Die Prophezeiung
"Ushadran?, fragte Hatora überrascht nach, ich glaubte ihn verloren." Shenzir hatte seiner Herrin nach ihrer Rückkehr sogleich von seinem Erlebnis in der Kristallkammer berichtet. Er hatte ihr beschrieben, wie sich die beiden Kristallhälften vereinigt hatten.
Alturin sah Hatora aufmerksam an. Er spürte, dass dies etwas zu bedeuten hatte, dass von grösserer Tragweite sein musste. Hatora schickte Shenzir, ihr den Kristall zu holen. Kurz darauf kehrte er mit dem in ein Tuch eingeschlagenen Kristall zurück und gab ihn Hatora. Sie nahm den Kristall in ihre Hand und schlug das Tuch zurück. Er war wunderschön! Sie hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Er war wie aus einem Guss und kein Riss oder eine Stelle der Verschmelzung war zu sehen."Ushadran," flüsterte Hatora. Doch der Kristall zeigte keinerlei Reaktion. Er "sprach" nicht mit ihr.
"Lasse nach Mahala schicken, Shenzir. Sie soll sich sofort hierher zu mir begeben," wies sie ihn an.
"Ja Herrin," antwortete Shenzir und machte sich sogleich auf den Weg. Bald darauf erschien Mahala in der Tür und bat um Einlass.
"Komme zu uns Mahala. Wie geht es Mikkels Eltern?", fragte sie nach.
"Oh, sie sind noch sehr schwach Herrin. Mikkel will nicht von ihrer Seite weichen und lässt Euch grüssen, antwortete Mahala. Doch die Heilkräuter und das heilende Wasser des Brunnens zeigen erste Wirkung. Mikkels Mutter ist heute früh kurz aufgewacht und hat ein paar Worte gesprochen, dann schlief sie aber sofort wieder ein."
"Es wird noch dauern, bis sie wieder ganz sie selbst sind, aber ich bin guter Dinge, sagte Hatora. Sage mir Mahala, was hast Du gespürt, als die Kristallhälften sich vereinigten und dann um Deinen Hals hingen?"
Mahala überlegte einen kurzen Moment. "Ich habe mich ein wenig schuldig gefühlt, weil ich in der Kristallkammer so eine Verwirrung geschaffen habe."
"Das meine ich nicht, Mahala. Was hast Du gefühlt?", fragte Hatora nach.
Nach einem kurzen Moment des Überlegens sprach Mahala weiter. "Es war ein sonderbares Gefühl, Herrin. Ich glaubte mich an eine besondere Energie angeschlossen. Eine Energie die sehr stark ist und führt. Aber....
"Ja.?"
"Mir schien es, als ob sie sehr weise wäre und alles wüsste und auf jede Frage eine Antwort hätte."
Hatora nickte nur wissend. Sie hielt Mahala den Kristall entgegen. "Nimm' ihn und lege ihn an Mahala."
Zögernd streckte Mahala ihre Hand nach dem Kristall aus. Dann nahm sie ihn von Hatoras Hand und führte die Kette über ihren Kopf. Als Ushadran ihre Haut berührte, begann er zu leuchten. Mahala und Alturin bestaunten überrascht das Geschehen. Nur Hatora schien unbeeindruckt.
"Halte ihn in Ehren Mahala. Er wird Dir von grossem Nutzen sein, wenn Du ihn zum Wohle der Menschen einsetzt. Er wird Dich von jetzt an begleiten, bis an Dein Ende. Er gehört Dir. Komme morgen um die Mittagszeit zu mir, damit ich Dir alles über ihn erklären kann. Ich danke Dir Mahala. Gehe nun wieder zu Mikkel und seinen Eltern zurück. Er kann Deine Nähe im Moment ganz besonders gut gebrauchen."
"Ja, das mache ich Herrin," antwortete Mahala und verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung.
Alturin sah Hatora an. Sie machte einen sehr nachdenklichen Eindruck auf ihn.
"Lasst Ihr mich an Euren Gedanken teilhaben, Hatora?", fragte er sie.
