„Seh ich das richtig, dass wir die letzten in der Reihe sind und uns hier eine halbe Ewigkeit sinnlos die Beine in den Bauch stehen werden?“, raunte Yo nach einer Weile.
Wortlos nickt Cru und seufzte. Dieselbe Erkenntnis hatte ihn ebenfalls befallen. Und sie stimmte ihn nicht minder verdrießlich wie seinen Partner.
„Na klasse, was für eine Zeitverschwendung! Als wenn diese ganze Veranstaltung nicht schon langweilig und steif genug ist“, grollte der Anführer des Roten Mondes.
Was sollte er darauf erwidern? Yo hatte Recht. Zudem verspürte Cru bereits wieder latent den Wunsch, sich irgendwo anzulehnen oder abzustützen. Verstohlen blickte er um sich, doch unglücklicherweise waren weder ein Pfeiler, noch ein Stuhl oder eine Tischkante in Reichweite. Er konnte also nur hoffen, dass das Geplänkel nicht allzu lange dauern und Fürst Vîbor ihn erreichen würde, bevor er sich wie ein alter gebrechlicher Mann setzen musste. Eine Blöße, die er sich nicht geben wollte. Mit einem Atemzug straffte der Sibulek die eingefallenen Schultern und drückte das Kreuz durch.
„Wieso? Hast du Besseres zu tun?“, fragte er leicht spöttelnd, doch Yo antwortete nicht.
Ein Seitenblick auf seinen Gefährten ließ ihn stutzen. Prüfend sah dieser zwischen den Anwesenden hin und her, musterte erst Cay, dann ihn und zog dann die Augenbrauen an der Nasenwurzel zusammen. Was hatte sein Partner bloß? Wieder wanderte Yos Blick, dieses Mal zwischen ihm und sich selbst, und der Sibulek begriff. Sein Freund verglich tatsächlich die Aufmachung aller Anwesenden. Die Adelssprosse waren allesamt in prächtige Gewänder gekleidet und auch Cay trug mit stolzgeschwellter Brust die offizielle Festtracht eines Generals. Yo hingegen hatte sich die Mühe eines Kleiderwechsels nicht gemacht und war in seinen dunklen Alltagssachen erschienen, während Cru selbst sich für einen Mittelweg und eine schlichte Garderobe in schwarz-weiß entschieden hatte und lediglich die Jacke der Paradekleidung trug. Alles wie üblich also. Die Augenbrauen seines Freundes rutschten jedoch noch weiter zusammen, berührten einander fast, und Cru folgte Yos Blick, der auf Lŷsandro Vîbor haftete.
„Was ist los?“, raunte Cru seinem Freund zu.
„Der Kerl trägt ein Kleid.“ Die Irritation war Yos flüsternder Stimme deutlich anzuhören.
„Kein Kleid, einen Viruha.“
„Ernsthaft?“, knurrte sein Gefährte entrüstet.
Diese Mal entgegnete Cru nichts. Dies war weder der passende Zeitpunkt noch ein geeigneter Ort, um den Vergleich eines gewöhnlichen Kleides mit dem traditionellen Festgewand des viborianischen Fürstenhauses zu diskutieren.
Aus irgendeinem Grund konnte sein Partner die Augen jedoch nicht von dem Herrscher Roocs nehmen. Cru bezweifelte, dass Yo ausgerechnet jetzt eine unbekannte geheime Leidenschaft für Männerkleider, wie Viruhas außerhalb des Zwillingsreiches abfällig genannt wurden, entdeckt hatte. Wenngleich sich nicht leugnen ließ, dass das lange, hochgeschlossene Gewand in sattem Dunkelgrün, das am Oberkörper eng anlag und ab der Hüfte in mehreren Lagen weich herabfiel, die Wohlgestalt des Fürsten trefflich betonte. Dabei wirkte das Gewand trotz seines fließenden und leicht schimmernden, zugleich aber schweren Stoffes kaum weiblich. Vielmehr unterstrich es durch die Einfachheit und Strenge im Schnitt, die dunkle Farbe und Verzierungen wie Schnallen oder Riemen die Männlichkeit seines Trägers. Mit Sicherheit kein alltäglicher Anblick, doch was seinen Freund daran so faszinierte, erschloss sich Cru nicht im Geringsten. Nun ja, wenigstens ersparte ihm das Yos Gemurre oder Schlimmeres, denn der Dritte General schien geistig in den Tiefen vergangener Zeiten zu weilen.
Indessen waren die beiden Herrscher beim letzten Adelsspross angelangt und Cru hielt sich noch erfreulich wacker auf den Beinen. Die Chancen standen gut, dass er dies hier ohne Zwischenfall überstand.
„Dann müssen das die berühmt-berüchtigten Nachfahren der Bezwingerin Umgolts sein“, sagte Fürst Vîbor in respektvollem Tonfall, als er den drei Magistraten gegenübertrat.
