Eine Weile lang herrschte betretene Stille in dem riesigen Saal und Inor hoffte inständig, dass das Schlimmste überstanden war.
„Nun denn, da das geklärt ist …“ Der Ehrenwerte Aanh räusperte sich kurz. „Wo ist eigentlich Euer Berater, General Valkja? Bisher habe ich weder Nachricht von der Rückkehr Magistrat von Teuschs erhalten noch war Eurem Bericht etwas über seinen Verbleib zu entnehmen. Wenn ich also um Aufklärung bitten dürfte?“
Eine Frage wie ein Schwerthieb! Inor war wie vom Donner gerührt und starrte auf die schwarzbraunen Bohlen zu seinen Füßen. Eine unangenehme Kälte rann seine Arme und den Rücken hinab und er spürte eine unsichtbare Fessel auf seine Kehle drücken.
‚Wir sind geliefert‘, dachte er besorgt und schielte zu Yo.
Dieser zog leise die Luft ein und verdrehte die Augen. Der Missmut seines Ziehvaters war offenkundig noch nicht einmal ansatzweise verraucht, sodass er die Sensibilität des Themas nicht wahrnahm und den Ernst ihrer Lage verkannte. Dabei bedurfte es nur eines falschen Wortes und es war um sie beide geschehen. Yos Blick traf den seinen und dem Jüngling schwante, dass sein Freund und Meister willens war, sich auf jedwede Konfrontation einzulassen. Der Vizegeneral seufzte. Dieser Tag würde böse enden.
„Was weiß ich“, antworte der Anführer des Roten Mondes auf die ursprüngliche Frage. „Der müsste weit vor uns angekommen sein.“
Beinahe verächtlich zuckte Yo mit den Schultern, begann auf seinen Zehenspitzen zu wippen und merkte vermutlich nicht einmal, wie sich bei diesen Worten ein schelmisches Grinsen in sein Gesicht schlich. Gleichsam resigniert wie belustigt ob dieser kindlich-trotzigen und wieder einmal so typischen Reaktion seines forschen Freundes schüttelte Inor nur den Kopf und kam nicht umhin, seinerseits zu schmunzeln. Augenblicklich machte sich erneut Entrüstung unter einigen Mitgliedern breit und aufgeregtes Raunen ging durch die Empore.
„So eine Unverschämtheit!“, rief der Zweitälteste der Weisen, Freiherr Kharus, lautstark aus und stieß seinen Gehstock ein weiteres Mal geräuschvoll auf. Nach all den Sitzungen, die er diese Angewohnheit bereits erlebt hatte, musste der Boden am Sitzplatz des Freiherrn etliche Mulden aufweisen, mutmaßte Inor.
„Dürfte ich erfahren, was diese Aufregung soll?“, wandte der Ehrenwerte Aanh sich fragend doch mit drohendem Unterton in der Stimme an seinen Anführer noch ehe ein weiteres Ratsmitglied seinem Unmut Luft machen konnte. Wie etwa die Hälfte der alten Herren, die ratlos in die Runde blickten, war der Vorsprecher offenkundig noch nicht vom unrühmlichen Schicksal des Magistraten unterrichtet. „Wo ist Magistrat von Teusch, General Valkja? Und was meintet Ihr mit: Er müsste vor Euch angekommen sein? Ist er nicht bei Euch?“
Yos Augen blitzten auf, seine Aura ging von einem gedeckten Scharlach in ein kräftiges Karmin über und sein Grinsen nahm perfide Züge an. „Nein, ich habe ihn eher heimgeschickt.“
Kaum hörbar atmete Inor einmal tief aus. Manchmal fragte er sich wirklich, wann sein Freund und Meister endlich erwachsen wurde. Bisweilen kam er sich weniger wie dessen Schüler oder Stellvertreter, sondern vielmehr wie dessen Amme vor. Auf die Dauer war es wirklich anstrengend, seinem Ziehvater ständig aus Scherereien herauszuhelfen, in die er sich zumeist mit Vorsatz selbst hineinmanövriert hatte. Wie eben jetzt in diesem Moment. Denn dass seine Antwort nicht die Klügste war, so viel Gespür hatte selbst Yo.
Andererseits konnte der Junge die Reaktion seines Meisters nur allzu gut verstehen. Denn auch wenn Inor im Allgemeinen immer auf eine friedliche Einigung und Kompromisse setzte, hatte ihr intrigante Berater selbst ihn dazu veranlasst, eine gewaltsame Lösung des Problems nicht nur zu befürworten, sondern gar aktiv zu unterstützen. Den skeptischen Blick des Ratssprechers, der sich auf die unverständliche Antwort des Heerführers natürlich keinen Reim machen konnte und dem die Fragezeichen förmlich ins Gesicht geschrieben standen, beantwortete der junge Mann daher nur schulterzuckend mit Schweigen und wartete erst einmal ab, wie die Sache sich entwickelte.
