Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein seltsames Wesen auf der Erde. Oder eigentlich ist es sehr ungenau, davon zu sprechen, dass es auf der Erde lebte. Es lebte auch nicht wirklich nicht auf der Erde oder unter oder über der Erde. Es lebte einfach.
Manchmal auf der Erde, manchmal darunter, manchmal weit darüber. Ja, man munkelt, es habe sogar zeitweilig auf anderen Sternen und Planeten gelebt, aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses seltsame Wesen hatte Fühler, mit denen es nicht fühlen konnte. Und Ohren, mit denen es nicht hören konnte. Und Augen ohne zu sehen.
Aber es hatte ein ganz besonderes Organ mit vielen Windungen, eines das es besonders gerne nutzte und an dem es seine helle Freude hatte. Es nannte es sein Gehirn. Während es niemals auf die Idee kam, Fühler, Augen oder Ohren einzusetzen, wusste es nahezu alles über sein Gehirn. Oder besser sein Gehirn meinte, alles über sich zu wissen. Manchmal merkte das Wesen, dass sein Wissen nicht so ganz akurat war, und dann machte es allerlei Versuche, dass es brutzelte und brodelte, die Erde bebte und der Wind wehte.
Deshalb nannte man das Wesen auch das Experimentierchen, weil es so viele Versuche mit allem unternahm, um herauszufinden, was es noch nicht wusste. Allerdings hatten diese Versuche so ihren Haken: Denn mit jedem von ihnen bekam das Experimentierchen neues Futter für sein Gehirn und das veränderte sich dadurch, so dass es wieder neues zu wissen gab. Das merkte das Experimentierchen allerdings nicht – oder erst dann, wenn es alles, was sein Versuch an Veränderung gebracht hatte auf, unter und über der Erde, aufs Sorgfältigste kartiert und verzeichnet hatte und sich sicher war, es sicher im Gehirn verwahrt zu haben.
Merkte es dann, dass es wieder etwas Neues gab, was es noch nicht wusste, leugnete es dies zuerst beharrlich. Dann schimpfte es alle Lügner, die etwas anderes behaupteten. Sodann strengte es sich mit allerlei Versuchen an, die wieder viel durcheinander wirbelten, um zu beweisen, dass es nichts Neues gab. Wenn es schließlich einsehen musste, dass es nicht möglich war, grummelte und schmollte es voller Lust. Und erst, wenn es auch daran keinen Gefallen mehr fand, und es zugab, wenn auch meist widerwillig, dass es etwas nicht wusste, dann ersann er mit Hilfe seines Gehirns neue Versuche.
Die natürlich wieder alles durcheinander wirbelten, was er wusste und Neues dabei erschuf. Aber da schließt sich der Kreis.
So hätte das Experimentierchen weiter sein Dasein ins Unendliche erstreckt, wäre da nicht die klitzekleine Tatsache gewesen, dass es nach Generationen des Durcheinanderwirbelns von allem auf, unter und über der Erde nicht mehr glücklich war. Denn das kann ganz schön erschöpfen, wenn man immer nur wieder sich im selben Kreislauf bewegt, auf der Jagd nach etwas, das man nicht erreichen kann.
Natürlich leugnete das Experimentierchen lange, lange sein Unglücklichsein. Aber schließlich führte kein Weg mehr daran vorbei: Es musste zugeben, dass es nicht glücklich war und dass es keinen Versuch ersinnen konnte, dies zu ändern.
Dies war der vielleicht glücklichste Tag im Dasein des Experimentierchens. Denn es war der Tag, an dem es lernte, dies zu ändern.
Obwohl es lange aussah, als geschehe – gar nichts.
Das Experimentiechen tat plötzlich Dinge, die es noch nie getan hatte: Es saß einfach da und tat nichts.
Irgendwann fing es dann an, sich zu bewegen. Und um sich zu schauen. Da erkannte es leuchtende Farben und schöne Formen. Es begann zu hören – und hörte liebliche Klänge und herrliche Gesänge. Und als es dieses beides gelernt hatte, da breitete sich in ihm erst langsam, dann immer intensiver und deutlicher ein Gefühl aus, das es noch nie gekannt hatte.
Dieses Gefühl war so schön – es platze fast daran. Um das zu verhindern, und vielleicht auch, weil sein Gehirn nun einmal daran gewöhnt war, begann das Experimentierchen von der neuen Erfahrung zu sprechen.
Natürlich wollten die, die die Erfahrung noch nicht gemacht hatten, zunächst nichts davon wissen. Doch eins nach dem anderen gelangte zu diesem neuen Erlebnis, und da wurden es immer mehr, die zuhörten. Und schauten. Und zu fühlen begannen.
Das Experimentierchen hörte auf mit seinen Versuchen. Es konnte mit einem Mal fühlen, wie es der Erde ging und wie sich andere Wesen fühlten. Da staunte es über die wunderbare Vielfalt und alle die schönen Dinge und begann, sie sehr zu schätzen und zu genießen.
Dann und wann hatte eins der neuen Experimentierchen eine Idee. Aber diese Ideen waren von ganz anderer Natur: Sie handelten davon, noch mehr Glück zu erschaffen und auf eine Weise zu leben, die allen dient.
Je glücklicher sie wurden, desto ungewöhnlicher waren ihre Ideen. Oft hatten sie auch gar keine, sondern kamen einfach nur zusammen, um zu singen und sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Sie lachten viel oder schwiegen zusammen. Sie schlemmten und sie tanzten. Sie lernten, sich gegenseitig zu fühlen und nur dadurch, dass sie das konnten, ging es allen besser. Und da sie alle glücklicher wurden, waren sie viel gesünder. Sie entdeckten eine Menge auf der Erde, was sie nie zuvor gesehen hatten. Und sie lernten vieles, was uns noch gar nicht möglich erscheint.