Alte Pfade
Mikkel war sehr froh, dass Alturin wieder bei ihm war. Er war in der letzten Zeit neben Bengolf zu einer wichtigen Bezugsperson für ihn geworden. Gleich bei der ersten Rast suchte er seine Nähe. Er war verunsichert. Er hatte sich den Unmut von Hatora zugezogen durch sein Fehlverhalten. Trotz des Erscheinungsbildes eines erwachsenen Mannes schlug dennoch das Herz eines Kindes in seiner Brust. Er war verunsichert. Hatora liess ihn unbeachtet und würdigte ihn keines Blickes. Mit fragendem Blick sah er Alturin an.
"Wird Hatora mir meinen Fehler je vergeben," fragte er Alturin besorgt.
"Es wird immer wieder Gelegenheiten für Fehler geben mein Lieber. Du hast einen Fehler begangen, indem Du Dich Hatoras Anweisungen widersetzt hast. Andererseits..... wer weiss was geschehen wäre, wenn Du nicht bei uns gewesen wärest. Nun, es wird auch neue Gelegenheiten geben, den Fehler wieder gut zu machen. Sorge Dich nicht allzu sehr. Ich kenne Hatora recht gut und weiss, dass sie nicht nachtragend ist. Gib den Dingen einfach etwas Zeit."
"Du meinst ich soll gar nichts tun,?" fragte Mikkel ungläubig.
"Nun, ich halte es zumindest im Moment für das Beste," antwortete Alturin.
Trotz der wenig zufriedenstellenden Antwort war Mikkel doch etwas beruhigt. Die letzten Stunden waren anstrengend und so legten sich alle früh schlafen und die Lichtkrieger wechselten sich mit der Wache ab. Nach einer ruhigen Nacht waren alle früh auf den Beinen und kurz nach Morgengrauen ritten sie weiter. Hatora führte sie an. Mikkel beobachtete sie unauffällig. Sie schien sehr in Gedanken versunken und blickte stur geradeaus.
Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe. Undra kehrte von ihrem Erkundungsflug zurück. Sie war sehr aufgeregt und pfeilschnell schoss sie heran. Dann bremste sie ruckartig ab und landete auf dem ausgestreckten Arm von Hatora. Mit flatternden Flügeln berichtete sie Hatora, was sie gesehen hatte.
"Askaden,? fragte Hatora ungläubig. So schnell habe ich nicht mit ihnen gerechnet. Nehmt mit dem Karren den gleichen Weg, welchen wir gekommen sind. Zwei Lichtkrieger sollen ihn begleiten. Wir Anderen nehmen den Pfad durch die Schlucht von Gulgur. Eilt Euch! Wir dürfen keine Zeit verlieren, die Stadt wird von wilden Askaden angegriffen," trieb sie die Gruppe lauthals an.
Erschrocken über die schreckliche Nachricht spornten sie sofort ihre Pferde an und galoppierten los.
Keiner passierte die enge Schlucht von Gulgur, wenn er dies nicht unbedingt musste. Sie war so schmal, dass ein Karren nicht hindurch gepasst hätte. Alle mussten hintereinander durch die Schlucht. Es gab keine Deckung und bei einem Angriff wäre man verloren gewesen. Doch sie hatten Glück. Ungehindert kamen sie durch die enge Schlucht hindurch und erreichten erleichtert den Ausgang. Sofort spornte Hatora ihr Pferd an und führte die Gruppe in schnellem Galopp weiter. Nach wildem Ritt erreichten sie den Hügel, der den Blick auf die Stadt frei machte. Hatora stockte der Atem!
