Es beginnt.....
Mahala war die Erste, die es spürte. Sie waren auf dem Weg zur Kristallstadt! Hatora bemerkte den Stich, den es Mahala ins Herz gab und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
"Es geht los, nicht wahr?", fragte sie besorgt.
Mahala nickte nur und hielt ihre Hand auf ihren Bauch, der bald zu platzen schien. Trotz der aufopfernden Hilfe Hatoras waren ihr die letzten Tage sehr schwer gefallen. Ihr Kind schien ein unglaubliches Gewicht zu haben. Hatora hatte ihr gesagt, dass es wohl recht viel "mitbringen" würde. Nur ein schwacher Trost im Moment. Breitbeinigen Schrittes ging Mahala zum Balkon und schaute hinaus in die Ferne.
"Sie sind bei der Eiche, sagte sie, ich kann sie sehen." Inständig hoffte sie dass ihr Dorf dass in der Nähe lag, von ihnen verschont blieb. Sie spürte die grosse Erregung der alten Knorreiche und in Gedanken sendete sie ihr Kraft. Auch spürte sie ihren mächtigen Stamm und das heftige Zittern ihrer Zweige. Tausende von Blättern flogen durch die Luft. Schlimmes fand dort statt und ihre Lichter flackerten....
Hatora liess nach Shenzir schicken und beauftragte ihn damit, für ein kräftiges Mahl für alle Menschen in der Kristallstadt zu sorgen, denn bald würde die Schlacht beginnen. Shenzir berichtete ihr, dass die ersten Späher zurück kämen. Sie berichteten davon, dass aus allen Richtungen feindliche Truppen auf die Kristallstadt zu marschierten. Es müssten Zehntausende sein. Unzählige Karren und Kriegsgerät wurden gesichtet und einer berichtete gar von einem gehörnten, feurig lodernden Unhold, der die Menschen an Grösse um ein Vielfaches überragen würde. Nie zuvor hatte je ein Mensch ein solches Ungetüm zu Gesicht bekommen.
Hatora befahl alle Krieger, Pferde und alles Material vor den Toren in die Stadt zu bringen. Letzte Vorbereitungen wurden getroffen und heftiges Treiben erfüllte die Stadt. Überall auf den Mauern waren die Wachposten nochmals verstärkt worden. Berge von Pfeilen lagen bereit und es roch nach gekochtem Pech. Hunderte von Feuern brannten und als die Dämmerung das Ende des Tages einläutete, erleuchteten sie zusätzlich die Stadt und tauchten sie in ein warmes Licht.
Ein hölzerner Verschlag stand oben auf der Verteidigungsmauer. Er hatte eine Öffnung nach vorne heraus, die durch eine Klappe verschlossen war. Mikkel trat aus dem nach hinten offenen Verschlag heraus. Er hatte sein selbst ersonnenes Pfeilgerüst noch einmal inspiziert. Er riesiger grosser Bogen war dort befestigt und an der Wand lehnte ein dicker, langer Pfeil. Mit einer besonderen Spitze versehen, war er für einen besonderen Angreifer gedacht.....
Mikkel blieb in dieser Nacht bei Mahala. Alturin, sein Freund Bengolf und Belgomir hatten beschlossen, die Nacht gemeinsam im Zelt auf der Verteidigungsmauer der Stadt zu verbringen. Nach kurzem Schlaf sassen die drei Männer beisammen und erzählten sich Geschichten aus ihrem Leben. Die Dämmerung war noch nicht heraufgezogen, als ein Wachposten rief: "Da, Lichtschein hinter den Wäldern!"
Alturin, Bengolf und Belgomir sprangen auf und eilten aus dem Zelt heraus. Die Wache zeigte in Richtung des Waldes und tatsächlich war dort Lichtschein zu sehen, der immer stärker wurde. Langsam und lautlos walzte sich der gefährliche Feuerwurm in Richtung Kristallstadt. Es mussten Tausende sein! Gebannt starrten alle auf der Mauer in Richtung der immer stärker leuchtenden Fackeln der herannahenden Feinde.