„Gut erkannt, Fürst“, lobte Kãn o‘ Kaam und fuhr mit Anerkennung und Stolz in der Stimme fort. „Ich darf vorstellen: Yannis Kieran, Arik Nika und Isidor Rochus von Teusch – treue Berater meiner drei Heere.“
Ehrerbietig verbeugten die drei Brüder sich vor dem Viborianer und es war durchaus amüsant, wie sie einander darin zu übertrumpfen suchten. Dann säuselten sie dem Fürsten bewundernde und achtungsvolle, gewiss jedoch zumindest teilweise geheuchelte Worte entgegen, bei denen selbst Cru die Augen verdrehte. Wie gut, dass Yo noch immer geistig abwesend war. Ein Grollen ertönte neben ihm und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Partner, der aus den Gedanken gerissen das Gesicht verzog.
„Wie lange dauert das denn noch? Wenn hier nicht bald etwas passiert, dann flippe ich aus oder sterbe noch vor Langeweile und Hunger!“
„Wann hast du zuletzt etwas gegessen?“
Es dauerte eine Weile, bis sein Schwertbruder antwortete: „Vorgestern?“
Unwillkürlich zog der Sibulek fragend eine Augenbraue in die Höhe. Zwei Tage ohne Mahlzeit? Woher nahm Yo die Kraft … Als sein Blick die blassen Lippen seines Freundes streifte, erstarb die Frage abrupt und ein eisiger Schauer rann seinen Rücken hinab. Ein dumpfes Kreisen dröhnte in seinem Kopf und für den Bruchteil eines Augenblicks meinte Cru gar, seine Knie würden nachgeben.
„Ich merke schon, die Herren verstehen ihr Handwerk.“ Das laute Lachen Lŷsandro Vîbors beförderte den Sibulek zurück in die Wirklichkeit. „Aber wie ich hörte, sollen sie noch ganz andere, sehr interessante Fähigkeiten besitzen“, raunte der Fürst dem jungen Kãn o‘ Kaam hinter vorgehaltener Hand halblaut und augenzwinkernd zu.
„Ich fürchte, ich kann Euch nicht ganz folgen, Fürst.“
Dasselbe galt für den Anführer der Weißen Wölfe. Auch er konnte sich keinen Reim auf die Anspielung des Viborianers machen, obgleich er durchaus wusste, dass die Magistraten sehr wohl Kräfte besaßen, die für entsprechende Personenkreise mehr als interessant waren. Allerdings war es nahezu ausgeschlossen, dass ausgerechnet Lŷsandro Vîbor darum wusste. Vielmehr fragte Cru sich gerade, ob Yo die gefährliche Fähigkeit seines Magistraten, in den Geist anderer Personen eintauchen zu können, entdeckt hatte. Viel wichtiger noch: Hatte sein Schwertbruder sie unauffällig abwehren können oder war er ihr all die Zeit unwissentlich zum Opfer gefallen? Der Sibulek konnte nur hoffen, dass dem nicht so war. Anderenfalls standen ihnen unweigerlich noch stürmischere Zeiten bevor, als sie sich ohnehin schon abzeichneten.
Der Regent Coohs hatte derweil sein Höflichkeitsgeplänkel mit den drei Magistraten beendet und wandte sich bereits den nächsten in der Reihe zu.
„Cay Rojahn – Erster General und Anführer der Grünen Nebel – sowie Vito Viktus Innozenz IV. von Honstein, Salzau und Moora – Vizegeneral“, stellte der Herrscher Lanois die beiden Männer feierlich vor.
„Sehr erfreut, Fürst Vîbor“, neigte Cay sein Haupt tief und dramatisch, worauf es ihm sein Stellvertreter gleichtat. „Es freut mich außerordentlich, dass dieser unselige Krieg endlich beigelegt ist und wir uns als Freunde gegenüberstehen.“
„Ganz meinerseits, General Rojahn“, nickte der Viborianer, „ganz meinerseits. Wie mir zu Ohren kam, habt Ihr in Utlays Landen große, ehrenvolle Siege errungen und auch abseits des Schlachtfeldes wahre Wunder vollbracht.“
Die Gestalt des ersten Heermeisters richtete sich kerzengerade auf und man konnte förmlich sehen, wie sein Stolz anwuchs. Cru grinste. Der Fürst war gut informiert und offenbar ein ausgezeichneter Taktiker. Dieses Lob kam mit Sicherheit nicht von ungefähr und erzielte vermutlich genau die gewünschte Wirkung. Das ruhmsüchtige Ich Cays war sichtbar geschmeichelt. Und dieser Seitenblick, den der erste Heerführer Yo gerade schenkte, sprach ebenfalls Bände. Dennoch war der Anführer der Grünen Nebel schlau genug, sich seine Befriedigung nicht allzu offensichtlich anmerken zu lassen und fragte scheinheilig nach.