Was blieb ihm auch Anderes übrig? Er konnte den Weisen ja schlecht berichten, dass sie den Magistraten in Nacht und Nebel als Paket verschnürt auf die Heimreise geschickt hatten.
„General Valkja, Vizegeneral Kívíako, ich erwarte umgehend eine…“, brummte der Ratssprecher drohend, doch plötzlich sprang Freiherr Kharus mit für sein Alter erstaunlicher Leichtigkeit auf und fiel ihm mit krächzender Stimme aufgebracht ins Wort.
„Das ist ja wohl die Höhe! Es tut mir Leid, Euch zu unterbrechen, Ehrenwerter Aanh, aber so eine bodenlose Frechheit ist mir mein Lebtag noch nicht untergekommen! Dieser, dieser … Mann … ist solch eine Ausgeburt an Ungehorsam, Impertinenz und Arroganz, dass es eine Beleidigung für Aug und Ohren ist!!!“
Treffender konnte man Yo aus Sicht des Ältestenrates wohl kaum beschreiben und die rechts sitzenden Weisen nickten allesamt zustimmend. Sein Freund und Meister jedoch grinste zufrieden bis über beide Ohren und seine Aura begann zu pulsieren. Erst schwach, dann kräftig wie ein Herzschlag. Inor schwante Böses. Denn wenn der Gehstock, den Freiherr von Kharus drohend über ihren Köpfen schwang, den Händen des Alten entgleiten und auf sie niederfallen sollte, dann wäre ein Flug von der Empore mit Sicherheit das Letzte, was sein greiser Besitzer erleben würde.
„Verehrter Freiherr Kharus, wenn Ihr bitte Haltung bewahren möget“, erklang die mahnende Stimme des Vorstehers, der beide Hände in die Hüften gestemmt hatte und seinen Ratsbruder mit einem strengen Blick bedachte.
Noch während der rot angelaufene Kahlköpfige sich räusperte und kleinlaut wieder setzte, erhob ein anderer Weiser die Stimme.
„Ehrenwerter Aanh, Ihr mögt die Erregung unseres verehrten Ratsbruders verzeihen, denn wisset, dass sie der Schandtat des Heermeisters mehr als angemessen ist“, führte nun Graf Pokinoi die Rede des Zweitältesten in ruhigerem, doch nicht minder scharfem Tonfall fort. „Nicht nur, dass er wiederholt direkte Befehle missachtet, ein gefährlicher Provokateur ist und uns nach Strich und Faden narrt und belügt, er wagte es zudem, einen der angesehensten Vertreter des Reiches der Lächerlichkeit preiszugeben und vor dem Volk, dem er dient, zu erniedrigen!“
Ein lautes Raunen ging durch die Ränge und mehrere Weise steckten verschwörerisch die Köpfe zusammen. Richter Llangmuth und der Ehrenwerte Aanh waren die Einzigen, die sich nicht daran beteiligten, und stattdessen offenbar auf eine Erklärung des Beschuldigten warteten. Sein Anführer jedoch genoss die Situation sichtlich und dachte mit Sicherheit nicht im Traum daran, sich irgendwie zu erklären oder gar zu entschuldigen. Unübersehbar zufrieden mit sich und seiner Handlung, stand Yo mit immer noch vor der Brust verschränkten Armen da und würdigte die Weisen keines Blickes. Stattdessen grinste er ihn vielsagend an und zog kurz die Augenbrauen hoch.
„Meister, ich glaube es ist besser, wenn …“, flüsterte Inor und wagte einen Vorstoß, seinen Freund von dem Konfrontationskurs abzubringen und den großen Knall, der unweigerlich bevorstand, noch ein wenig hinauszuzögern.
