17. September
Ich reagiere auf die einzige Weise, die mir noch bleibt. Ich sammele die Macht um mich und schleudere Wolfgang einen Ball aus schwarzen Schatten entgegen.
Jens drückt ab und der Schuss zerreißt die Nacht. Ich höre das junge Mädchen schreien, das aus dem Fenster sieht.
Ihr Vater ist getroffen. Blut sprudelt aus seiner Schulter auf das dunkle Pflaster. Er stolpert gegen die Hauswand und rutscht langsam dort herab.
Ich werde von Björn überwältigt, der sich herum rollt und mich auf den Boden drückt.
Jens schießt erneut, zwei, drei, vier Schüsse, alle auf den Polizisten.
Björn drückt mir mit seinen riesigen Pranken die Kehle zu.
Ich schlage ihn in die Rippen und zappele mit den Beinen, alles ohne Wirkung. Mein Herzschlag dröhnt mir erschreckend laut in den Ohren. Ich zerre an den dicken Armen, aber sie rühren sich kein Stück.
Ich spüre ein Leben erlöschen. Meines wird das Nächste sein, wenn ich nicht kämpfe. Ich knurre vor Wut, dann stoße ich Björn meine Finger direkt in die Augen.
Ich nutze nicht nur meine eigene Körperkraft, sondern die Macht der Dunkelheit. Ich spüre, wie mir etwas warm über die Finger läuft, ich nehme Björns Schmerz wahr, aber mehr noch spüre ich, wie Angst in sein Gehirn dringt.
Björn lässt von mir ab, taumelt zurück, hält sich schreiend die Hände vor das Gesicht. Jens hört auf, auf den liegenden Polizisten zu schießen und rennt zu Björn. Er schreit dessen Namen und dann rennt er zu Wolfgang, der reglos auf der Straße liegt.
Björn bleibt stehen und senkt die Hände, sodass ich sein blutiges Gesicht und, schlimmer noch, den entsetzten Ausdruck darauf sehen kann. Dann schreit der große Mann in voller Panik. Es ist nackte Angst, kein Schmerzensschrei. Was auch immer er sieht, es ist nicht von dieser Welt.
Der Schrei gipfelt in einem heiseren Röcheln, dann kippt Björn nach hinten.
Sam bellt. Er hat Angst und läuft an meine Seite. Ich sehe, dass sich der Polizist noch bewegt, die Hand auf seine Wunden drückt. Er sieht mich an, aus aufgerissenen Augen.
Jens brüllt laut: „Was hast du getan?“
Er kniet zwischen Wolfgang und Björn, rüttelt beide, versucht, sie aufzuwecken. Dann schreit er mich an: „Was hast du mit ihnen gemacht, du Mörder?!“
Die Pistolen liegen unbeachtet neben ihm. Ich stehe auf. Mir ist schwindelig und tiefes Entsetzen sitzt in meiner Seele.
Was habe ich getan? Das war ich nicht! Etwas hat mich getrieben – Angst, Trauer oder der Wunsch, zu helfen.
Ich habe sie getötet.
Wortlos drehe ich mich um und renne weg. Sam folgt mir, ich höre seine Pfoten auf dem Gehsteig. Er bleibt an meiner Seite, wenigstens er.
Im Laufen sehe ich auf meine Hände, die blutverschmiert und voller dunkler Schatten sind.
Ich habe sie getötet, Wolfgang und Björn. Vielleicht haben sie den Tod verdient, doch ich wollte kein Mörder sein.
Es steht mir nicht zu, das zu entscheiden.
Ich wollte sie nicht töten. Es war beinahe, als hätte eine andere Macht mich getrieben.
Vielleicht beherrsche ich die Nacht nicht, sondern die Nacht beherrscht mich.
Ich renne, bis ich keinen Atem mehr habe. Dann weine ich, bittere Tränen voller Angst. Ich bin ein Mörder. Ein Mörder mit unglaublichen Fähigkeiten.
Sam drückt sich tröstend gegen mein Bein, als ich stehen bleibe. Er zittert. Offenbar ist eine Vorderpfote verletzt, von den Tritten, die Wolfgang ihm verpasst hat. Blut vom Arm des Dealers ist um Sams Maul und verschmiert das weiße und schwarze Fell.
Ich sinke auf den Boden und umklammere meinen Hund. Ich weine in sein Fell.
Was habe ich nur getan?
Wir sind irgendwo in der großen Stadt, und von jetzt an bin ich ein Mörder auf der Flucht.