„Ich verstehe nicht ganz, Fürst.“
„Nun, der alte Niray-Yoram ist ein anstrengender und zäher, um nicht zu sagen unverschämter, Verhandlungspartner, der selbst halbtot am Boden liegend noch feilscht und Bedingungen stellt. Schon dutzende aufstrebende Talente haben sich am Verhandlungstisch die Zähne an diesem harten Knochen und seinen flammenden Reden ausgebissen und ihre vielversprechenden Laufbahnen begraben müssen, bevor sie richtig begonnen hatten“, lachte der Viborianer. „Doch Euch ist es anscheinend gelungen, ihn sowohl auf kriegerischem als auch diplomatischem Gebiet in seine Schranken zu verweisen. Ich frage mich, wie Ihr das bewerkstelligt habt.“
„Euer Lob ehrt mich, Fürst“, erwiderte Cay mit geschwellter Brust und deutete eine erneute Verbeugung an. „Gerne können wir uns zu späterem Sandglas näher darüber unterhalten und ich werde Eure Neugierde zur Zufriedenheit stillen.“
„Da kommt einem ja die Galle hoch“, knurrte Yo und schnaufte verächtlich. „Können die sich nicht endlich beeilen und ihren abartigen Balztanz später fortführen? Wenn ich mir dieses widerwärtige Gesülze noch länger anhören muss, übergebe ich mich noch an Ort und Stelle!“
Mühsam unterdrückte Cru sein Lachen ob des angewiderten Gesichtsausdrucks seines Partners und auch Lŷsandro Vîbor musste Yos Worte vernommen, zumindest aber dessen vielsagende Mimik aus den Augenwinkeln bemerkt haben, denn ein kleines, süffisantes Lächeln huschte verstohlen um die Mundwinkel des Fürsten.
„Ich werde darauf zurückkommen“, antwortete er kurz und knapp. Dann brach er sein Gespräch mit dem sichtlich enttäuschten Ersten General unverhofft ab und wandte sich Cru zu.
„Cru Kanîja –Zweiter General und Anführer der Weißen Wölfe –, nehme ich an?“
Der Sibulek nickte.
„Und Forso Kívíako – Vizegeneral“, ergänzte Kãn o‘ Kaam und deutete auf den Blondschopf zu Crus Linken.
Anstandsmäßig verbeugten sich auch Cru und sein Schüler vor dem viborianischen Regenten, doch achtete der Heermeister darauf, dem Boden dabei nicht allzu nahe zu kommen. Anschließend reichte er dem Fürsten die Hand.
„Ich freue mich wirklich aufrichtig, Eure Bekanntschaft zu machen, Fürst Vîbor.“
Ein verschmitztes Lächeln umspielte die Lippen seines Gegenübers und er konnte nur raten, wie dieser seine Worte aufgenommen hatte. Wie sein Gefährte sie interpretierte, wusste er noch im selben Moment.
‚Gottseidank hat mein irrer, kleiner Freund Euch am Leben gelassen‘, hallten seine verfälschten Worte in Yos Geiste wider und Cru wusste auch ohne hinzusehen um das eingeschnappte Schmollen, das über die bleichen Lippen zog.
„Nun, mich deucht, wir sind uns bereits begegnet, General“, antwortete Lŷsandro und der Sibulek bestätigte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. „Wenn es Eure Zeit zulässt, würde ich dieser Tage gerne mit Euch über die Lage in Sarta beraten.“
Wieder nickte der zweite Heermeister. Ihm schwante, welche Informationen der Fürst begehrte. Sarta war schließlich nicht nur das nördlichste Teilgebiet Lanois, sondern grenzte gleichermaßen an Rooc wie an Æhran. Und so stark das Bündnis, oder besser gesagt der Nichtangriffspakt, zwischen Æhran und dem Zwillingsreich im Krieg gegen den gemeinsamen Feind auch gewesen sein mochte, so brüchig war es gewiss im vermeintlichen Frieden. Der Stolz der Æhraner dürstete nach Rache für die empfindliche Schmach der erlittenen Niederlage gegen Lanoi und mochte diese ungeachtet der noch anstehenden Friedensverhandlungen aller Beteiligten im Zweifelsfall auch bei den geschwächten Viborianern suchen.
„Lasst mich wissen, wann es Eure Pflichten erlauben“, sagte Fürst Vîbor, machte einen Schritt nach rechts und schloss noch im selben Atemzug auch den dritten Heermeister in seine Bitte ein. „Euch möchte ich natürlich ebenfalls um eine Konsultation ersuchen, General.“
Yo schnaufte und bejahte unverständlich brummend.
„Die Dritten im Bunde – General Yo Valkja sowie Vizegeneral Inor Kívíako – kennt Ihr ja bereits“, vollendete Kãn o‘ Kaam dessen ungeachtet seine Vorstellung und erntete von allen Seiten zustimmendes Nicken. „Nun denn, solltet Ihr noch etwas zu besprechen wünschen, Fürst Vîbor, so zagt nicht. Ihr seid mein Gast – mein Freund – und als solchem wird Eurem Wunsch entsprochen werden.“
Der Kopf des Regenten drehte sich von einem Ende der Reihe zum anderen und ein jeder nickte pflichtbewusst. Selbst Yo sah sich zu einer zustimmenden Kopfbewegung genötigt, als die Augen aller Anwesenden auf ihm ruhten und ihm Löcher in den sonst so undurchdringbaren Schutzpanzer seiner Selbstsicherheit brannten.
„Gut, dann danke ich für Eure Zeit, meine Herren, und wünsche Euch und uns allen noch einen erinnerungswürdigen Abend. Genießt den Wein, Fürst Vîbor, der Dritte Rote und der Eisblaue sind äußerst delikat.“
Eine weitere Verbeugung von allen, dann war diese leidliche Angelegenheit endlich beendet und Cru atmete erleichtert durch. Das war besser gelaufen, als er gedacht hatte. Und was am Wichtigsten war: Er stand noch. Obgleich seine Beine deutlich signalisierten, dass sie ihn nicht mehr allzu lange trugen. Eine Sitzgelegenheit musste her. Schnell.