Die rot pulsierende Aura seines Mentors verwandelte sich in einen zuckenden Strahlenkranz und er verengte die Augen. Eine Warnung, die der Jüngling sofort verstand und die Hand von seines Anführers Arm zurückzog. Yos Stolz war massiv gekränkt und dürstete nach Genugtuung. Ohne zu bemerken, dass er damit jedweden Respekt der Weisen, den er sich noch kurz zuvor so mühsam aufgebaut hatte, binnen kürzester Zeit wieder verspielte. Und die irgendwo unter der bleichen Oberfläche noch immer brodelnden Ereignisse der letzten Nacht hatten gewiss auch ihren Anteil an der Bereitwilligkeit, mit der sein Ziehvater sich auf die Auseinandersetzung einließ. Yo hatte schließlich noch immer die Flucht nach vorn oder ins nächste Schlachtgetümmel angetreten, wenn ein ernster Konflikt zwischen ihm und Cru aufgebrochen war. Und Inor wollte verdammt sein, wenn das, wessen Augenzeuge er geworden war, kein solcher war. Mit Folgen, die sein Lehrmeister verständlicherweise weder heute noch morgen aufarbeiten wollte.
„Meine Herren, keine vorschnellen Schlüsse und nebulösen Unterstellungen, wenn ich bitten darf.“ Mit fester Stimme, die keinen Widerspruch duldete, unterband der Ehrenwerten Aanh die lauter werdenden Reden der kleinen Grüppchen im Rat und lenkte die Aufmerksamkeit aller wieder zusammen und auf sich. „Wie mir scheint, ist die Informationslage innerhalb des Rates sehr unterschiedlich. Wenn ich also um …“
„Exzellenz, wenn Ihr erlaubt?“ Äußerlich ruhig erhob Baron zu Feuerborn und Liebstein sich und erbot sich, die übrigen Ratsmitglieder aufzuklären. Dabei setzte er eine betont vorurteilsfreie Miene auf, doch für Inor bestand kein Zweifel, dass dies nur Fassade war.
„Fahrt fort“, erteilte der streng dreinblickende Vorsitzende dem Mann mit dem schulterlangen und zu einem gepflegten Zopf gebundenen schlohweißen Haupthaar das Wort und Inor wappnete sich innerlich.
„Verehrte Ratsbrüder, wie uns allen bekannt ist die Zuteilung eines Beraters seinerzeit bei keinem der Heerführer auf Begeisterung gestoßen.“
‚Natürlich nicht‘, kommentierte Inor in Gedanken. ‚Wie auch, wenn die Magistraten der lange Arm des Rates sind und vorrangig kontrollierende Funktion haben?‘
„Doch kein anderer General war derart abweisend und von Anfang nicht kooperativ wie Yo Valkja. Trotz unzähliger Ermahnungen war er weder gewillt, Angriffe oder Schlachtpläne mit Magistrat von Teusch abzustimmen, geschweige denn dessen notwendige Erlaubnis zu erbitten, noch uns über eben jene Pläne auf dem Laufenden zu halten, wie es sich gehört. Auch haben wir alle noch vor dem Auszug auf die Schlachtfelder die verbalen und handgreiflichen Entgleisungen des Heerführers gegenüber seinem Berater mitbekommen. Ein Zustand, der, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, die folgenden Winter anhielt und sich stetig verschlimmerte.“
Eine Tatsache, die sich weder leugnen noch irgendwie schönreden ließ. Inor seufzte. Wie oft hatte er Yo und Isidor Rochus von Teusch trennen und seinen Meister davon abhalten müssen, diesen lästigen Aufwiegler unangespitzt in den Boden zu rammen?
„Aus anfänglichem Kompetenzgerangel wurden ernsthafte Auseinandersetzungen, die den inneren Frieden und Zusammenhalt des Roten Mondes bedrohten. Bereits im ersten Winter führte die fortwährende Missachtung der Ratschläge seines Magistraten zu einer hitzköpfigen Fehlentscheidung General Valkjas, die sechs Dutzend seiner besten Krieger und zahlreiche Unschuldige das Leben gekostet hat.“
Schuldbewusst schlug Inor die Augenlider nieder. Ein schwarzer Tag war das gewesen. Und eine persönliche Niederlage Yos. Ein herber und leider unnötiger Verlust, der nicht nur die Stärke des Roten Mondes, sondern auch das Band zwischen Heer und Heermeister geschwächt hatte. Ganz zu schweigen von den unbeteiligten Frauen, Kindern und Männern, die durch ihre Schuld ums Leben gekommen waren.