Hatora schaute ihn an. "Nun, begann sie nach einer kurzen Weile, es stehen grosse Veränderungen an, lieber Alturin. In der Prophezeiung wurde es vorausgesagt und bald wird es so eintreffen. Die Kristallstadt wird auf eine harte Probe gestellt werden und meine Zeit hier neigt sich dem Ende."
"Aber Herrin, davon stand nichts in der Prophezeiung so weit ich weiss," warf Alturin bestürzt ein.
"In dem Teil den Du kennst stand nichts davon, dass ist richtig. Allerdings ist die Prophezeiung noch umfangreicher und es gibt nur einen Menschen, der sie zur Gänze kennt und dieser Mensch bin ich."
Erstaunt blickte Alturin Hatora an.
"Teile der Prophezeiung sind nun schon eingetroffen. Mikkel ist erschienen. Er wird eine tragende Rolle spielen in der nächsten Zeit. Mahala ist auf den Plan getreten. Bei ihr fehlt mir nur noch eine Kleinigkeit zur Gewissheit. Sie könnte die neue Königin der Kristallstadt werden, wenn ich es richtig deute. Ein grosser Kriegszug steht bevor,..... so gross, wie ihn noch keiner erlebt hat. Sein Ende hängt von einigen Wenigen ab. Das Ende des Krieges wird auch mein Ende hier sein. Ich werde in die friedlichen Lande eingehen und meiner Seele Ruhe geben. Die Lichter der alten Knorreiche werden erlöschen. Sie werden entweder in neuem Glanz erstrahlen oder für immer dunkel bleiben."
"Doch über Eines bin ich froh, lieber treuer Freund. Ich weiss, dass wir uns einmal wieder begegnen werden und dies ist ein ermutigender Gedanke."
"Aber Herrin, warf Alturin ein, seid Ihr ganz sicher, dass es so eintreffen wird, ich meine......"
Hatora hob ihre Hand und unterbrach ihn. Sie wusste, dass er durch ihren Fortgang sehr leiden würde. Sie wusste, dass er sie liebte - auf seine Weise - und sie wusste auch, dass er dies niemals zum Ausdruck bringen würde - jedenfalls nicht in diesem Leben.
"Bei all' den Dingen, die passieren werden kannst Du darauf vertrauen, dass wir uns wiedersehen werden, Alturin. Auf den Verlauf hier haben wir nun weniger Einfluss. Es wird in anderen Händen liegen, wie die Dinge sich entwickeln. Achte auf Mikkel und stehe ihm zur Seite. Seine Eltern werden noch eine Weile brauchen, bis sie wieder bei Kräften sind und Herr ihrer Sinne. Es war ein starker Zauber. Sobald sie wieder ganz genesen sind, wird der Kampf bald entbrennen. Wir sollten gut vorbereitet sein und die Zeit gut nutzen. Sollte es schlecht ausgehen, müssen wir die Kristalle retten. Wenn sie Rincobal und seinen Schergen in die Hände fallen würden....nicht auszudenken!"
"Ich frage mich, wo Bengolf steckt, sagte Alturin, er würde uns eine grosse Hilfe bei den Vorbereitungen sein und bei einer Schlacht...... ich wäre froh, ihn an meiner Seite zu haben."
"Er wird bald hier sein Alturin, ich spüre es und ich glaube, dass er uns keine guten Nachrichten mitbringen wird. Ich träumte von harathischen Kriegsschiffen - aber warten wir es ab. Ich bitte Dich, unsere Nachbarn und Verbündeten aufzusuchen Alturin und die Kunde zu überbringen, dass wir auf einen grossen Krieg zusteuern. Wir können jede Hilfe brauchen."
"Gewiss Hatora, ich mache mich sogleich auf den Weg." Er verabschiedete sich von ihr, packte seine Sachen zusammen und kurze Zeit darauf ritt er durch das grosse Tor in die Ebene vor der Kristallstadt.
Am nächsten Morgen war Hatora früh auf den Beinen. Es gab nun viel zu tun und zur Mittagsstunde erwartete sie Mahala. Sie war sich nun recht sicher, dass sie ihre Nachfolgerin würde, es fehlte nur noch die besagte "Kleinigkeit"......
Als Mahala dann zum vereinbarten Zeitpunkt ihre Räume betrat, nahm Hatora die Veränderung sofort an ihr wahr. Innerlich war sie um Jahrzehnte gereift. Der Kristall leuchtete kaum wahrnehmbar unter ihrem Kleid hervor.