„Ich habe Hunger“, verkündete sein Partner knapp und machte auf dem Absatz kehrt.
„Gute Idee!“, rief Forso begeistert aus und rieb sich vorfreudig die Hände. „Auf die Hammelkaldaunen in Sauermilch freu ich mich seit drei Wintern.“
Angewidert verzog Inor das Gesicht. „Hör auf, Kleiner, da vergeht einem ja der Appetit. Ist mir unbegreiflich, wie du dieses Zeug runterkriegst. Allein von dem Geruch wird mir speiübel.“
„Nicht zu vergessen Crus geliebte Schwarze Zweikorngrütze“, lachte der Blondschopf und zwinkerte ihm zu.
„Ihr seid abartig“, sagte Inor und wandte sich ebenfalls zum Gehen.
Doch noch bevor sie eine Tafel mit freien Sitzplätzen erreicht hatten, stellte sich ihnen unverhofft Lŷsandro Vîbor in den Weg.
„Einen Moment, die Herren.“
„Was denn noch?“
Yo Gereiztheit war unmöglich zu überhören, doch der Fürst fuhr bar jeden Missklangs in der Stimme fort. „Wenn Ihr gestattet, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Euch meinerseits mit jemandem bekannt zu machen.“
Des dritten Heermeisters Knurren ignorierend winkte Lŷsandro zwei junge Frauen heran. Beide waren von zierlicher Statur, in ihren einfachen, aber dennoch eleganten Kleidern ohne Schmuckwerk äußerst anmutig anzuschauen und hatten langes, rotes Haar in unterschiedlichen Färbungen: Die Eine trug wilde Locken in einem goldenen Rotblond mit hellen Reflexen, die Andere glattes, seidenes Haar in flammendem Kirschrot, wobei einzelne Partien einen Stich ins Mahagonifarbene aufwiesen. Cru schätzte die Erstere um drei bis sechs Lenze älter als die Zweitere, wenngleich beide etwa im Alter ihrer Schüler sein mussten. Die liebreizenden Gesichtszüge der Mädchen ließen verwandtschaftliche Beziehungen erahnen und der Blick ihrer großen, smerald- und yadgrünen Augen war schüchtern nach unten gerichtet.
„Darf ich Euch und Euren Adjutanten zwei loyale und treue Dienerinnen des Hauses Vîbor vorstellen?“, fragte der Fürst rein rhetorisch und deutete erst auf die junge Frau mit der Lockenpracht, dann auf die andere. „Anaise und Siennea.“
Beide Mädchen knicksten tief und manierlich vor den lanoischen Kriegern. Wie nicht anders zu erwarten war, blieb eine Reaktion Yos aus, doch zu Crus Verwunderung zuckten auch ihre Zöglinge sich nicht. Stattdessen war Inor auffällig bemüht, die rotblonde Schönheit vor sich nicht direkt anzusehen, während Forso das Mädchen mit den glatten Haaren dümmlich grinsend anstarrte. Es half wohl alles nichts, der Sibulek musste als Erster reagieren.
„Sehr erfreut, meine Damen“, sagte er mit sanfter Stimme und half beiden Mädchen galant wieder auf.
Anschließend gab er Inor einen gutgemeinten Stoß mit dem Ellenbogen und animierte sowohl ihn als auch seinen Bruder zur standesgemäßen Begrüßung der Mädchen. Zögerlich kamen beide Jünglinge dem nach. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Brüder genierten sich. Als Inor Anaise dann höflich einen Handkuss gab, errötete der Ziehsohn seines Partners sogar, während nun sie ganz bewusst nicht zu dem schmucken Jüngling hinabsah. Bei Forso und Siennea verhielt es sich dagegen genau anders herum: Er grinste wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen und schien ihre Hand nicht mehr loslassen zu wollen, während sie verlegen rot wurde.
Ein Schmunzeln huschte um Crus Lippen. Das Verhalten der beiden Adjutanten entsprach so gar nicht ihrem Gebaren inmitten des Heeres und amüsierte ihn. Außerdem wollte er auf der Stelle umfallen, wenn sich beide Pärchen nicht bereits kannten. In diesem Moment gewahrte er nicht nur die frappierende Ähnlichkeit des jüngeren Mädchens mit jenem, das am Tag ihrer Rückkehr so geduldig auf seinen Zögling gewartet hatte und dann freudestrahlend von ihm auf die Tanzfläche gezogen worden war, sondern ihm fiel auch die eigenartige Anspielung des Fürsten, dass Inor ein gebrochenes Herz in Cooh zurückgelassen hatte, wieder ein. Jede Wette, dass das Zusammentreffen der jungen Leute von Lŷsandro Vîbor bewusst initiiert worden war und hier ein fürstlicher Kuppler am Werk war. Bedeutungsvoll schmunzelte er den Viborianer an und sah sich noch im selben Moment bestätigt, denn der hohe Gast grinste ebenso vielsagend zurück und setzte eine gespielt unglückliche Miene auf.