„Schimpf und Schande, Schläge und Hiebe, öffentliche Herabwürdigung und erniedrigende Strafen waren des Heermeisters Dank für die Ratschläge und täglichen Bemühungen Isidor von Teuschs, die eklatanten Fehler Yo Valkjas wieder auszubügeln oder gar zu verhindern. Was hat dieser tapfere, dem Ältestenrat loyal ergebene Mann nicht alles erdulden müssen? Spott und Prügel, gar Folter will ich es nennen. Nicht nur dass Magistrat von Teusch gezwungen war, niederste Dienste wie die Beseitigung der Leichen und das Waschen von mit Blut und Exkrementen verunreinigter Kleidung zu verrichten hatte oder zur Belustigung der Krieger in abgekarteten Faustkämpfen vorgeführt wurde, nein. Mehrere Zähne hat General Valkja ihm ausgeschlagen, ihm Nase, Rippen und Finger gebrochen, ihn auspeitschen und gar kopfüber in der Mittagssonne schreiend an einem verkohlten Baumstamm hängen lassen, bis sich sämtliches Blut in seinem Kopf gesammelt hatte und er ohnmächtig geworden war.“
Die Arme vor der Brust verschränkt, holte Inor tief Luft und ließ sie langsam aus einem Mundwinkel wieder entweichen. Wenn man Yos härteste Strafen und Ausraster aus drei Kriegswintern alle in einen Satz packte, klang das zugegebenermaßen ungeheuerlich und unverhältnismäßig brutal. Dabei war Isidor nicht halb so unschuldig daran, wie die gekonnt theatralische Rede des Barons Glauben machte. Und auch die Abstrafungen seine Meisters waren in den meisten Fällen nicht so übertrieben, wie sie wirkten. Nun gut, wenn er ehrlich war, war Yo hier und da tatsächlich deutlich übers Ziel hinausgeschossen und wenn er, Inor, nicht gewesen wäre, dann wäre der Magistrat auch mit Sicherheit nicht mehr am Leben. Ungeachtet ihrer Härte und etwaigen Unangemessenheit musste man seinem Anführer jedoch eines zu Gute halten: Seine Handlungen waren nie unbegründet gewesen.
‚Was hilft das, wenn der Rat es nicht weiß?‘, dachte Inor und rang sich zu einer Einlassung durch. „Ehrenwerter Rat, wenn ich …“
Doch seine Worte fanden kein Gehör, da alle Augen und Ohren auf Baron zu Feuerborn und Liebstein ruhten.
„Dann kam der nächtliche Verrat vor den Toren Aikasaras und alles versank im Chaos“, fuhr dieser mit dunkler, bedeutungsschwangerer Stimme fort.
Erneut schlug Inor die Augen nieder. Von allen Geschehnissen, über die er nicht nachzudenken versuchte, waren diese Tage die schlimmsten des zurückliegenden Krieges. Und das, obwohl er sie nicht einmal richtig mitbekommen hatte.
„Gleichwohl das Gros des Heeres dem Schlachtfeld glücklicherweise entronnen war, waren viele Krieger schwer verwundet. Die Wundheiler und Pflegschwestern waren heillos überfordert, Vizegeneral Kívíako ausgeschaltet und General Valkja damit beschäftigt, ihn am Leben zu erhalten. Blind vor Wut attackierte er alles und jeden, der sich ihm und seinem Ziehsohn auf mehr als sechs Schritte näherte. Etliche Tage und Nächte zog er sich von allem zurück, vernachlässigte seine Pflichten auf das Schändlichste und überließ seine Männer sich selbst und ihrem Schicksal. In der dunkelsten Stunde, in der größten Not floh er der Verantwortung und konzentrierte sich selbstsüchtig allein auf seine eigenen Bedürfnisse.“
Wenngleich als Anklage und Beschuldigung vorgetragen, berührten die Worte des Barons den jungen Adjutanten sehr. Er selbst hatte keine Erinnerungen an die Geschehnisse nach jener Nacht, in der er aus dem Schlaf geschreckt und nur mit Tunika und leichter Hose bekleidet in einen Pfeilhagel geraten war. Das Letzte, woran er sich bewusst erinnerte, war der brennende Schmerz, als einer der Pfeile seine ungeschützte Brust durchbohrt hatte und er in dem festen Glauben, sterben zu müssen, mit dem Gesicht voran auf den matschigen Boden geklatscht war. Das Bild, das diesem Moment als nächstes folgte, war das einer namenlosen Wundheilerin, die wenige Tage nach seinem Erwachen in Ausübung ihrer Pflicht den Tod gefunden hatte, summend an seinem Siechlager gesessen und seine Hände gesalbt hatte. Ihr weiches, freundliches Gesicht war ihm damals wie das eines zarten Elbenmädchens erschienen und ihr Lächeln wie das eines Himmelsboten. Sein Freund und Meister dagegen hatte ihn erst drei Tage später das erste Mal aufgesucht und außer einer festen, doch kurzen Umarmung keine größere Gefühlsregung gezeigt.
