Sein einziger Freund in dieser Stadt wohnte an der Prince of Wales Road, was sicher kein Zufall war. Sion Baltairre führte sich im Allgemeinen auf, als besäße der Alb das gesamte Land und irgendwie stimmte es. Er hatte gehört, dass diese Wesen ein Gebiet ganz allein für sich beanspruchten, in denen keine Eindringlinge geduldet wurden. Sie hatten etwas mit den Vampiren gemein, was sie niemals zugäben, weil sie einander nicht ausstehen konnten. Lady Jacinda hatte ihn vor all den anderen Wesen gewarnt, mit denen sie die Welt teilten. Er nahm sich ihre Worte zu Herzen, doch in Sions blassblauen Augen konnte er seither keinen Funken Missgunst oder Abscheu erkennen.
Wenn der Alb ihm die Tür öffnete, umspielte stets ein amüsiertes Lächeln dessen Lippen und es erwartete ihn die eine oder andere Flasche des besten Weines aus dem Keller. Er empfand es als Verschwendung der guten Tropfen, denn weder er noch Sion waren in der Lage, den Geschmack vollends zu genießen. Der dünne Film auf seiner Zunge war fad und das leichte Prickeln sogar recht unangenehm, weil es seinen Sinn trübte.
»Lass mich raten, was dich herführt«, Sion setzte sich ihm gegenüber an den Kamin, dessen Schein sein makelloses Gesicht betonte und er wurde das Gefühl nicht los, dass der Alb seine Gewandung nicht ohne Grund gewählt hatte.
»Störe ich dich? Erwartest du Besuch«, fragte er mit leichtem Unbehagen in der Magengegend. Wenn Sion einen durchscheinenden Bademantel trug, bedeutete es eigentlich nur eines.
»Es ist wirklich zu schade, dass du so unempfänglich für meinen Charme bist«, erwiderte der Alb mit einem Lächeln, das dessen Augen nicht erreichte, »ich könnte dir so viel zeigen.«
»Klingt, als bist du wieder auf der Suche. Du hast mein Mitgefühl, mein Freund, aber es wäre für uns beide besser, wenn du dich anderweitig umsiehst.«
Nichts Gutes käme heraus, wenn sie sich einander hingaben. Er wollte keine weitere Kerbe im Bettpfosten sein und so bezaubernd Sion auch war in seiner ganzen Pracht eines Adonis, ähnelte er zu sehr dem Wein in seinem Glas.
»Diesen Blick kenne ich. Du bemitleidest mich.«
Wie könnte er auch nicht, wenn sein Freund kein Glück fand ... er fürchtete, es ginge ihm irgendwann genauso und das erfüllte ihn mit Trauer und Leere. Trostlosigkeit hatte sein ganzes Leben bisher beherrscht. Er wollte sich ihrer nicht erneut unterwerfen.
»Verzeih mir. Ich denke zu viel nach.«
»Natürlich. Wird dir langsam bewusst, dass es ein Fehler war, deinen Bruder zu dir zu holen?«
Ein gewagter Themenwechsel, wie ihm auffiel, aber Sion fiel gern mit der Tür ins Haus. Es sollte ihn wundern, dass sein Freund so lange damit gewartet hat.
»Er braucht Zeit.«
»Ich halte meinen Wetteinsatz und erhöhe ihn um einen weiteren Pfund Sterling, dass er dir noch etliche Steine in den Weg legt. Byebye, Liebschaft mit einem Menschlein und willkommen fackelschwingender Mob.«
Jetzt verstand er, worauf das Gespräch abzielte. Seine Geldbörse holte er aus seiner Hosentasche und betrachtete seinen Freund unter gesenkten Lidern. Wie der Alb zufrieden im Sessel lümmelte, leise eine fremde Melodie summte. Glücksspiel war etwas, mit der nicht sehr vertraut war, aber mit Sion doch spaßig. Er musste sich nur daran erinnern, seinen Wetteinsatz genau abzuwägen.
