Niederkünfte
Gebannt starrten alle auf die Szene, die sich ihnen bot. Mikkel schien völlig ruhig zu sein. Nicht ein Hauch von Angst war bei ihm zu spüren. Das Schwert in Rincobals Händen schwebte hoch über seinem Kopf. Kein Wort verliess seine Lippen. Bengolf und Belgomir zuckten hin und her und versuchten sich aus der Gefangenschaft von Rincobals Zauber zu befreien. Doch er war zu stark und hielt sie am Boden.
Eine seltsame Stille erfüllte den Platz vor dem zerstörten Stadttor. Alle schienen den Atem anzuhalten und auf das scheinbar Unausweichliche zu warten. Verzweifelt kämpften Bengolf und Belgomir weiter gegen den Zauber an. Ein solches Ende? Nein, das durfte einfach nicht sein! Das war Mikkel's nicht würdig. Wenn er im Kampfe gefallen wäre - ein ehrenvolles Ende - aber so?
Rincobal war hoch konzentriert. Belgomir bemerkte, wie der Druck etwas nachliess. Er schaffte es, seinen Kopf etwas höher zu heben. Dann sah er, wie Rincobal tief einatmete, sich auf seine Fussballen erhob und das Schwert noch etwas nach oben hob. "Neeeeiiiiinn", schrie es innerlich in ihm. Doch Rincobals Schwert sauste nach unten. Der Weg des Schwertes kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Rincobal hatte das Schwert fest mit beiden Händen gepackt, stand nun fest mit beiden Füssen auf dem Boden und führte sein Schwert in Richtung des Nackens des jungen, blonden Lichtkriegers.
"Haltet ein, Rincobal! Haltet ein!" Die Frauenstimme erfüllte die Stille der spannungsgeladenen Szene. Alle Köpfe fuhren herum zu ihr. Kurz vor Mikkels Nacken brachte Rincobal sein Schwert überrascht zum Stehen und blickte auf.
Mahala trat zwischen den Männern hervor! Gestützt von zwei Heilkundigen kam sie breitbeinigen Schrittes auf den Zauberer zu. Ihre rechte Hand hatte sie hoch erhoben und ihre linke Hand lag auf ihrem prall gespannten Bauch. Sie hatte Schmerzen und ihre Wehen hatten bereits eingesetzt. Trotzdem bewegte sie sich energisch weiter auf Rincobal zu. Rincobal traute seinen Augen nicht.
"Weib, was willst Du hier?, schrie Rincobal sie an. Willst Du den Kopf Deines störrischen Mannes einsammeln?" Er war wütend über die Unterbrechung und hob das Schwert erneut an. "Ja, schau nur zu, rief er. So wird es allen ergehen, die sich meinem Willen nicht beugen wollen." Seine hart gewordenen Gesichtszüge spannten sich und mit verzerrtem Ausdruck wollte er erneut zuschlagen.
"Aaaaahh!" Der spitze Schmerzschrei Mahalas liess ihn innehalten. Vornüber gebeugt war Mahala fast zusammengebrochen. Er sah zu ihr herüber. Wasser war ihr die Beine herunter gelaufen. Ihre Fruchtblase war geplatzt!
Das Kind kam! Mahala hob ihren Kopf und sah Rincobal an. Dieser Blick! Dieser hilflose, flehende Blick! Die beiden Heilkundigen hielten Decken um Mahalas Körper herum, um sie vor den Blicken zu schützen. Zwei Lichtkrieger eilten bestürzt heran um sie zu stützen.
Rincobal musste schlucken. Dieser Blick! Er erinnerte ihn an etwas, das ihm einmal selbst geschehen war. Seine Frau! Er hatte ihr nicht helfen können damals. Daran war er zerbrochen. Sie war bei der Geburt gestorben, trotz all seiner Versuche, ihr zu helfen und sein Kind hatte er auch nicht retten können. Bis heute hatte er dies nicht verwinden können. Die gleichen Gefühle wie damals bemächtigten sich Seiner. Die Verzweiflung, die Ohnmacht, nichts tun zu können. All die Härte wich plötzlich aus seinem Gesicht. Er liess sein Schwert ganz herab und sah wie versteinert zu Mahala herüber. Trauer erfüllte ihn. Mitleid. Regungslos stand er minutenlang so da.
Mahala war auf den Boden gebettet worden. Decken waren ihr untergelegt und die Heilkundigen standen ihr bei. Die Lichtkrieger bei ihr hatten sich umgedreht, um allzu neugierige Blicke abzuhalten. Die Presswehen hatten den Kopf des Kindes bereits hervor gebracht.
