Der Ruf der Trommeln
Rincobal war zufrieden. Sein Plan schien aufzugehen. Seine Macht war sehr gewachsen. Viele hatte er zusammengerufen und nun nahte der Tag, sie alle auf ihn einzuschwören. Abordnungen der einzelnen Völker hatten sich versammelt und erfüllten den Sternenwald. Zwischen den Erdlöchern der Gnomm hatten sie ihre Zelte aufgeschlagen. Viele von Ihnen waren im Wald unterwegs und sahen sich um und alle Blicke blieben an einem Wesen hängen, dass einigen Männern einen kalten Schauer über den Rücken laufen liess.
Grandalk....
Auf einer kleinen Lichtung sass der Fürst der Unterwelt vor einem übergrossen Lagerfeuer und starrte geistesabwesend in die Flammen. Respektvoll hielten alle Abstand von ihm, doch Rincobal hatte ihn fest unter seiner Kontrolle. Sein eigener Wille war ausgeschaltet und er gehorchte nur einem Mann: Rincobal, seinem neuen Herrn und Meister.
Die Abordnung der Harathen interessierte sich sehr für ihn. Sie sprachen angeregt darüber, wie man dieses übermächtige Wesen wohl am besten bezwingen könnte. Je länger sie ihn beobachteten, desto mehr verloren sie ihre Angst und Scheu und wagten sich immer näher an ihn heran. Einer von ihnen nahm schliesslich einen kleinen Stein auf, um ihn auf den Riesen zu werfen. Er holte aus...
Grandalk hob nur seinen Kopf und sah ihn an. Langsam liess der Krieger den Arm mit dem Stein sinken und entfernte sich langsam. Die anderen taten es ihm gleich. Sie waren mutig, aber nicht verrückt. Grandalk liess seinen Kopf wieder sinken und stocherte mit einem mannsdicken Baumstamm im Feuer herum. Bald würde sein Herr ihn rufen.....
Je mehr die Dunkelheit Besitz vom Wald ergriff, desto lauter wurde es rings um die Lagerfeuer vor den Zelten. Der Gerstensaft zeigte erste Wirkung. Die Stimmung unter den Männern lockerte zusehends auf. Schallendes Gelächter war zu hören und an einem Lagerfeuer brandete plötzlich lautes Geschrei auf. Zwei der Männer am Feuer hatten Streit bekommen und gingen aufeinander los. Blitzschnell zogen sie ihre Waffen und schlugen aufeinander ein. Plötzlich zuckte ein gleissend heller Blitz durch die Nacht und traf die beiden Männer. Wie zur Salzssäule erstarrt hielten sie in ihrer Bewegung inne. Rincobal war auf den Plan getreten und hatte dem Kampf mit seinem Zauber ein schnelles Ende gemacht. Er holte die beiden Männer ins Leben zurück.
"Ihr Narren!, schrie er sie an. Wir haben uns hier versammelt, um uns zu vereinen. Und was macht ihr? Ihr entzweit uns und wollt euch gegenseitig den Schädel einschlagen. Schluss damit! Legt euch nieder und schlaft euren Rausch aus. Morgen früh beginnt die Zeremonie." Noch etwas benommen zogen sich die Männer respektvoll in ihre Zelte zurück. Rincobal duldete keinen Widerspruch. Kurze Zeit später herrschte nächtliche Ruhe im Wald. Nur Grandalk schlief nicht.
Er schlief nie...
Rincobal zog sich in sein Haus zurück. Er sass in seinem Sessel und hatte die Augen geschlossen. Eine Traumvision erreichte seinen Geist. Im dichten Nebel durchschritt er den Sternenwald. Schemenhaft waren am Wegesrand Gestalten zu erkennen. Es waren seine Eltern! Sein Vater Ragodon stand aufrecht mit seinem Zauberstab in der Hand leuchtend vor einem Sternenbaum. Daneben...seine Mutter Filine. Blass war sie. Er hatte sie nie kennen gelernt. Sie war bei seiner Geburt gestorben und er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Nur ihr schönes lockiges blondes Haar war zu erkennen. Danach schritt er an seinen Grosseltern vorbei. Ein mahnender Blick des grauhaarigen alten Mannes traf ihn. Rincobal sah weg und schritt weiter voran. Er schritt seine Ahnenreihe ab...ein langer Weg an dessen Ende eine Weggabelung war. Ein Weg war hell und einer dunkel. Auf dem hellen Weg waren Spuren zu sehen. Die Spuren, die seine Ahnen hinterlassen hatten. Plötzlich wurde er zurückgezogen und stand abermals vor einer Weggabelung. Es war sein Weg, dies wusste er.