Wenngleich der Jüngling ahnte und hinter vorgehaltener Hand auch erfahren hatte, dass er dem Tod nur knapp entkommen war, hatte sein Lehrmeister ihn bis zum heutigen Tage über Einzelheiten im Dunkeln gelassen und auch sonst keiner der Männer Näheres preisgeben wollen. Nun zu hören, dass Yo derart verzweifelt um ihn gekämpft hatte, dass er sein Leben über das aller Männer und alles andere gestellt hatte, ging Inor tief unter die Haut und erfüllte ihn mit Stolz. Ganz gleich ob dies nun angemessen war. Eine wohlige Wärme entstand in seiner Brust und er spürte, wie seine Wangen sich röteten. Tränen schossen ihm in die Augenwinkel und er musste mehrfach blinzeln, um sie zurückzuhalten. Zaghaft blickte er zu seinem Anführer, der mit den Augen rollte, schnaubte und dann demonstrativ wegsah. Doch Yo mochte so viel Missmut vorschützen, wie er wollte, Inor schwante, dass sein Ziehvater vielmehr peinlich berührt war und sich ob der Offenbarung des Barons genierte.
„Im Schutze der Dunkelheit war er mitten in der Nacht in das Zelt Isidor von Teuschs eingedrungen, in der Hand ein robustes Seil und einen Knebel“, drängte sich die anklagende Stimme des Barons wieder in sein Bewusstsein.
Inor blinzelte im ersten Moment irritiert. Er musste mehrere Augenblicke lang in Gedanken versunken sein, denn offenkundig war der Baron mit seiner Erzählung bei jener unheilvollen Nacht angelangt, in der seinem Anführer auch der letzte dünne Strang des Geduldsfadens gerissen war.
„Geräuschlos wie ein Alp schwang General Valkja sich auf den Schlafenden und fesselte ihn an Armen und Beinen, während Vizegeneral Kívíako den völlig überrumpelten und wehrlosen Magistraten knebelte, bevor er auch nur einen einzigen Hilferuf ausstoßen konnte. Genüsslich zog der Heermeister die Stricke dabei besonders eng, sodass sie sich ordentlich ins weiche Fleisch der Hand- und Fußgelenke schnitten. Dann packte er die Füße des Geknebelten, schleifte ihn aus dem Zelt wie ein Stück Vieh und setzte sich endlich auf ihn, während sein Adjutant im Dunkel der Nacht verschwand.
Von naher Ferne ertönten Stimmen, die Isidor von Teusch auf Hilfe hoffen ließen. Aus Leibeskräften wand der Verzweifelte sich daher unter seinem Peiniger, um auf sich aufmerksam zu machen, doch dieser zückte sofort das Schwert und hielt es ihm wutschnaubend an die Kehle. Wir alle können uns denken, was geschehen wäre, wäre Vizegeneral Kívíako nicht just in diesem Moment mit einem Rappen an den Zügeln zurückgekehrt. Mit vereinten Kräften hievten die beiden Heerführer ihr Opfer auf den Rücken des Tieres und banden ihm Arme und Beine unter dem Bauch des Pferdes fest. Eine nicht einmal halbvolle Wasserflasche und einen Kanten trockenen Brotes, das war alles, was sie ihrem Berater als Proviant mitgaben.“
Totenstill war es im Ratssaal geworden. Kein Weiser wagte, die lebhafte Beschreibung des Barons zu unterbrechen, und Inor sah den vor Angst schlotternden Magistraten beinahe bildlich vor Augen. Sein Lehrmeister auch, wie dessen Grinsen und der Funken sprühende Blick verrieten. Wenngleich Yo sich sonst eher schwer tat, sich etwas in Gedanken auszumalen, so hatte er, was Gewaltexzesse anbelangte, schon immer eine sehr lebhafte Phantasie. Zudem stand außer Frage, dass er sich genau diese Erinnerung wohl noch lange bewahren würde.
„Als wären dies der Schandtaten nicht genug, ging General Valkja noch einmal in des Magistraten Zelt zurück, durchwühlte dessen Sachen und kehrte mit dem Siegelring des Ältestenrates – dem Zeichen unserer Huld und Unterstellung – zurück. Mit schurkischem Grinsen unter freudig zuckenden Augenbrauen warf er den Ring ins Feuer, bis er glühte. Dann fischte er ihn heraus und brandmarkte den Wehrlosen, brannte ihm mit teuflischem Lachen das Siegel in die Stirn ein, bevor er dem Ross einen ordentlichen Klaps aufs Hinterteil gab, dass es schnaubend davongaloppierte und mit seiner menschlichen Fracht in der Finsternis verschwand.“