"Trommeln! Ich höre Trommelschlagen!", rief plötzlich ein Wachposten von der anderen Seite der Mauer.
Die Männer liefen in Richtung des Wachpostens und geboten Ruhe zu halten. Belgomir legte die Hände hinter seine Ohren. Ja wahrhaftig, der Takt der Trommeln war nun zu hören. Bumm. Bumm. Bumm. Bumm, Bumm, Bumm. Das musste Rincobal sein. Mit seinen Kriegern war er durch die Ebene von Julgat gezogen und bald schon würden sie den Hügel vor der Stadt erreichen.
Gebannt starrte Alturin in Richtung der Trommelgeräusche. Nun war auch dort Fackelschein zu sehen. Eine Hand auf seiner Schulter liess ihn zurückfahren. Mikkel stand in seiner prächtigen Rüstung vor ihm. Dahinter erblickte er Hatora in glitzerndem Kristall. Ihre Rüstung überstrahlte alle.
"Mikkel! Wie geht es Mahala?"
"Sie ist kurz vor der Niederkunft, Alturin. Die besten Heilkundigen sind bei ihr und kümmern sich um sie. In den nächsten Stunden wird sie unser Kind gebähren. Meine Eltern werden an meiner Statt bei der Geburt dabei sein, denn ich muss heute kämpfen."
"Hoffen wir, dass alles gut für uns ausgeht," sagte Alturin und legte Mikkel seine Hand auf die Schulter. Sein Blick ging zu Hatora herüber. "Euer Strahlen hat heute einen besonderen Klang, Herrin." Sie lächelte Alturin an.
"Selbst wenn der Feind schon an die Tür klopft, hast Du immer noch ein Kompliment für mich, mein lieber Freund." Wie werde ich es vermissen, dachte sie bei sich. "Doch nun habe ich noch etwas zu tun." Mit diesen Worten begab sich Hatora auf eine Erhöhung der Wehrmauer über dem grossen Tor. Sie legte ein Halsband mit einem Kristall um ihren Hals, drehte sich zur Stadt herum, zog ihr Schwert und erhob ihre Stimme:
"Ihr Lichtkrieger! Ihr Bewohner der Kristallstadt!
Durch den Kristall an ihrem Hals wurde ihre Stimme derart verstärkt, dass augenblicklich alle verstummten um der Herrin der Kristallstadt ihr Gehör zu schenken. Es war plötzlich ganz still in der Stadt. Nur das dumpfe Schlagen der feindlichen Trommeln war noch zu hören. Dann erhob Hatora ihre Arme und ihr Lichtschwert ragte hell in den Himmel:
"Heute ist der Tag, auf den wir alle gewartet haben. Wir wollten ihn nicht, aber trotz alledem, nun ist er da und wir müssen ihm begegnen. Mit all Eurem Mut und mit ganzem Herzen, mit dem Leib und mit Eurer Seele seid bei der Sache, ihr mutigen Mannen!
Kämpfet nun für Eure Lieben! Kämpfet für das Licht und die Liebe! Auch wenn es noch so hart wird, kämpfet mit aller Kraft! Und auch wenn es denn aussichtslos erscheinen mag,.......kämpfet!" Dabei riss sie ihr Schwert in die Höhe.
"Denn es lohnt sich für Euch alle sehr! In den Mauern der Kristallstadt ist etwas Wunderbares herangereift, dass den bisherigen Glanz der Kristallstadt noch überstrahlen wird! Jeder Mühe ist es wert, darum zu kämpfen! Und darum sage ich........
Haltet Staaaaand!!