„Ihr müsst wissen, beide Damen haben unserem Hause und speziell meinem Bruder und mir stets treue Dienste erwiesen und daher gedachte ich, sie mit der Teilnahme an dieser Festlichkeit zu belohnen. Auf Grund meiner zahlreichen Verpflichtungen sehe ich mich jedoch leider außer Stande, sie angemessen zu unterhalten oder gar herumzuführen. Vielleicht wäre es ja den Herren Vizegenerälen möglich, sich der jungen Damen anzunehmen und sie durch den Abend zu geleiten?“
„Äh … ja, gern“, rang Inor sich eine Antwort ab und schielte verlegen zu seinem Meister.
„Wenn Ihr es gestattet, natürlich“, fügte Lŷsandro Vîbor schnell an. Da Yo jedoch weder ihm noch Inor Beachtung schenkte, wandte sich des Regenten fragender Blick nun an den Sibulek.
„Keine Einwände, Fürst Vîbor“, antwortete Cru lächelnd. „Dann zeigt euch mal von eurer besten Seite, Jungs. Und dass mir keine Klagen zu Ohren kommen.“
Standhaft verbissen die Damen ein allzu offenes Lachen, während Inor bis zum Haaransatz errötete. Lediglich Forso machte sich nichts daraus, jauchzte fröhlich und zwinkerte dem Regenten Roocs zu. „Macht Euch keine Sorgen, Fürst, eure Mädchen sind bei uns in den besten Händen!“
Der ältere der Brüder schien im Boden versinken zu wollen, doch der Viborianer blickte äußerst zufrieden drein. „Na, dann bin ich ja beruhigt. Kommt, General Kanîja. Ihr seht hungrig aus und es ist mir eine Ehre, mit Euch zu speisen.“
Mit einer einladenden Geste bedeutete er dem zweiten Heermeister, sich ihm anzuschließen, und erst jetzt fiel Cru wieder ein, dass sie ja ursprünglich auf dem Weg zu einem Sitzplatz mit Speis und Trank gewesen waren. Dankend nahm er die Einladung daher an und zog auch Yo, der schon wieder ein Gesicht wie tausend Tage Regenwetter mit sintflutartigen Überschwemmungen und Hagelschauern machte, mit.
Wenig später saßen sie zu dritt am Ende der sechsten Tafel im hinteren und damit etwas ruhigeren Teil des Saales. Cru konnte kaum fassen, wie gut es sich anfühlte, endlich zu sitzen und zudem eine feste Lehne ihm Rücken zu spüren. Beinahe hätte er vor Erleichterung laut aufgeatmet und wäre einfach in sich zusammengesunken. Wenn er könnte, wie er wollte, würde er sich so richtig unmanierlich halb in den Stuhl hinein- und die Füße hochlegen. Allein, des Fürsten Anwesenheit machte dies leider unmöglich.
Seinen Schwertbruder indes störte die Anwesenheit des hohen Gastes wie üblich kein bisschen. Während der Sibulek sich voller Heißhunger über seine Schwarze Zweikorngrütze hermachte und von Lŷsandro Vîbor, der eine deftige Wildsuppe mit Schleierpilzen, Schmorvegetabilien und Magenkraut nebst dem angepriesenen Wein genoss, schnell in ein angeregtes Gespräch verwickelt wurde, blickte Yo nur stumpfsinnig und gereizt auf den appetitlich angerichteten Fleischteller vor sich und rührte doch nichts an.
„Jetzt iss etwas. Das wird deine Laune aufhellen, du wirst sehen“, sagte Cru zwischen zwei Löffeln und unterbrach kurz sein Gespräch mit dem Fürsten.
Yos Antwort war ebenso unverständlich wie alles andere, was dieser seit langen Augenblicken in seinen nicht vorhandenen Bart hineinknurrte.
„Hätte ich gewusst, wie verdrießlich Euren Schwertbruder meine Einladung stimmt, hätte ich nicht auf seine Begleitung bestanden“, raunte der Viborianer Cru zu.
„Es seid nicht Ihr oder das Bankett an sich, die ihn verärgern“, raunte Cru zurück und folgte dem Blick seines Freundes. Wie er sich bereits gedacht hatte, waren die angeregten und offenbar sehr ergötzlichen Unterhaltungen des Ersten Generals mit einigen Höflingen, Beamten und Adeligen der Anlass für Yos gewittrige Laune.
„Kannst es ruhig laut sagen“, knurrte Yo plötzlich. „Dieser eingebildete Kerl mit seiner widerwärtigen Anbiederung verleidet einem selbst den köstlichsten Bissen Fleisch. Kann dieser verfluchte Angeber sich nicht woanders in der schmierigen Bewunderung seiner dämlichen Zuhörer sonnen?“
Gedankenverloren spielte Yo mit der Fleischgabel herum und Cru verfolgte jede Handbewegung mit wachsamen Augen. Als sein Gefährte plötzlich den Griff in seiner Faust umschloss, legte der Sibulek ruhig seine Hand auf Yos.