»Hast du ihm schon einmal einen nächtlichen Besuch abgestattet?«
»Deinem Menschlein? Gott bewahre«, Sion lachte, »das Haus der Familie stinkt nach ihren abartigen Tinkturen, mit denen sie das Böse abhalten wollen. Bei dem penetranten Geruch hat niemand Spaß.«
Demnach gab es eine Möglichkeit, einen Incubus zu vertreiben. Er hätte nicht gedacht, dass es den Menschen gelänge, aber Marcs Familie landete damit eher einen Glückstreffer. Ihm entlockte es ein breites Grinsen, während sein Gegenüber eine Grimasse zog.
»Also?«
»Es ist verwerflich, was wir hier tun, nicht wahr?«
Sollte, was wirklich einem Wunder gleichkam, Marc je von diesem Spiel zwischen ihnen erfahren ... wie tief fiel er in dessen Achtung? Er wollte es sich nicht vorstellen.
»Oh je, Constantine.«
Seufzend nahm Sion einen Schluck seines Weines.
»Geht es dir besser, wenn wir die Wette einfach ändern?«
»Du würdest das tun? Warum?«
Ergab für ihn keinen Sinn, außer, Sion heckte einen Plan aus. Das gefiel ihm noch weniger, wenn er nicht wusste, worum es ihm ging.
»Constantine, mir ist furchtbar langweilig und du bringst etwas Abwechslung in mein Dasein. Wo wäre der Spaß hin, wenn wir das Spiel so abrupt beenden? Natürlich erwarte ich eine kleine Gegenleistung.«
Er konnte sich denken, um was es sich handelte. Da brauchte er kein Augenbrauenwackeln. Sein Freund testete ihn erneut, doch er zog einen weiteren Geldschein aus der Tasche und hielt ihn in die Höhe.
»Ich bezahle dir zwei Stunden Spaß mit einem von den Menschenkokotten.«
Unter keinen Umständen ließ er sich zu einem Stelldichein überreden. Wenn Sion mal wieder verlassen wurde, könnte er wenigstens dafür sorgen, dass es ihm besser ging. Kaum etwas half ihm über eine verlorene Liebschaft hinweg.
Er landete mit seinem Vorschlag einen Treffer, wie er an Sions lüsternem Lächeln sah. Manchmal fragte er sich schon, ob er richtig handelte, aber was war richtig und was falsch? Er wollte seinem Freund helfen und es schadete niemandem, wenn er jemanden für Sex bezahlte.
»Du musst dir allerdings eine Kokotte bestellen, da ich keine kenne.«
Sion hielt sich bereits das Telefon ans Ohr, bedachte ihn mit einem müden Ausdruck in den Augen.
»Nur zu deiner Information, mein Freund, sag lieber Nutten oder Prostituierte. Wir wollen ja nicht, dass dich die Menschen wegen deiner Ausdrucksweise schief ansehen.«
»Lady Jacinda ...«
Sein Freund gab ein Schnauben von sich, dass er innehielt. Er begann jetzt keine Diskussion, die von altgebackenen Überzeugungen seiner Herrschaften handelten. Sie drehten sich am Ende nur noch im Kreis.
»Weißt du, ich bewundere deine Treue gegenüber den Vampiren. So war ich anfangs auch, als ich mich von meinem Papi lossagte. Nur musst du irgendwann auf eigenen Beinen stehen.«
Worte, die er schon oft zu hören bekam. Er versuchte es ja und ging die ersten Schritte. Er war stolz auf sich, es überhaupt so weit gebracht zu haben. Sion musste ihn daher nicht daran erinnern, was er es noch zu tun galt.
»Ich lass das Geld auf dem Tisch liegen«, erklärte er leise, »ich wünsche viel Spaß.«
»Constantine!«
An der Tür hielt er inne, erwartete keinerlei Entschuldigung und stellte überrascht fest, dass Sion ihm auf Schritt und Tritt folgte. Alben bettelten nicht um Vergebung, doch der hier umfasste zumindest seine Hände.
»Ich möchte dir nur helfen.«
»Ich weiß. Ich bin nicht wütend auf dich, nur verstimmt.«
»Das ist ein Anfang, Herr Untot.«
Sions Lächeln erwiderte er, bis es an der Tür klopfte. Man ließ Besuch nicht zu dieser Stunde warten, also verabschiedete er sich mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Über die Wette unterhalten wir uns später noch einmal. Sei besser leise, mein Freund, deine Nachbarn sind hellhörig.«