Piep. Piep. Piep. Piep. Piep.
Nikko blinzelte, öffnete langsam die Augen. Das grelle Licht blendete ihn, so dass er die Augen gleich wieder schloss. Er startete einen weiteren Versuch sich umzusehen. Dieses Mal gewöhnte er sich an die Helligkeit.
Er war in einem Krankenhauszimmer.
Links von ihm stand ein Gerät, an das er angeschlossen war. Das Piepsen stellte seinen Herzschlag dar. Auf der anderen Seite befand sich ein Fenster, das aber zu weit weg war, als dass er hinausschauen könnte.
Ihm war schwindlig, sein Kopf fühlte sich viel zu gross für seinen Körper an. Nikko schaute an sich herunter, er trug noch immer die Snowboardkleidung, aber jemand hatte ihm die Jacke ausgezogen.
Er drehte sich, so dass seine Beine über die Bettkante baumelten. Langsam liess er sich nach unten sinken, verlagerte das Gewicht auf die Beine.
Und er brach sofort zusammen.
Ein unglaublicher Schmerz raste durch sein rechtes Knie, ihm wurde fast schwarz vor Augen. Er schrie auf, als er zu Boden ging.
Keine Sekunde später öffnete sich die Tür und ein Krankenhelfer kam hineingerannt.
»Hee, hee ganz ruhig. Du darfst dein Knie nicht belasten.«
»Was Sie nicht sagen«, presste Nikko zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Mann hob ihn hoch, hievte ihn wieder auf das Rollbett.
»Alles in Ordnung?«, fragte er, beobachtete ihn prüfend, mit dem Blick eines Mannes, der das jeden Tag bei hunderten von Menschen machte.
Nikko nickte.
Ganz schlechte Idee. Sofort wurde ihm übel, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen umher.
»Schau mich an, Nikko.« Die Stimme des Pflegers holte ihn zurück. Er fokussierte sich auf dessen blaue Augen. »Wir haben kurz einen Check durchgeführt, als du hier angekommen bist. Du hast eine Gehirnerschütterung und eine Rippenfraktur. Zudem ist dein rechtes Knie verletzt, aber wir haben es noch nicht geröntgt oder einen MRI gemacht.«
Als er das hörte, wurde ihm schon fast wieder schlecht. »Wie lange ist es her?«, murmelte er.
»Ein paar Stunden. Dein Freund hat sofort die ReGa gerufen. Wir haben dich sofort hier ins Kantonsspital gebracht. Während des Flugs warst du ohnmächtig, bist bei der Landung kurz aufgewacht und dann warst bis jetzt wieder weg.« Der Pfleger erzählte ihm das in einem sachlichen, professionellen Tonfall.
»Wo ist Kai? Wo sind meine Eltern? Wo sind Colin und Aven? Und Charlie?«
Der Pfleger lächelte beruhigend. »Deine Eltern sind auf dem Weg. Kai hat die beiden vorhin angerufen.«
Nikko atmete tief durch. »Okay, Danke. Wann werde ich noch weiter untersucht?«
»Wir werden sicher noch bis morgen warten, damit sich deine Gehirnerschütterung zumindest zu einem kleinen Teil bereits heilt.« Er lächelte leicht. »Ich bin übrigens Marc. Und werde wahrscheinlich die nächsten paar Tage für dich zuständig sein.«
Marc streckte ihm eine Hand entgegen, die er entgegennahm und schüttelte. »Ich bin Nikko.«
In diesem Moment klopfte Kai an die offene Tür. »Darf ich reinkommen?«, fragte sein bester Freund Marc. Dieser nickte und stand auf. »Ich lasse euch beiden mal alleine. Wenn was ist, einfach klingeln.« Er deutete auf den Knopf neben Nikko.
»Wie geht’s dir?« Kai schaute ihn besorgt an, musterte ihn von oben bis unten.
»Schlechter als jemals zuvor in meinem Leben, Mann. Mein ganzer Körper tut mir weh, mein Kopf pocht durchgehend und an mein kaputtes Knie will ich gar nicht denken.«
»Willst du ein paar Skittles?«, fragte der Blonde, lenkte absichtlich vom Thema ab. Die grüne Tüte wedelte er vor seinem Gesicht umher.
»Was ist das für eine Frage?! Er streckte grinsend die Hand aus. Den ganzen bunten Haufen warf er sich auf einmal in den Mund. Langsam breitete sich der saure Geschmack in seinem Rachen aus.
Nikko versuchte die Angst zu verdrängen, die sich seit er aufgewacht war, sich versuchte auszubreiten. Er wollte nicht darüber nachdenken, wie viel in seinem Knie kaputt war und was das für seine Hockeykarriere bedeutete.
»Nik, hör auf darüber nachzudenken. Du machst es dir selbst nur unnötig schwer«, meinte Kai ernst zu ihm.
»Aber was ist, wenn - «, begann er, doch sein bester Freund schüttelte den Kopf.
»Lass es, okay? Du weißt es in spätestens 24 Stunden. Und egal was dabei rauskommt, es hätte noch schlimmer sein können. Du hättest tot sein können oder querschnittgelähmt oder eine totale Schädelfraktur haben können.«
Er versuchte auf ihn zu hören, doch die Zweifel und Ängste verschwanden nicht ganz. »Lenk mich ab. Erzähl mir irgendetwas.«
»Eine Auster kann ihr Geschlecht in ihrem Leben mehrmals ändern«, sagte Kai grinsend.
Auch Nikko musste lachen. »Was? Wie? Woher hast du das?«
Der Andere zuckte die Achseln.
»Nikko?«, erklang eine Stimme von der Zimmertür her. Auf der Schwelle stand seine Mutter.
»Mam?« Er wusste, dass er wie ein kleines Kind klang, aber es war ihm egal. Sie rannte halb auf ihn zu. »Wie geht’s dir?«
»Nicht so gut.« Er versuchte stark zu klingen, was nicht so ganz funktionierte.
Kai stand von dem Stuhl auf, auf dem er gesessen hatte und bot ihn Estelle an. »Wir sehen uns morgen, okay?«
»Bis dann.« Nikko winkte seinem Freund zu, bevor dieser die Tür hinter sich schloss.
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, begann seine Mutter. »Was ist passiert? Wann? Und wie geht’s jetzt weiter?« Wenn Estelle nervös, wütend und besorgt war, hörte man ihren französischen Akzent immer besser heraus, als sonst.
»Ich bin gestürzt beim Snowboarden, heute Nachmittag«, antwortete er. »Ich habe einen Rippenbruch und eine Gehirnerschütterung. Morgen untersuchen sie dann mein Knie.«
Ihre Augen wurden ganz gross, voller Besorgnis.
»Ich habe solche Angst, Mam. Was ist, wenn mein Knie vollkommen kaputt ist? Was, wenn ich nie wieder Sport machen kann?« Nikko schluchzte, es überkam ihn einfach.
Die Vorstellung, nie wieder übers Eis zu fliegen, den Wind zu spüren, der einem beim Snowboarden, um die Ohren pfiff, einen Korb zu werfen, jagte ihm mehr Angst ein, als alles andere.
»Sch. Ganz ruhig«, flüsterte sie und nahm ihn in den Arm. Er liess sich von der Umarmung wärmen.
In diesem Moment war es egal, dass seine Mam nie da war, immer mit Pap stritt, sie alle einfach auf ein Internat geschickt hatte, weil ihr die Kinder zu viel waren.
Er genoss einfach den Moment von seiner Mutter geliebt zu werden, dass sie ihm für einen kurzen Augenblick die Furcht vor dem Kommenden nahm.