Sein Vater stand vor ihm. "Mein Sohn. Kehre um ins Licht. Du bist auf dem falschen Weg!"
"Ich bin der letzte unserer Reihe, antwortete Rincobal. Was hat uns Dein Weg beschert? Deine Frau - meine Mutter - sie hat Dich früh verlassen. Ich habe sie nicht einmal gekannt. Sie liess Dich einsam zurück. Meine Frau und mein Kind......sind tot. Mein Kind habe ich nicht einmal gekannt. Mein kleines Glück war viel zu kurz. Sie liessen mich einsam zurück. Das Licht hat mir kein Glück gebracht, Vater."
Er wandte sich ab und wachte auf. Die Morgendämmerung zog herauf....
Die Männer waren alle auf den Beinen. Rincobal hatte angeordnet, sie kurz vor dem Morgengrauen allesamt zu wecken. Eine überdimensionale grosse Trommel stand auf einer Lichtung. Davor.... ein überdimensionaler Trommler.
Grandalk.
Die Abordnungen der einzelnen Volksstämme waren mit ihren Fahnenträgern vorne weg allesamt angetreten. In Reih und Glied standen sie auf der Lichtung und sahen Rincobal entgegen, der hoheitsvoll die Lichtung betrat. Er baute sich vor ihnen auf.
"Krieger der neuen Zeit, heute ist der Tag, an den wir uns alle vereinen, um dem heuchlerischen Getue der Kristallstädter ein Ende zu machen. Wir werden die Stadt niedermachen und uns ihre mächtigen Waffen greifen, um gemeinsam zu herrschen." Jubel und Geschrei brandete auf. Die Männer reckten ihre Waffen in die Höhe.
Rincobal sah zu Grandalk herüber, der augenblicklich damit begann, die Trommel zu schlagen. Donnernd trafen die Trommelstöcke auf den dreifach bespannten Körper der Trommel. Der Rhytmus erfasste die Männer, die sich bald darauf zum Klang der Trommel hin und her wiegten. Wie in Trance schwangen sie sich ein auf ihren monotonen Klang. Ihre Blicke waren ausdruckslos. Grandalk hatte sie eingefangen. Dann erhob er zu einem letzten Schlag die Trommelstöcke und liess sie mit dem letzten Ton auf der Trommel liegen. Der Rhytmus erstarb. Die Männer kamen zu sich. Gefüllte Becher wurden ausgeteilt und herumgereicht. Jeder der Männer bekam einen. Auch Rincobal.
Vor den Männern stehend erhob er seinen Becher. "Mit diesem Trank ist unser Verbund unauslöschlich besiegelt. Tod! Tod der Kristallstadt!"
"Tod der Kristallstadt!", brüllten die Krieger wie von Sinnen.
Dann führte Rincobal den Becher zum Mund und alle taten es ihm gleich. Wie Rincobal leerten sie ihren Becher in einem Zug. Ein Feuer leuchtete in ihren Augen. Alle hatten sie getrunken. Alle....ausser Grandalk. In seinen Augen brannte schon genug Feuer.
Rincobal wandte sich erneut an die Krieger: "Einen Tag, bevor der Neumond das zweite Mal am Himmel erscheint, treffen wir uns am verabredeten Platz. In der Ebene von Julgat. Sie bietet all unseren Heerscharen genug Platz. Doch merkt euch - lasst alles unversehrt auf eurem Weg dorthin. Jeder der mordet oder brandschatzt in den Dörfern, bekommt meinen Zorn zu spüren. Spart euch die Kräfte für die Schlacht auf. Nun packt eure Habseeligkeiten und geht zurück in eure Heimat. Bereitet alles gut vor. Bereitet euch selbst gut vor. Und seid zeitig dort in Julgat. Und nun geht." Er hob seine Arme in die Höhe. "Schärft eure Waffen. Schärft euren Körper und schärft euren Geist!"
Lautes Gejohle und Gebrüll erhob sich. Dann brachen die Krieger auf. Bald würde es beginnen. Der Tag stand nun fest.....