"Setze Dich zu mir Mahala und berichte, wie es Mikkel und seinen Eltern heute geht."
Mahala erzählte Hatora, dass nun auch Mikkels Vater kurze lichte Momente hatte und dass seine Mutter abermals aufgewacht ist und Mikkel erkannt hat. "Mikkel ist sehr glücklich und ich soll Euch seine Grüße und seinen Dank ausrichten, dass ihr dies alles für ihn und seine Eltern getan habt, Herrin."
"Dass ist sehr gern geschehen, richte es ihm bitte aus, wenn Du nachher wieder bei ihm bist. Und nun werde ich Dich in die Geheimnisse von Ushadran einweihen, Mahala und zum Abschluss vollziehen wir ein Ritual, welches Dich noch stärker mit ihm verbinden wird."
So sassen sie bis zur Abendstunde in Hatoras Gemächern und Mahala saugte das Wissen über Ushadran förmlich in sich auf. Sie war völlig still, hörte aufmerksam zu und hatte keine Fragen. Mahalas Verhalten erinnerte sie an die ersten Tage mit Mikkel. Auch er war ein sehr aufmerksamer Zuhörer gewesen. Dann bat Hatora Mahala aufzustehen und ihr gegenüber zu treten. Aus einer kleinen Schatulle holte sie einen kleinen Kristall hervor, den sie Mahala in die linke Hand gab.
"Nun konzentriere Dich auf Ushadran Mahala, schliesse Deine Augen und bleibe genau so stehen, bis wir fetrtig sind." Mahala nickte. Das Leuchten des Kristalles wurde immer intensiver, je mehr Mahala mit ihm Kontakt aufnahm. Hatora wies Mahala nun an, den Kristall in ihrer Hand an ihre Brust zu führen und dort zu belassen. Als ihre Hand mit dem kleinen Kristall darin auf Ushadran lag, veränderte sich seine Farbe und durchlief alle Farben des Regenbogens, um schlussendlich in einem wunderschönen silbernen Farbton zu erstrahlen. Plötzlich würde der gesamte Körper Mahalas von diesem Strahlen erfüllt und sie sah aus wie ein Engel. Hatora betrachtete sie zufrieden und wartete, bis das Leuchten wieder zu normaler Stärke abgenommen hatte. Ein leichtes Zittern durchlief den Körper von Mahala und sie öffnete ihre Augen. Lächelnd sah sie Hatora an.
"Es war wunderschön Herrin," sagte Mahala strahlend.
"Ja, das war es, Mahala." Hatora nahm ihre beiden Hände und sah Mahala an. "Ich habe eine Frage an Dich Mahala und ich bitte Dich um eine ehrliche Antwort. Ich frage dies nicht aus Neugier, sondern nur deshalb, weil es für Deinen.....Eueren weiteren Weg sehr wichtig ist. Auch für mich selber ist es sehr wichtig, um sicher sein zu können, dass eine alte Prophezeiung zutrifft."
"Habt ihr euch schon vereinigt, Du und Mikkel?"
Mahala war überrascht von der Frage. Sie war etwas verlegen, doch hielt sie dem Blick von Mahala stand.
Dann sagte sie: "Ja Herrin, das haben wir. Es geschah in Mikkels Elternhaus, als wir dort genächtigt haben. Vielleicht war es nicht recht, doch....."
Hatora hob ihre Hand und unterbrach Mahala. "Es ist alles gut, Mahala. Es ist nichts Unrechtes geschehen. Darf ich Deinen Bauch berühren?"
Mahala nickte etwas verunsichert und Hatora legte behutsam ihre Hand auf Mahalas Bauch. Sie schloss ihre Augen und fühlte. Und sie fand....
Sie fand die "Kleinigkeit" welche ihr zur Sicherheit der Prophezeiung noch fehlte.....
Mahala war in freudiger Erwartung.....
Hatora öffnete die Augen, trat einen Schritt zurück und verbeugte sich leicht vor Mahala, die augenblicklich wusste, was Hatora gerade erfahren hatte.
Dann nahmen sich die beiden Frauen in die Arme....