Tausende der Askadenkrieger waren auf dem Platz vor der Kristallstadt angetreten. In Reih und Glied standen sie wohlgeordnet in Blocks von zweihundert Männern und blickten auf die Stadt. Kriegsgerät war aufgefahren worden. Katapulte, Rammböcke und Schleudern. Feuer waren überall zu sehen. Alle beobachteten betroffen die Szenen, die sich vor dem Tor der Stadt abspielten. Die Askaden waren ein kriegserprobtes Volk. Kampf war ihnen nicht fremd und sie scheuten die Gefahr nicht. Bald würden sie gegen die Stadt anrennen und versuchen, sie zu erobern.
"Hier können wir nicht durch, sagte Hatora, wir müssen einen geheimen Weg beschreiten. Folgt mir!"
Sie ritt in den Wald zurück und kamen nach kurzem Ritt an einen Felsen auf einem kleinen bewaldeten Hügel . "Bindet die Pferde hinter den Bäumen an, so dass sie nicht sofort gesehen werden können," befahl sie den Männern. Hatora ging auf den Felsen zu. Sie legte ihre Hände auf den grossen Stein und sprach eine magische Formel. Plötzlich rollte der Stein auf die Seite und gab den Weg zu einem geheimen Gang frei, durch den alle in die Stadt gelangen sollten. Als der letzte der Männer den Durchgang passiert hatte, verschloss Hatora den Eingang wieder. Nichts war mehr zu sehen. Hatora strich über ihren Kristallring, den sie am Finger trug und helles Licht ermöglichte ihnen mit seinem Licht den sicheren Gang durch den geheimen Tunnel.
Abrupt endete der Weg vor einer steinernen Wand. Hier ging es nicht weiter. Hatora legte abermals ihre Hände auf den Stein und wie durch Wunderhand schob sich die Wand zur Seite und machte den Weg in die Kellergewölbe der Kristallstadt frei. Als alle eingetreten waren, verschloss Hatora den Eingang wieder. Mit dem Gefühl den Schutz der Kristallstadt für sich zu haben, strebten alle erleichtert in die obere Ebene. Voll unter Waffen stehende Lichtkrieger kreuzten ihren Weg nach oben. Hektisch wurden Schwerter, Pfeile und Bögen, Lanzen und Messer aus der Waffenkammer ausgegeben. Die Lichtkrieger, die sie begleitet hatten, verliessen sie und verteilten sich auf ihre Einheiten. Hatora, Alturin, Bengolf und Mikkel betraten den grossen Balkon in Hatoras Gemächern und blickten auf die gewaltige Zahl der Feinde.
Der Hauptmann der Lichtkrieger betrat den Balkon und erstattete Hatora Bericht. Ihre Verteidigung stand. Alle Posten waren besetzt. "Halte das Tor im Blick Hauptmann und schicke zusätzliche Bogenschützen auf die Wehrtürme," ordnete Hatora an. Der Hauptmann nickte und verliess geschwind den Balkon.
Alturin blickte herunter auf die Feinde. In vorderster Reihe sah er ihn. Ihren Anführer Artron. Ein Kämpfer von hünenhafter Grösse, kampferprobt mit dem Schwert und der Lanze. Der Ruf von ungeheuerer Kraft eilte ihm voraus. Es hiess, dass er einmal einen Stier mit blossen Händen besiegt und getötet hatte. Er war der Kopf der Schlange der Askaden und Hatora war sich sicher, dass in Wahrheit Rincobal hinter seinem Aufmarsch steckte. Bengolf hatte den Balkon kurz verlassen und kam nun mit seinem Bogen zurück und gab Alturin sein Schwert in die Hand. Mikkel staunte über das wunderschön gearbeitete Silberschwert. Es war einst ein Geschenk Hatoras an ihn gewesen und Alturin hatte insgeheim gehofft, es nicht mehr aus der Waffenkammer holen zu müssen.
Dann hob Artron sein Schwert in die Höhe. Aus mehreren Hörnern ertönte ohrenbetörender Lärm. Lautes Kriegsgeschrei der Askaden erfüllte die Luft. Die feindlichen Truppen rückten vor.
Die Schlacht begann.....