Sein Zauber war gebrochen. Mikkel hatte es als Erster bemerkt. Sogleich hatte er sich erhoben und war zu Mahala geeilt. Er hielt ihre Hand. Bengolf und Belgomir hatte ihre Schwerter an sich genommen und umringten nun gemeinsam mit den anderen beiden Lichtkriegern die Geburtsstätte.
Rincobal war in sich zusammengesunken. Tränen liefen seine Wangen herunter. Sein ganzes eigenes Trauma war mit einem Mal wieder hoch gekommen und hatte ihn machtlos gemacht. Der ganze Schmerz von damals war plötzlich wieder da und hatte Besitz von ihm ergriffen.
Dann ein Schrei! Es war der Schrei eines Neugeborenen! Er riss Rincobal aus seiner Trauer und seinem Schmerz heraus und heilte augenblicklich seine inneren Wunden. Der Schrei vermittelte ihm das Gefühl, sein eigenes Kind hätte es doch geschafft und die ganze Situation hätte ein gutes Ende gefunden. Er war sich schon darüber bewusst, dass es nicht sein eigenes Kind war, doch dieses Ereignis hier hatte seine Wunden geheilt. Er blickte auf. Tränen hatten seine Wangen glänzend gemacht und ein gütiger Blick richtete sich auf die Menschentraube vor ihm. Sein Gesicht hatte eine deutliche Wandlung vollzogen. Er warf sein Schwert zur Seite und hob seine Arme in Richtung Mahala, um sie zu segnen.
Belgomir jedoch, der Rincobal beobachtet hatte, glaubte an einen weiteren Versuch des Zauberers, sie ins Unglück zu stürzen. Wutentbrannt griff er sein Schwert, rannte auf Rincobal zu und schlug ihm mit einem Hieb den Kopf von den Schultern! Doch Rincobal blieb stehen! Aufrecht stand er da und hatte seine Arme immer noch erhoben. Sein Kopf war hinter ihm auf den Boden gefallen, doch sein Herz arbeitete noch. Blut quoll in gleichmässigen Pumpstössen aus dem Stumpf seines Halses und lief an seinen Schultern herunter.
Es war so , als wolle er mit aller Macht seinen Segen zu Ende bringen und seinen Fehler gut machen. Belgomir wollte ihm endgültig ein Ende machen und ging auf ihn los, um ihn mit einem weiteren Hieb nieder zu strecken, doch Bengolf hielt ihn zurück. Er hatte erkannt, was sich hier abspielte. Nun sah auch Belgomir den völlig veränderten Blick an dem im Staube liegenden Kopf. Keiner der Männer aus dem feindlichen Herr rührte sich und alle hatten das Gefühl, gerade aus einem Traum zu erwachen. Rincobal hatte sie alle verzaubert und sich zu Willen gemacht. Es war als hielte jemand seine schützende Hand über die Ebene, so dass kein Hass und kein Kampf entbrennen konnte.
Dann sackte der Körper Rincobals plötzlich in sich zusammen und fiel auf den Boden.
Die Nabelschnur des Kleinen Kindes war durchtrennt. Es war in Tücher gewickelt und Mikkel nahm den stattlichen Jungen auf seinen Arm. Er war überglücklich über den gesunden Jungen und darüber, dass seine Mahala alles gut überstanden hatte und zeigte seinen inzwischen hinzu gekommen Eltern stolz seinen Sohn. Dann fasste er den Kleinen unter seine Ärmchen, hielt ihn hoch in den Himmel und rief voller Stolz: "Dies ist unser Sohn und sein Name soll Hator sein!"
Jubelnd rissen die Lichtkrieger ihre Schwerter in die Höhe und stiessen Freudenschrie aus und sogar in den Reihen der Angreifer sah man lächelnde Gesichter. Ihre Reihen lösten sich langsam auf. Einige hatten sich bereits umgedreht und verliessen die Ebene vor der Stadt. Manche von ihnen waren noch sehr verwirrt und wussten nicht einmal mehr, wozu sie her gekommen waren, so stark war Rincobals Zauber gewesen.
Doch dann richtete sich der Blick aller Menschen gen Himmel. Es war plötzlich viel heller geworden über der Ebene. Etwas senkte sich langsam vom Himmel herab zu ihnen. Es sah aus wie eine Kugel aus weissem Licht. Fremd, doch es machte niemandem hier Angst. Langsam und ohne ein einziges Geräusch schwebte die Kugel sanft zu ihnen herunter, bis sie auf dem Boden aufsetzte.
In kurzer Entfernung vor der Stelle der Geburt liegend, löste sich das helle Licht langsam auf.
Und dann sahen sie sie.....