„Die solltest du lieber für den Wildebur vor deiner Nase verwenden. Du hast dir fürs Erste genug Strafe eingebrockt.“
Verärgert knurrte Yo, doch immerhin wandte er den Blick von Cay und sah nun stattdessen ihn an. Ihn und Lŷsandro Vîbor, der ihnen beiden gegenübersaß. Wortlos griff der Dritte General nach einem Henkelkrug und setzte ihn an, nur um das Gebräu noch im selben Moment wieder auszuspucken.
„Was, verflucht noch eins, soll das sein? Ist ja ekelhaft.“
Ein beherzter Griff zu dem zweiten Krug vor seiner Nase, der glücklicherweise mit Quellwasser gefüllt war, und Yo leerte ihn in zwei Zügen, bevor er seine Fleischgabel in den Braten stieß. Cru schüttelte den Kopf. Die ohnehin dürftigen Manieren seines Partners hatten im Krieg enorm gelitten. Aber wenigstens nahm er nun endlich einen Bissen. Hungrig war sein Freund wirklich nicht zu ertragen und der lebende Beweis für das zwar abgedroschene, doch noch immer wahre Sprichwort: „Hunger macht böse.“ Und da der Fürst keine Anstalten machte, Yo darauf hinzuweisen, dass es sein Krug mit einem der edelsten Weine Lanois gewesen war, den er gegriffen und ausgespien hatte, sah auch Cru keine Notwendigkeit dazu. Zur Sicherheit rückte er aber sein eigenes Trinkgefäß mit halbgegorenem Rebsaft, den Yo ebenso hasste, aus dessen Wirkungsbereich heraus, während Lŷsandro Vîbor sich ungerührt einen neuen Krug Eisblauen bringen ließ. Vielsagend prostete er dem Sibulek zu und stellte das Gefäß dann ebenso außerhalb Yos Reichweite ab, bevor er sich wieder seinem Eintopf zuwandte.
„Wie ist Euer Ebur, Yo?“, fragte der Fürst und blickte den dritten Heermeister mit ehrlichem Interesse an.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Trocken. Totgebraten. Schade um den stolzen Keiler.“ Geräuschvoll schmiss der Anführer des Roten Mondes die Fleischgabel aufs tönerne Geschirr und schob sich mit einem Fuß am Tisch ab, sodass sein Stuhl knarzend nach hinten rutschte. Cru grinste. Es fiel ihm schwer, sich des Bildes eines bockenden Kindes zu erwehren. In Situationen wie diesen war Yo kaum ernst zu nehmen. Was ihm am heutigen Abend durchaus gelegen kam und ihm den Umgang mit seinem Gefährten erleichterte. Kurz flackerte das Bewusstsein, dass er sich dringend mit Yo über die vergangene Nacht aussprechen musste, auf und verdunkelte seine Wahrnehmung.
„… nicht gut?“
Die Stimme des Viborianers drang wie durch dicken Nebel zu ihm. „Wie bitte? Tut mir leid, ich … Was habt Ihr gesagt, Fürst?“
„Geht es Euch gut, General Kanîja? Ihr seht blass aus.“ Eindringlich sah der Viborianer ihn an und musterte seine Reaktion genau.
Für einen Moment hatte Cru das irrationale Gefühl, gleich vom Stuhl zu kippen. Es war doch immer wieder erschreckend, welche Macht Gedanken innewohnte. Zumal den dunklen, falschen.
„Es geht mir gut, Fürst“, antwortete der Sibulek mit einer Sicherheit in der Stimme, die ihn selbst überraschte.
Lŷsandro Vîbor schien jedoch keineswegs überzeugt und weiter nachfragen zu wollen, da erschien ein Mann seines Gefolges und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Seufzend nickte der Regent Roocs und nahm noch einen großen Zug aus seinem Krug, als wollte er sich Mut für eine bevorstehende Prüfung antrinken. „Tut mir leid, General, die Pflicht ruft. Ich hoffe, wir können unser Gespräch zu späterem Sandglas fortsetzen.“
„Sicher, Fürst, ich werde noch eine Weile hier sein“, entgegnete Cru und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Der Mond stand tief. Er würde dem Bankett also noch eine Weile beiwohnen. Petyr brauchte sicher bis nahe der Mittnacht, um alle Spuren an Fensterrahmen und Sims restlos zu beseitigen. Zeit genug, nachzusinnen, wie er hernach den Weg auf seine Kammer schaffen sollte.
Zwei Sandgläser später saß Cru wie vorhergesagt noch immer an Ort und Stelle. Der zweite Teller Grütze sowie drei Schüsseln Kraftbrühe waren geleert, eine Platte mit Hack gefüllter Teigtaschen verputzt und der dritte Humpen fruchtig-süße Flüssigkeit seine Kehle hinabgeronnen.
