreichen und ich werde Dich an Hatora übergeben. Sie ist eine liebe weise Frau und lenkt die Geschicke der Stadt. Sie wird sich um Dich kümmern und Du kannst ihr vertrauen, ich kenne sie schon sehr sehr lange." "Was ist die Kristallstadt," fragte Mikkel. "Ich will Dir nur so viel sagen, dass dort eine ganz hohe Energie gegenwärtig ist sehr viel Weisheit und Liebe. Diese Stadt und seine Bewohner sind ein Seegen für die Menschen. Aber Du wirst es bald selbst erleben. Und nun ist es Zeit zu schlafen." Alturin wunderte sich über den Gehorsam des Jungen, der bereitwillig trotz der schlimmen Dinge, die er erlebt hatte seine Anweisungen ohne zu murren befolgte. Sie assen noch etwas und legten sich dann schlafen. Es lagen noch zwei Tage anstrengenden Rittes vor ihnen, bevor der Junge in Sicherheit war. Kurz darauf schliefen die beiden und Alturin setzte sich ans Feuer. Flügelschlag war zu hören und kurz darauf sass Undra auf seinem linken Knie.
Die alte weise Eule war zu einer wichtigen Verbündeten für ihn geworden und gemeinsam hatten sie schon etliche Abenteuer erlebt. Mit ihren grossen Augen sah sie Alturin an und wippte ganz leicht von links nach rechts hin und her. "Nun erzähl' schon Undra, was ist los?", sagte Alturin. Genau wie Mikkel war auch Undra gut erzogen. Sie wartete stets, bis sie zum Reden aufgefordert wurde, es sei denn die Situation erforderte gerade etwas Anderes. Sie bewegte ihre Flügel und ihr braunes Federkleid raschelte. Ihr hübsches Gesicht zierte eine längliche Narbe unter ihren rechten Auge. Eine alte Erinnerung an einen Kampf mit einem Drachen, bei dem ihr Alturin beigesprungen war und ihr das Leben gerettet hatte.
"Hmm, ....er gefällt Dir nicht wahr?, fragte sie. Du hast ihn in Dein Herz geschlossen, oder? Ich merke es." "Was wäre falsch daran Undra?", fragte Alturin. "Garnichts, antwortete Undra, im Gegenteil! Es steckt etwas Besonderes in ihm, das habe ich gleich gespürt. Er ist ein angehender Lichtmagier und wenn er seine Ausbildung bei Hatora erhält, dann wird er ein grosser Lichtmagier werden. Ich bin noch einmal zur Lichtung zurück geflogen, um nachzusehen, ob ich noch etwas finde." "Und?", hakte Alturin nach.
"In der Mitte der Lichtung stand ein alter Eichenbaumstumpf, der den Magiern als Altar diente, fuhr sie fort. Es muss eine heftige Explosion gegeben haben, die den Baumstumpf ausgerissen hat. Die Steine und die Kräuter haben bei dem Ritual auf dem Baumstumpf gelegen, aber es lag noch etwas anderes dabei, von dem seine Eltern nichts gewusst haben dürften. Ich habe Reste davon gefunden." Nun schwieg Undra und wippte wieder ganz leicht hin und her. Alturin wurde ungeduldig. Er kannte dieses Ritual. "Und wann gedenkst Du nun mir zu sagen, was es war? Wird es noch in diesem Leben sein Undra, oder müssen wir uns für eine weitere Inkarnation verabreden, in der Du Dein Geheimnis preisgibst?" Alturin glaubte ein leichtes Lächeln in ihren Augen zu erkennen. "Nein, so lange kann ich Dich nicht im Ungewissen lassen, ich möchte ja auch nicht, dass Du vor Neugier platzt.... in diesem Leben.....an diesem schönen Ort.....und vor dem Jungen." "Undra!", zischte Alturin sie an. "Schon gut, schon gut alter Mann, obwohl....eigentlich hätte ich Dir in Deinem Alter mehr Geduld zugetraut, Alturin." Alturin senkte entnervt den Kopf. Undra hatte ihren Spass.
Doch dann kam ein Wort aus ihrem Schnabel, das Alturins Kopf rasch in die Höhe schnellen liess. " Oarkraut!" "Oarkraut?, rief Alturin entsetzt. Aber, das kann nicht sein Undra. Nach der letzten Schlacht gegen die Oar ist alles von diesem unseeligen Zeug vernichtet worden und keiner der Oar hat überlebt, sie wurden alle nieder gemacht und das ist bald ein ganzes Zeitalter her." "Ich weiss, was ich gerochen habe Alturin, meiner Nase kann ich immer noch vertrauen, obwohl es fast geruchloch ist und deshalb haben seine Eltern es vermutlich auch nicht bemerkt."
Alturin war verwirrt. Oarkraut? Wo sollte es herkommen? Er hatte das Gefühl, dass sie unruhigen Zeiten entgegen gingen. Undra wünschte eine gute Nacht - sie würde Wache halten. Alturin ging zu seinem Nachtlager und streckte sich aus. Der kleine Mikkel schlief, wenn auch recht unruhig. Er hatte eine Menge zu verarbeiten. Der lange Ritt machte sich nun bei Alturin bemerkbar. Er streckte sich und rollte sich dann in seine Decke ein. Es war etwas frisch heute Nacht. Er schlief recht schnell ein und der Traum erreichte ihn alsbald. Die Schlacht......lange her. Die Oar waren zahlreich gewesen. Immer wieder rannten sie in Wellen gegen sie an. Die Verluste waren riesig. Sein Schwert. Blutverschmiert. Dann stand der Anführer der Oar vor ihm. Ein langer erbitterter Kampf. Doch dann.... der alles entscheidende Streich.....