Hatora liess ihre Arme sinken und lautes Gejohle hallte ihr aus der Stadt heraus entgegen. Die Menschen rissen ihre Arme hoch und jubelten ihrer Herrin zu. Schwerter und Lanzen wurden in die Höhe gereckt und zeigten gen Himmel. Hatora verliess ihren Platz und kehrte zu den Männern zurück, die ihr bewundernd zunickten. Die Morgendämmerung zeigte sich.
Das Trommeln war nun sehr laut geworden und man erwartete bald die ersten feindlichen Krieger auf dem Hügel erkennen zu können. Der lange Fackelwurm hatte sich weiter auf die Stadt zubewegt und erste Gestalten waren in der Ferne mit den Fackeln in ihren Händen zu erkennen. Im Fackelschein blitzten ihre zahlreichen Waffen. Hatora legte mit Hilfe der Kristalle einen zusätzlichen Schutz um die Stadt und wandte sich an Alturin, Bengolf, Mikkel und Belgomir.
"Ich gebe nun die Befehlsgewalt an vier weise und mutige Männer. Mögen Mut, Weisheit, Kraft und Stärke mit Euch sein und nun seid gesegnet mit dem Lichte der Kristallstadt." Dabei hielt sie ihre Hand mit einem leuchtenden Kristall am Finger einzeln auf jeden der Männer. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtschein hüllte sie für einen kurzen Moment ein und erlosch danach.
"Und nun, gehen wir und erfüllen unser Schicksal............"
Bald darauf erreichten die ersten Krieger des Fackelwurms den Vorplatz der Stadt und nahmen Aufstellung. Mikkel schätzte ihre Zahl auf über Fünftausend Männer. Mit lautem Trommelklang wurde es über dem Hügel am Wald plötzlich sehr hell. Ein kräftiges Leuchten zeigte sich, gefolgt von einem gehörnten Ungetüm, dessen gesamter Oberkörper in Flammen zu stehen schien. Erschrocken zuckten einige der Männer auf der Wehrmauer zusammen. Als der Unhold auf der Anhöhe zur Gänze sichtbar war, erhob er seine Arme in die Höhe und stiess ein Gebrüll aus, dass die meisten der Männer erzittern liess. Angsterfüllt blickten sie in seine Richtung. Wie sollte man solch einem Ungetüm begegnen?
Mikkel begab sich schnell zu dem Verschlag, den er aufgestellt hatte. Die Ebene vor der Stadt war inzwischen erfüllt von den feindlichen Truppen. Mehrere Heere hatten sich aufgestellt und warteten auf ihren Anführer. Der Unhold bewegte sich weiter auf das Stadttor zu und Mikkel klappte die Abdeckung des Verschlages hoch. Er setzte den Kristall auf die Pfeilspitze, den Hatora ihm gegeben hatte. Zwei Männer halfen ihm, die Sehne des grossen Bogens zu spannen, als er den Pfeil eingelegt hatte. Dann richtete Mikkel den Bogen aus und zielte auf das flammende Ungetüm. An der Spitze der feindlichen Truppen hatte er Halt gemacht.
Mikkel hatte beim Zielen das Gefühl, dass er ihn direkt mit seinen funkelnden Augen anblicken würde. Er fühlte Rincobal in ihm. Er wollte ihn beeinflussen und versuchte die Gedanken in Mikkels Kopf zu verwirren.
"Schliesse Deine Augen, Mikkel und vertraue auf Dein Herz," hörte er Hatoras Stimme in seinem Kopf. Mikkel tat, wie ihm geheissen und schloss seine Augen. Dann legte er seine Hand auf die Verriegelung des grossen Bogens, um den Pfeil in sein Ziel zu entlassen. Einen kurzen Moment noch ging er ganz in sich. Dann zog er an dem Hebel. Mit dem klickenden Geräusch öffnete Mikkel seine Augen und sah dem riesigen Pfeil nach, der sirrend die Ebene durchquerte und vor der Kristallstadt sein Ziel suchte.....