Fürst Vîbor war nach einiger Zeit zurückgekehrt und hatte ihn aus einer nicht enden wollenden Abfolge stetig wechselnder Gesprächspartner erlöst. Er war dem Viborianer wirklich dankbar, nicht dieselben neugierigen Fragen zur langwierigen Belagerung Thonajs oder dem finalen Entscheidungskampf um Phinœ ein zehntes Mal beantworten zu müssen. Sein Gegenüber wiederum nutzte die Möglichkeit, sich durch geschickte Positionierung ihm gegenüber den Blicken der Neugierigen zu entziehen, und duckte sich ab und an beiläufig. Wie eben jetzt, da Cru in seinem Rücken fünf oder sechs aufgeregte Frauenstimmen und den Namen des Viborianers vernahm. Augenblicklich rutschte Lŷsandro Vîbor etwas tiefer in seinen Stuhl und neigte, vermeintlich einen tiefen Schluck aus seinem Krug nehmend, den Kopf gen Tafel. Der Sibulek schmunzelte, als der leicht gequälte Blick seines Gegenübers ihn traf. Dieser Augenausdruck war dem von Yo nicht unähnlich. Dem Mann musste geholfen werden. Mit einem Ruck richtete er sich gerade auf und straffte die Schultern. Dem hektischen Geschnatter, das sich nach einer Weile allmählich leiser werdend nach rechts bewegte, nach zu urteilen, schien der Plan aufzugehen und Crus breiter Rücken den Viborianer zu verdecken
„Danke“, seufzte der Fürst und atmete tief aus. Dann leerte er seinen Krug mit einem weiteren tiefen Zug. „Nichts für ungut, doch ich habe für heute ausreichend Handküsse verteilt.“ Lŷsandro Vîbor schmunzelte. „Ich muss gestehen, derart sekkant habe ich die adeligen Töchter Lanois gar nicht in Erinnerung.“
Den Kopf leicht neigend zog Cru eine Augenbraue hoch, worauf der Fürst für den Bruchteil eines Augenblickes tatsächlich ein wenig errötete.
„Nun ja, ich war damals auch noch um einiges jünger.“
„Und die jungen, starken Männer, die diese Frauenzimmer hätten beglücken können, waren damals nicht drei Winter fern der Heimat in blutige Kämpfe verwickelt“, warf plötzlich Yo ungefragt ein. Das nervtötende Fingertrommeln, das Cru inzwischen so weit ausgeblendet hatte, dass es ein beinahe angenehmes Hintergrundgeräusch geworden war, erstarb und Lŷsandro Vîbor sah Yo mit großen Augen an.
„Was?“, entgegnete dieser und hob schulterzuckend mit Unschuldsmiene die Hände.
Cru grinste. Sein Gefährte hatte recht. Drei Winter ohne Männer ihrer Altersklasse machten auch aus wohlerzogenen und tugendhaften Adelstöchtern einfache Mädchen mit körperlichen Bedürfnissen. Dass ausgerechnet Yo diese Binsenweisheit aussprach, war allerdings ungewöhnlich. Überhaupt war es das erste Mal seit seinem vernichtenden Urteil über den angeblich ungenießbaren Wildebur, dass sein Gefährte sich zu Wort meldete. Stumm wie ein Fisch hatte er bisher neben ihm gesessen und wiederholt einen hoffnungsvollen Blick aus dem Fenster oder über die Schulter geworfen. Nur um ein ums andere Mal festzustellen, dass der Mond sich partout nicht vom Fleck bewegte und auch die Aufmerksamkeit der Weisen, von denen immer mindestens einer ihn fest im Blick behielt, nicht nachließ.
Der Sibulek wusste sehr gut, wie Yo solche Veranstaltungen hasste. Dass dieser Sitz, auf dem sein Partner seit etwa drei Sandgläsern saß, diesem wie ein feuriger Folterstuhl war. Und er wusste, wie gern sein Gefährte jetzt menschenseelenallein in seiner dunklen, ruhigen Kammer, draußen im dichten, nachtschwarzen Arboloro oder weit weg im verlassenen Bruch von Moora gewesen wäre. Yos einziges Glück waren seine tief in Falten gelegte Stirn über eng an die Nasenwurzel gezogenen Augenbrauen und sein finsterer Blick. Diese schienen eine solch abschreckende Wirkung zu haben, dass kaum einer es wagte, sich zum Anführer des Roten Mondes zu setzen und diesen in ein Gespräch zu verwickeln. Die wenigen, die dennoch einen Versuch wagten, hatten ob der wortkargen Antworten des dritten Heerführers schnell wieder von diesem abgelassen. Was zu Crus Leidwesen mehr als einmal bedeutete, dass der entsprechende Adelige sich eben ihm zuwandte.
Unvermittelt schlug sein Partner mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. „Mir reicht es. Ich gehe!“
Noch immer war es deutlich vor Mittnacht und ein plötzlicher Abgang zu diesem Zeitpunkt wurde mit Sicherheit missbilligend zur Kenntnis genommen. Instinktiv ergriff Cru daher den Arm seines Freundes, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Doch Yos Augen funkelten in einer Mischung aus Zorn und Hilfeersuchen. Ein Ausdruck, den der Sibulek gut kannte.
„Sollen die Alten mich doch teeren und federn oder mit ihren schwachsinnigen Strafarbeiten maßregeln. Alles ist besser als das hier. Alles!“
Geräuschvoll stieß Yo seinen Stuhl zurück und rauschte von dannen, ohne sich um die mahnenden Rufe des Grafen Pokinoi zu kümmern. Sofort war auch Cru auf den Beinen und eilte seinem Partner durch das Gedränge hinterher. Als die schweren Saaltüren ins Schloss fielen, erreichte er seinen Schwertbruder endlich und bekam dessen Arm zu fassen.
„Yo, warte! Ich komme mit.“
Unverhofft blieb der Angesprochene stehen und schenkte ihm einen prüfenden Blick, bevor er sich nickend wieder zum Gehen wandte.
„Ich darf mich Euch doch anschließen?“
Wie aus dem Nichts stand plötzlich wieder Lŷsandro Vîbor vor ihnen. Cru entgingen dabei weder der nervöse, zur Saaltür gerichtete Blick des Fürsten noch die helle Stimmenschaar, die aus dem Saal herausschwappte, als einer der Flügel sich öffnete.
„Mir doch egal. Mach, was du willst. Aber ich muss hier raus, sonst drehe ich durch!“, brummte Yo und setzte sich wieder in Gang. Nicht jedoch ohne Cru mit einem auffordernden Blick zu bedenken. „Kommst du?“
Dem Viborianer genügte dies offenbar als Bestätigung und er schloss sich ihnen an. Drei Ecken weiter im Kreuzgang verlangsamte Yo seinen eilenden Schritt allmählich und blieb dann erneut stehen. Cru nutzte die Gelegenheit und sog die frische Nachtluft, die durch die Fensteröffnungen hereinströmte, tief ein. In den Augenwinkeln registrierte er einen Schatten, der aus dem Gang, den sie gekommen waren, auftauchte.
„Na, wer wird sich denn hier still und heimlich einfach so davonstehlen?“
„Spar dir deine Spitzen, Cay“, murrte Yo sofort, machte einen Ausfallschritt nach hinten und ballte die Fäuste. „Keine tausend Pferde kriegen mich wieder in diesen Hexenkessel zurück!“
„Ganz ruhig, Bleichling.“ Beschwichtigend hob der Erste General die Hände und wies seinem Lieblingsfeind die Handflächen zu. „Ob du es glaubst oder nicht: Bisweilen wird es selbst mir zu viel.“
Yo legte den Kopf schief und die Stirn in Falten, als traute er dem Braten nicht, bevor er sich entspannte und mit den Achseln zuckte. Dann wiederholte er seine höchst wahrscheinlich unbewusste, halbherzige Einladung. „Mach was du willst. Aber fall mir nicht auf die Nerven.“
„Da das geklärt ist: Wie gedenken die Herren die angebrochene Nacht noch zu retten?“
„Da wieder rein kriegen mich keine hundert Schattenwölfe.“
„Sagtest du bereits, Bleichling.“
Yos Augenbrauen zuckten unwirsch. Doch sein Partner hatte offenbar keine Lust auf ein verbales Scharmützel und entgegnete nichts. Erst jetzt wurde Cru sich des schallenden Lachens und der weinseligen Gesänge, die vom Burghof hereindrangen, gewahr.
„Was haltet ihr davon, der Siegesfeier im Burghof beizuwohnen?“, fragte er in die Runde und die Aussicht auf ein warmes Lagerfeuer vertrieb den ursprünglichen Gedanken, sich schnellstmöglich auf seine Kammer zurückzuziehen.
„Blendende Idee!“, entgegnete Cay und auch der Fürst nickte zustimmend.
„Miese Idee“, murrte dagegen Yo und erntete dafür strafendes Seufzen und genervte Blicke.
„Deine Laune ist echt nicht zum Aushalten, Spitzohr. Aber bitte, dann versauere doch in deiner freudlosen Kammer bei deiner Strafarbeit. Ich jedenfalls geh mich jetzt amüsieren.“
Schulterzuckend winkte Yo ab. „Wenn ihr glaubt, dass der Fürst das unbeschadet übersteht, dann macht doch. Ist ja nicht meine Gesundheit, die aufs Spiel gesetzt wird.“
„Seit wann kümmert dich das Wohl anderer?“, fragte Cay bissig.
„Die Männer werden ihm schon kein Haar krümmen“, sagte Cru mehr zu sich selbst denn als Antwort. „Wir sind doch dabei.“
Bei so viel Zuspruch fühlte wohl auch der Fürst sich genötigt, die Bedenken des dritten Heerführers zu zerstreuen. „Eure Sorge ehrt mich, Yo. Doch seid versichert, meine Leibwachen werden mir nicht von der Seite weichen.“ Mit einem Nicken deutete er gen der im Dunkel der Schatten unsichtbaren Männer und lächelte. „Wenn die Herren Generäle mir die Ehre erweisen, kann ich mich Euch also getrost anschließen.“
„Na herrlich“, zischte sein Freund, während Cay Fürst Vîbor bereits zum Ausgang geleitete.
„So leid es mir tut, Partner, du bist überstimmt“, sagte Cru und schlug Yo freundschaftlich auf die Schultern. „Na los, spring über deinen Schatten. Oder ziehst du tatsächlich Federkiel und Pergament Lagerfeuer und Lamortes Gaumenschmaus vor?“ An Antwort statt schnaubte Yo. „Ich wette, es sind noch einige geschmorte Wildkeulen übrig.“
Mit lautem Grollen entschied der Magen seines Gefährten das Gespräch.